Im Moment nur radikal

Stuttgart konnte nur eines der letzten elf Topspiele am Samstagabend für sich entscheiden
© Getty

Der VfB Stuttgart zeigt unter dem neuen Trainer Alexander Zorniger zwei mehr als ordentliche Bundesligaspiele - verliert aber beide in den Schlussviertelstunden. Dem extremen Pressing- und Umschaltfußball fehlt es noch an Balance.

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Besonders ungewöhnlich ist der miese Saisonstart des VfB Stuttgart eigentlich nicht mehr. Auch in dieser Saison stehen die Schwaben nach zwei Spieltagen noch ohne Punkte da - genauso wie in den Spielzeiten 2010/2011, 2012/2013 und 2013/2014.

Allerdings unterscheidet sich der VfB der aktuellen Saison eklatant von jenen Mannschaften, die zuvor schlafmützig aus den Startlöchern kamen. Stuttgart spielt unter Trainer Alexander Zorniger einen speziellen Ball, seine Philosophie des radikalen Umschalt- und Pressingfußballs fand vor ein paar Wochen erstmals Einzug in den Verein.

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Seit Sportdirektor Robin Dutt das Sagen hat und vor allem im Vorjahr der Klassenerhalt feststand, hat sich an den Strukturen innerhalb des Klubs einiges verändert. Dutt forcierte die Professionalisierung auf allen Ebenen, tauschte die Scoutingabteilung aus, installierte neue Jugendtrainer und lässt diese nach einer einheitlichen Spielkonzeption lehren - die auf der Philosophie des ebenfalls neu engagierten Zorniger fußt.

Kinderkrankheiten in Zornigers System

Und so, wie sich der VfB derzeit als Klub auf mehreren Ebenen neu erfindet, tut das auch die Profimannschaft auf dem Platz. Zornigers Hergangehensweise verspricht hohen Einsatz, Mut und Eigeninitiative. Es ist eine Art Draufgängerfußball, mit dem die Zuschauer noch enger an den Verein gebunden werden sollen.

Nach dem bitteren Saisonstart mit zwei Niederlagen in den Schlussviertelstunden aber wird am Neckar weiterhin vermehrt gemotzt. Stuttgart hat jetzt beide Partien in dieser Saison über weite Strecken dominiert und ansehnliche Leistungen abgeliefert. Doch zeigten sich in diesen Begegnungen auch diverse Kinderkrankheiten von Zornigers System.

Wer so tief und vielbeinig in der gegnerischen Hälfte verteidigt, der nimmt per se ein hohes Risiko und muss eigene Angriffe besonders gut absichern. Befreit sich der Kontrahent nämlich aus dem Pressing und schaltet effektiv um, braucht es gegen die hoch stehende Defensive nur wenige Pässe, um in den Rücken der Abwehr zu kommen.

Nicht austariert, Balance fehlt

An einer guten Mischung dieser Begebenheiten hapert es bei den Stuttgartern noch sehr, die Balance im Spiel fehlt vollkommen. Die Schwaben lassen sich besonders in der Defensive bisweilen noch zu sehr von der absichtlich ins Spiel gebrachten Hektik anstecken. Die Herangehensweise des VfB ist im Moment nur radikal, aber nicht wirklich austariert.

Das zeigt sich auch daran, dass in beiden Spielen die Kräfte mit der Zeit nachließen und die Kompaktheit in der Defensive langsam aber sicher aufbröckelte. Ähnlich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, erging es im Vorjahr Bayer Leverkusen, wo Roger Schmidt eine ähnliche Spielidee implementierte und anfangs mit derselben Balance-Problematik Schwierigkeiten bekam wie derzeit der VfB.

Ob der seit Wochen gesuchte Mann für das Abwehrzentrum schnelle Besserung für das gesamte Gefüge bringen könnte, ist ungewiss. Die aktuelle Innenverteidigung um den jungen Timo Baumgartl und Aushilfsnebenmann Adam Hlousek könnte Verstärkung jedoch gut gebrauchen, die Abstimmung zwischen beiden ist noch ausbaufähig.

Zorniger fordert Verstärkungen

Zorniger, der die Niederlage in Hamburg im Anschluss ruhig und sachlich analysierte, fordert vielmehr eine größere Tiefe im Kader, um einen nachhaltigen Konkurrenzkampf zu erzeugen. "Es reicht nicht, wenn wir sagen, wir werden die Runde mit 13, 14, 15 Feldspielern durchziehen. Wir brauchen die Breite. Jeder muss das Gefühl haben: Jetzt habe ich die Chancen, jetzt weiß ich, was ich zu tun habe", sagte Zorniger unmissverständlich.

Stuttgarts erste Elf steht und hat großes (Offensiv-)Potential, dem Coach sind die Kaderplätze zwölf bis 18 aber zu weit entfernt von der Stammelf. Dies zeigte sich auch am Samstagabend. Als Zorniger nach dem Platzverweis gegen Florian Klein gefordert war, defensive Bankspieler wie Carlos Gruezo oder Daniel Schwaab einzuwechseln, kippte die Partie.

Das wird auch Dutt nicht verborgen geblieben sein. Der Manager hat jetzt noch eine gute Woche Zeit, um nach geeigneten Lösungen zu suchen. Im Idealfall sollten diese dann zügig greifen, damit der VfB nicht wie in den Vorjahren gleich zu Beginn der Musik hinterher läuft und in einen Negativstrudel gerät.

Doch dies ist nicht zu befürchten, hält man sich das viele Positive vor Augen, dass der Fast-Absteiger des Vorjahres bislang ebenso fabrizierte: Stuttgart dominierte seine Partien, hatte eine reife Spielanlage, presste teilweise richtig stark und kann dann in der Offensive Tempo und Wucht entwickeln, das für viele Bundesligisten eine große Herausforderung darstellt. Vielleicht ja erstmals am kommenden Wochenende, da geht es gegen Ex-Trainer Armin Veh.

Hamburg - Stuttgart: Daten zum Spiel