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Robin Dutt räumte selbst eine Teilschuld am Abstieg ein
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Gleich mehrere Male sprang der VfB Stuttgart dem Abstieg von der Schippe, jetzt hat's die Schwaben erwischt. Den Fehler alleine in dieser Saison zu suchen, wäre falsch. Seit Jahren fährt der Verein einen katastrophalen Schlingerkurs ohne grundlegenden Plan. Der Abstieg könnte heilend sein. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Frank Oschwald.

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Ziemlich genau vor einem Jahr holte Sportvorstand Robin Dutt auf der Pressekonferenz zum großen Rundumschlag aus. Statt sich mit dem Team über den gerade erreichten Klassenerhalt zu freuen, polterte Dutt und stellte dem gesamten Verein ein Armutszeugnis aus. "Als ich angekommen bin, habe ich ganz wenig sportliche Kompetenz vorgefunden", legte der 51-Jährige los und ließ sich nicht mehr bremsen.

Kaum eine Abteilung blieb verschont. Eine "strukturierte Kaderplanung" habe es beispielsweise nie gegeben, die Verhältnismäßigkeit von Einnahmen und Ausgaben stimme nicht und auch bei der Gewichtung von alten und jungen Spielern im Kader habe es "kein System" gegeben.

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Durch die Blume erklärte der Sportvorstand der großen Öffentlichkeit, dass der VfB Stuttgart seit Jahren planlos durch die Liga eiert und die Entwicklungen des sportlichen Umfelds konsequent ausblendet. Wie im Tiefschlaf drückten die Verantwortlichen nach jeder Saison immer wieder blind auf den Snooze-Button, ohne tiefgreifende Fehler zu analysieren.

Unter Dutt sollte deshalb alles besser, strukturierter und weitsichtiger werden. Doch der Zug war bereits abgefahren. Ihm die Zitate der PK jetzt um die Ohren zu hauen und mit dem Finger auf den Sportvorstand zu zeigen, wäre sicherlich falsch. Was über Jahre vernachlässigt wurde, konnte nicht innerhalb von einem Jahr gekittet werden.

Katastrophaler und blinder Schlingerkurs

Es wirkt oft platt und einfach, den Verantwortlichen eines Vereins bei Misserfolgen die Fußball-Kompetenz abzuschreiben. Doch bei den Schwaben ist es schwer, dies nicht zu tun. Denn seit Jahren fahren die Stuttgarter einen katastrophalen und blinden Schlingerkurs ohne grundlegenden Plan.

Vom Meister zum Absteiger: Von 100 auf 0 in neun Jahren

Statt eine Philosophie vorzugeben und nach dieser die einzelnen Personen auszusuchen, drehen die Stuttgarter den Spieß um. Mit jedem Trainer, jedem Sportvorstand und jedem Präsidenten änderte sich stets die grundsätzliche Ausrichtung des Vereins. Alleine in den letzten zehn Jahren werkelten somit elf verschiedene Trainer am VfB herum und verpassten diesem stets einen neuen Anstrich. Dass Alexander Zorniger mit seinem Spektakel-Fußball auf Maurermeister Huub Stevens folgte, passt ins Bild.

Auch der geschasste Manager Fredi Bobic gab Monate nach seiner Entlassung einen Einblick in die verheerenden Strukturen beim VfB. Er erklärte klipp und klar, dass bei den Schwaben der Aufsichtsrat die Politik des Vereins bestimme. Dabei ist es eigentlich deren Aufgabe, den Verein zu überwachen. Mit Dieter Hundt saß in diesem Gremium bis 2013 ein Mittelpunktsmensch an der Spitze, der sein Image stets über das Wohl des Vereins stellte. Noch zur Jahrhundertwende schmiss er damals Manager Rolf Rüssmann mit der Begründung raus: "Das macht bei mir der Pförtner". Genau dieser Hundt steuerte über Jahre das VfB-Schiff.

Irrwitzige Einnahmen helfen nicht

Man muss sich die blanken Zahlen nur vor Augen führen, um das genaue Ausmaß des Versagens auf Führungsebene zu kapieren. Erst vor neun Jahren wurde der VfB Stuttgart Deutscher Meister und spielte bis zum Abstieg sechs Mal auf internationaler Bühne mit. Sechs Mal!

Zudem nahmen die Stuttgarter seit 2009 durch den Verkauf von Mega-Talenten wie Gomez, Khedira, Kimmich, Leno, Rüdiger, Schieber und Träsch fast 100 Millionen Euro ein. Dass ein Klub mit solchen Rahmenbedingungen nun absteigt und vom nachhaltigen Erfolg überhaupt gar nichts übrig blieb, ist absurd. Dazu gehört eine mächtige Portion Misswirtschaft.

Doch das schafften die Verantwortlichen in Perfektion. Statt ordentlich hauszuhalten, wurden beispielsweise die Transfer-Millionen in veraltete Topstars oder verletzungsanfällige Spieler wie Pogrebnjak, Camoranesi, Hleb und Bastürk gepumpt.

Unterbau bricht weg

Jetzt bricht den Schwaben zudem der komplette Unterbau weg. Denn auch die zweite Mannschaft, die den Verein jahrelang mit Talenten versorgte und als das beste Nachwuchsteam der Bundesliga galt, ist abgestiegen. Stuttgart ist für junge Stars aus der Region längst nicht mehr so sexy wie noch vor Jahren. Vereine wie Freiburg, Heidenheim, Augsburg und vor allem Hoffenheim sind längst auf einer Stufe mit der Mannschaft aus der Landeshauptstadt. Eine Entwicklung, die die stolzen Stuttgarter jahrelang unterschätzten und konsequent ausblendeten.

Der aktuelle Sportvorstand Dutt ist beim besten Willen nicht von allen Fehlern freizusprechen. Auch er hat, wie er selbst eingestand, eine Teilschuld am Abstieg. Wochenlang zog sich beispielsweise der Poker um Antonio Rüdiger hin. Kurz vor Saisonbeginn verkaufte man den Abwehrchef. Was in der Abwehrzentrale übrig blieb, war nicht bundesliga-tauglich und brach dem VfB letztlich das Genick. Eine der Problematiken, die Dutt unterschätzte.

Die Schwaben haben nun die Chance zum Neuanfang. Zahlreiche Schlüsselspieler erklärten sich schon bereit, auch in der 2. Liga zu spielen. Das spricht für den Zusammenhalt. Doch mit dem Abstieg drückt der Klub nicht automatisch den Reset-Knopf. Das muss in den Köpfen der Verantwortlichen geschehen.

Sämtliche Fehler müssen nun analysiert werden. Nur so kann der VfB endlich unabhängig von Personen funktionieren und die Mammutaufgabe Wiederaufstieg meistern. Zunächst geht es für die Schwaben allerdings nach Sandhausen, Aue und Co. Eine schmerzhafte Erfahrung für sämtliche Fans. Es soll jedoch auch Anhänger geben, die froh sind, dass das Team nun abgestiegen ist und alles auf Null gesetzt wird. Ein schlimmeres Armutszeugnis kann es für einen Verein nicht geben.

Der VfB Stuttgart im Steckbrief

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