Doppelt hält besser

Von Adrian Franke
Mit dieser Mannschaft geht Gladbach das Abenteuer Champions League an
© getty

Vor dem Start der 53. Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Borussia Mönchengladbach.

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Vorhang auf für den Rückrundenmeister: Borussia Mönchengladbach spielte eine herausragende Rückserie, 39 Punkte und nur zehn Gegentore waren der klare Bestwert der vergangenen Rückrunde und als Belohnung zog Gladbach zum ersten Mal seit 1977/78 in die Königsklasse ein.

"Die Champions League ist für uns vergleichbar mit dem Gewinn der Meisterschaft", strahlte Sportdirektor Max Eberl. Die Fohlen, angeführt von Eberl sowie Trainer Lucien Favre, haben den nächsten Schritt in ihrer kontinuierlichen Entwicklung der vergangenen fünf Jahre gemacht und dürfen mindestens für sechs Partien im Konzert der ganz Großen mitspielen.

Wie das Team diese Doppelbelastung auch mental wegsteckt, rein physisch kennt Gladbach das Spielchen bereits aus der Europa League, wird somit eine wichtige Frage der kommenden Saison sein. Favre muss es schaffen, seine Spieler nach glanzvollen Europapokal-Abenden mit Spielen gegen Real Madrid oder den FC Barcelona drei Tage später wieder auf den Bundesliga-Alltag einzustellen.

Gleichzeitig gilt es, zwei Leistungsträger aus der Vorsaison möglichst schnell zu ersetzen - und das mit anderen Spielertypen. Auch taktisch bleibt Favres Borussia also ein spannendes Projekt.

Das ist neu:

Gladbach musste, wie schon so oft in den vergangenen Jahren, Säulen aus dem Vorjahres-Team an die namhafte Bundesliga-Konkurrenz abgeben. Christoph Kramer konnte nach abgeschlossener Leihe nicht fest verpflichtet werden und ging zurück nach Leverkusen, Max Kruse wählte nach nur zwei Jahren bei den Fohlen den Schritt zum zahlungskräftigen VfL Wolfsburg.

Mit dem vielversprechenden Lars Stindl, der aus Hannover kam, sowie dem in Leverkusen unzufriedenen Josip Drmic hat Gladbach zumindest auf dem Papier adäquate Alternativen geholt, die beide ebenfalls noch Potential nach oben haben und gleichzeitig für einige taktische Änderungen sorgen dürften. Mit Thorgan Hazard, der schon Ende Februar fest verpflichtet wurde, gelang der vielleicht größte Coup bereits während der vergangenen Saison.

In der Defensive wird die Gladbacher Vorliebe für junge, entwicklungsfähige Spieler einmal mehr deutlich: Der 19-jährige Andreas Christensen wurde vom FC Chelsea ausgeliehen und könnte früh eine prominente Rolle einnehmen, der 18-jährige Nico Elvedi kam für vier Millionen Euro vom FC Zürich.

Das Abwehrzentrum der Gladbacher kann so früh in der Saison einem Kinderriegel gleichen, denn Verletzungssorgen plagen die Borussia hier in der Saisonvorbereitung, genau wie zum Ende der vergangenen Spielzeit. Neben Christensen, der so die Chance hat, sich dauerhaft festzubeißen, durfte Marvin Schulz im DFB-Pokal gegen den FC St. Pauli über 90 Minuten ran.

Alvaro Dominguez wird in den kommenden zwei Wochen wegen hartnäckiger Rückenbeschwerden in seiner Heimat Spanien behandelt. Der 26-Jährige war bereits zum Ende der vergangenen Saison wegen der Probleme ausgefallen und wird wohl mindestens die ersten beiden Saisonspiele verpassen.

Auch Innenverteidiger-Kollege und Defensiv-Stabilisator Martin Stranzl verpasste den Pokal-Auftakt aufgrund einer Sehnenreizung. Links hinten gibt es neben Oscar Wandt keine Alternative, Eberl weiß: "Wir werden in diesem Jahr wieder eine neue Mannschaft bauen müssen, der Trainer muss neue Automatismen schaffen. Das braucht Zeit - und die geben wir uns in Gladbach."

Die Taktik:

Die Zeiten, in denen Gladbach als reine Umschalt-Konter-Mannschaft für Aufsehen sorgte, sind lange vorbei. Die Borussia wurde zunehmend dazu gezwungen, mehr Initiative zu ergreifen und das Spiel selbst zu machen - und das gelang und gelingt weiterhin. Viel Tempo im Spiel nach vorne bleibt ein wesentliches Element, doch Flexibilität aus dem personell durchaus offensiven 4-2-3-1 heraus ist das Stichwort.

Das lässt sich beispielsweise an der Stindl-Verpflichtung festmachen. Der Ex-Hannoveraner ist im zentralen Mittelfeld eingeplant, könnte aber auch als Zehner oder hängende Spitze auflaufen. Im Spiel besitzt Stindl mehr Offensivdrang als sein Vorgänger Christoph Kramer. Damit kann er das offensive Zentrum unterstützen und so helfen, den Kruse-Abgang aufzufangen.

Hier liegt taktisch nämlich eine der wichtigsten Fragen für die Fohlen: Drmic soll Kruse ersetzen, der Schweizer ist aber deutlich eher als Strafraum-/Mittelstürmer einzustufen, während sich Kruse stark fallen ließ und der Gladbacher Offensive so meist eine beständige Anspielstation vor dem gegnerischen Strafraum lieferte.

"Josip ist kein Kruse-Klon", stellte daher auch Eberl klar und Favre fügte hinzu: "Drmic muss sich noch etwas adaptieren, insgesamt brauchen wir die richtige Bewegung bei Ballbesitz." Der Ex-Leverkusener wird zwar nicht müde zu betonen, dass er "nicht unbedingt ein typischer Mittelstürmer" ist und seine Laufstärke spricht hierbei für ihn.

Doch Gladbach wird sich, das wurde im Pokalspiel schon deutlich, umstellen müssen, um Drmic voll zur Geltung kommen zu lassen und so auch die in der Vorsaison teilweise schwache Chancenverwertung zu verbessern. Pässe durch das Zentrum in die Schnittstelle und Flanken von den außen werden wichtiger, genau wie Torgefahr über die Flügel.

Somit könnten etwa Patrick Herrmann und Ibrahima Traore seitenverkehrt eingesetzt werden, um mit dem starken Fuß in die Mitte zu ziehen. Die Drmic-Alternative im Sturmzentrum ist, glaubt man den Eindrücken aus dem Training und den Testspielen, Andre Hahn. Branimir Hrgota dagegen scheint endgültig auf der Abschussliste zu stehen, Hoffenheim soll Interesse haben.

Der Spieler im Fokus:

Lars Stindl. Wie schnell klar wurde, kann der 26-Jährige eine absolut zentrale Rolle in Favres System einnehmen. Stindl, der gleich in seinem Pflichtspiel-Debüt gegen St. Pauli zwei Treffer und eine Torvorlage zum 4:1-Sieg beisteuerte, bietet seinem Trainer dabei nicht nur mehrere Optionen was die reine Aufstellung angeht.

Er verleiht dem Gladbacher Spiel auch auf dem Platz eine variable Komponente, die es bei der Borussia so im Vorjahr nicht gab - egal, wo er letztlich aufläuft. Stindl kann ein neues Bindeglied zwischen Defensive und Offensive herstellen, sowohl was das Umschaltspiel, als auch was den Spielaufbau angeht, und strahlt dabei noch Torgefahr aus.

Dabei mangelt es ihm nicht an Selbstvertrauen: "Wir wissen, dass bei der Borussia im letzten Jahr Großes geleistet wurde. Daran wollen wir in diesem Jahr anknüpfen - und am Wochenende bei Borussia Dortmund den Anfang machen." Stindl will den nächsten Schritt machen, in Gladbach hat er die Riesenchance dafür.

Lars Stindls Statistiken der Saison 2014/15

Das Interview:

SPOX: Herr Kamps, Sie sind seit 1982 im Verein, trotzdem ist der Champions-League-Einzug auch für Sie ein Novum. Wie lange haben Sie gebraucht, um das wirklich zu realisieren?

Uwe Kamps: Das hat schon eine ganze Weile gedauert. Ich glaube am letzten Spieltag, als wir zu Hause gegen Augsburg gespielt haben, wurde es mir so richtig klar. Die Stimmung war einzigartig, alle Menschen haben eine unfassbare Euphorie ausgestrahlt. Ich muss ganz ehrlich sagen, dass es für mich eine riesen Sache ist, das noch erleben zu können. Die Jungs, das ganze Team, die Fans - alle haben mitgeholfen!

SPOX: In der Öffentlichkeit wird im Hinblick auf die Gruppenphase gewohnt tief gestapelt. Wie ist denn der Tenor innerhalb der Mannschaft?

Kamps: Dass wir sie alle weghauen (lacht). Nein, das spiegelt die Stimmung in der Mannschaft gut wider. Wir sind froh, dabei zu sein und freuen uns auf hoffentlich große Mannschaften und große Matches. Wenn wir dann am Ende als Dritter in der Europa League weiterspielen können, wäre das schon ein riesen Erfolg.

SPOX: Großen Anteil am CL-Einzug hat auch Yann Sommer. Wie sieht das Jahreszeugnis für Ihren Schützling aus?

Kamps: Yann hat das wirklich überragend gemacht. Er hat eine großartige Saison gespielt, in der Rückrunde sogar den Rekord für die wenigsten Gegentore der Geschichte gebrochen. Natürlich ist das immer auch ein Verdienst der ganzen Mannschaft, aber für einen Torwart, der neu in eine Mannschaft kommt und sich erst einfügen muss, war das schon sehr besonders.

SPOX: Dabei verlief der Start alles andere als reibungslos. Sommer patzte in mehreren Testspielen und in der Europa League. Inwiefern nimmt man als Trainer dann auch die Rolle des Psychologen ein?

Kamps: Das gehört immer dazu. Allerdings haben Yann und ich beide genügend Erfahrungswerte für solche Situationen. Wir haben darüber gesprochen und die Dinge aufgearbeitet. Vor allem, als andere versucht haben, von außen Unruhe zu stiften und meinten, es würde nicht für die Bundesliga reichen. Der Knackpunkt war dann das Spiel gegen Schalke, in dem Yann mehrfach herausragend gehalten hat. Danach war er voll drin.

BMG-Legende Uwe Kamps im Interview

Die Prognose:

Favre hatte im Gespräch mit der Sport Bild am Mittwoch betont, dass er den dritten Platz der Vorsaison "sofort" wieder unterschrieben würde.

Gleichzeitig mahnte er: "Es ist sehr gut gelaufen für uns. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch von der schwachen Hinrunde des BVB und der schwachen Rückrunde von Schalke profitiert haben. Leverkusen wird noch stärker sein, Wolfsburg sowieso."

Kurzum: Es wird für die Fohlen schwer, den Erfolg der vergangenen Spielzeit zu wiederholen. Das Drmic-Experiment wird dabei genauso zu beobachten sein, wie die Personallage in der Defensive. Weitere Ausfälle kann sich Gladbach hier schlicht nicht leisten.

Auch die psychologische Zusatzbelastung durch die Champions League wird die Fohlen einige Zähler in der Bundesliga kosten und so landet Gladbach am Ende zwischen dem vierten und dem sechsten Platz.

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