So nervig können Superlative sein

Sowohl Leverkusen als auch Stuttgart offenbarten nach der Pause große Lücken in der Defensive
© Getty

Bayer Leverkusen und der VfB Stuttgart erleben beim 4:3 das nächste Tor-Spektakel - mit unterschiedlichem Ausgang. Während das Ergebnis auf dem Papier zwei krasse Gegensätze skizziert, bringt es die beiden Kontrahenten aber auch auf einen gemeinsamen Nenner. 'The trend is your friend' war einmal.

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"Ist das bitter", twitterte der VfB unmittelbar nach Abpfiff - und fiel mit der verhältnismäßig zurückhaltenden Formulierung komplett aus der Reihe: Denn "Furioses Highlight", "Unfassbares Spektakel" oder "Tor-Wahnsinn" waren fast durchgängig die Formulierungen, die in den Medien und sozialen Netzwerken prangten.

Analyse: 4:3! Bayer-Wahnsinn gegen Stuttgart

Auch Leverkusens Social-Media-Beauftragte machten da keine Ausnahme: "Mehmedi veredelt irre Aufholjagd", las man auf der Bayer-Homepage und die SZ verdeutlichte das Wortspiel der Superlative ganz besonders: "Leverkusen erst am Boden, dann im Himmel", lautete dort die Headline.

Im Vergleich dazu wirkte der VfB-Tweet fast schon wertneutral. Doch er traf die schwäbische Atmosphäre auf den Punkt. Denn zu großen Reden wollte sich nach der Partie keiner verleiten lassen. Überraschend nur: Dem Gegner ging es nicht anders - zumindest den Beteiligten.

Wenig Begeisterung für das Spektakel

"Für uns war es ein schwieriges Spiel. Wir sind nicht so gut in die Partie gekommen und Stuttgart hat bewiesen, dass sie ein unangenehmer Gegner sein können", bemühte sich Roger Schmidt, die Euphorie im Presseraum der BayArena schnell einzubremsen. Dass sich nach der Pause "ein Duell mit viel Leidenschaft und viel Offensivgeist beider Mannschaften" entwickelt habe, brachte Schmidt nur beiläufig zum Ausdruck.

Zuvor hatte bereits Zorniger glaubhaft vermittelt, dass er nur wenig Begeisterung für den Spielverlauf aufbringen konnte: "Gratulation, Roger - zum erneuten Last-Minute-Erfolg", murmelte der VfB-Coach vor sich hin: "Für uns ist das ganz schwierig zu akzeptieren, da ich glaube, dass wir über 90 Minuten mindestens gleichwertig waren."

Was die beiden Kontrahenten aber gemeinsam hatten, war eine desaströse defensive Grundordnung ihrer Mannschaften nach der Pause. "Wenn wir zwölf oder 14 Punkte hätten, würde ich nach so einem Spiel von 'Lerneffekt' sprechen - so müssen wir es etwas anders analysieren", sagte Zorniger ernüchtert.

'The trend is your friend' war einmal

Dabei hatte vor allem der VfB stark begonnen. Zornigers Idee, das Zentrum durch die drei Sechser Rupp, Schwaab und Gruezo stärker zu verdichten, ging voll auf. Bayer mühte sich lange. Und womöglich hätte die Werkself gar nicht mehr ins Spiel zurückgefunden, wenn Sunjic mit seinem Patzer vor dem 1:2 die Gastgeber nicht wachgerüttelt hätte.

Der Trend der letzten Wochen hielt aber an - für beide Teams. Besonders erfreulich ist das für keinen - selbst für Bayer nur bedingt. Der VfB schaffte es wieder einmal nicht, aus einer vermeintlichen Überlegenheit und einem klaren Vorteil Kapital zu schlagen, Bayer zerstörte sich die offensive Durchschlagskraft erneut fast durch die defensive Unordnung und Inkonsequenz.

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Zorniger griff beide Aspekte in seiner Nachbetrachtung auf: "Wir hatten bereits in der ersten Hälfte klare Torchancen und im zweiten Spielabschnitt auch die Gelegenheiten, unseren Vorsprung sogar auf drei Tore auszubauen. Wir haben nicht mehr so kompakt nach vorne verteidigt wie vor der Pause. Am Ende konnten wir die hohe Qualität der Leverkusener nicht mehr verteidigen. Meine Jungs spielen beherzten Fußball, was allerdings fehlt, sind die Punkte nach solchen Leistungen - und das schon seit Rundenbeginn."

Der gleiche Film in Dauerschleife

Wirklich klar wurde sein Blick auf der PK nur, als er seine Ansprache kurz an den VfB-Anhang richtete: "Es tut mir wahnsinnig für die Fans leid, die vermutlich auch das Gefühl haben, jede Woche im gleichen Film zu sitzen." Auf die kommenden Partien bei Jena im Pokal und gegen Darmstadt wagte er nur einen kleinen Ausblick. Beide stempelte er als "ekelhaft" ab. "Und wir müssen punkten. Fertig."

Schmidt dagegen lobte natürlich auch die "Mentalität" seiner Mannschaft und selbstverständlich fand er es "großartig, dass wir in der Lage sind, innerhalb von fünf Tagen zwei solche Spiele zu zeigen." Doch auch er ist gezeichnet. Die Frequenz, in der Leverkusens Gegner aktuell aufs Tor schießen dürfen, setzt dem Pressing-Liebhaber zu. In den Katakomben des Stadions herrschte nach Schlusspfiff eine seltsame Stimmung.

Die Freude über kleine Erfolge standen im Schatten der wiederholten Rückschläge: "Drei geschossene Tore bei einem Champions-League-Teilnehmer sollten eigentlich ausreichen, um etwas Zählbares mit nach Hause zu nehmen. Am Ende geht es letztlich immer um Punkte und da müssen wir unsere Leistung besser in solche ummünzen", monierte Daniel Schwaab.

So nervig können Superlative sein

Bei allem Entertainment auf dem Platz: Letztlich stand am Samstag das Ergebnis im Mittelpunkt. Besonders glücklich war darüber niemand: "Wir haben jetzt in zehn Spielen über 20 Tore kassiert. Das sind über zwei Tore im Schnitt pro Spiel und das ist einfach zu viel. Das müssen wir schleunigst ändern, sonst bestehst du in der Bundesliga nicht", ärgerte sich Daniel Didavi.

Auch auf Leverkusener Seite stimmte man mit ein: "Es war ein traumhaft schönes Spiel für die Zuschauer, dafür kommt man ins Stadion", sagte Schmidt, ohne die Freude zu teilen. Denn er fügte hinzu: "Wir haben nicht optimal agiert. Wir hatten zu viele schwerwiegende Ballverluste." Auch Leverkusens Stabilität ist bei allem Spektakel abhandengekommen.

Und so war es letztlich nicht nur der VfB, der auf den großen Ergebnis-Hype rund um das Spiel gerne hätte verzichten können. Auch Schmidt wäre froh, mal wieder einen souveränen, klaren, aber vor allem ruhigen Erfolg einzufahren. Doch davon sind beide Teams aktuell ein gutes Stück weit entfernt, sodass die Schlagzeilen nicht abreißen. So nervig können Superlative sein.

Leverkusen - Stuttgart: Daten zum Spiel