In der Ruhe liegt die Kraft - und wie!

Von Benedikt Treuer
VfB Stuttgart
© getty

Verhöhnt, belächelt, abgeschrieben: Noch vor wenigen Wochen erschien der VfB Stuttgart nur als Schatten seiner selbst. Mit dem Last-Minute-Sieg gegen Werder Bremen hat das Team von Huub Stevens nun grundlegende Tugenden im Abstiegskampf bewiesen. Das Verlassen des letzten Tabellenplatzes ist aber weit mehr als nur ein Lebenszeichen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Ab und zu wird man daran erinnert, warum man den Sport so liebt", schnaufte VfB-Sportvorstand Robin Dutt nach dem Schlusspfiff ins Sky-Mikrofon: "Es war alles drin - von individuellen Fehlern über wacklige Beine bis hin zur Entschlossenheit. Am Ende bin ich einfach nur glücklich", sagte der ehemalige Bremer Coach, der mit aller Mühe noch ein Lächeln drauf packte.

Dutt war mit dem Schlusspfiff anzumerken, welcher psychischen Last er und Huub Stevens in den vergangenen Wochen ausgesetzt waren und an den letzten Spieltagen noch ausgesetzt sein werden. Auch, wenn das Team letztlich auf dem Feld steht: Die ersten Namen, die beim Misserfolg infrage gestellt werden, sind die der sportlichen Verantwortlichen.

Deshalb signalisierte Dutt umso deutlicher, dass ihm das dramatische 3:2 gegen Werder vieles zurückgab - vor allem eine Bestätigung: "Es spricht für unsere Mannschaft, dass wir - wenn man von Ruhe sprechen kann - Ruhe bewahren", lautete das Lob ans Team, in das er sich und Stevens insgeheim wohl mit einschloss.

In der Ruhe liegt die Kraft

Denn Dutt ist es mit seiner Unaufgeregtheit gelungen, seinen Coach aus der Schusslinie zu nehmen. "Der Trainer ist nicht unser Problem, der Trainer ist unser Plus", hatte der Sportvorstand zuletzt immer wieder betont und das auch authentisch nach außen getragen.

Die Bundesliga geht in die heiße Phase - Jetzt bei Tipico wetten!

Nach dem 1:3 in Wolfsburg flammte die Trainerdiskussion gar nicht erst wieder auf, was womöglich auch eine beruhigende Wirkung auf das gesamte Team hatte: "Uns hat nie interessiert, welcher Trainer von außerhalb angeblich schon verpflichtet worden sein soll", bestätigte Doppel-Torschütze Daniel Ginczek.

Und so kam es, dass selbst Stevens wieder zurück zu seinem Humor fand: "Ich habe viel erlebt, aber was sie mir heute wieder angetan haben - unglaublich", so der gelöst wirkende Coach: "Das Team hat Moral. Das kann man nur hinkriegen, wenn man es gemeinsam tut, die Mannschaft mit den Fans. Das gibt auch Kraft."

Den Abstiegskampf verstanden

Das Duell mit Bremen legte deutlich offen, wie es dieser Tage um den VfB bestellt ist: Spielerisch wird Stevens' Truppe in allzu naher Zukunft keine Glanzzeiten erleben, kämpferisch haben die Schwaben aber genau die Qualitäten, die es im Abstiegskampf braucht - und sie können diese anwenden.

Angeführt von Kapitän Christian Gentner und angestachelt vom katastrophalen Tag des Martin Harnik: Stuttgart schaukelte sich im Kollektiv nach oben, sprach sich zu jedem Zeitpunkt im Spiel Mut zu und ließ sich selbst in Unterzahl nicht vom zweiten Ausgleichstreffer verrückt machen.

"Es war ein unbeschreibliches Gefühl, wir haben ein Riesenspiel gemacht und wollten auch nach dem Platzverweis auf Sieg spielen. Diese Mannschaft verdient ein großes Lob", fasste Ginczek die Gemütslage beim neuen Tabellen-Vorletzten zusammen.

Das Glück des Tüchtigen

Der Stürmer war nicht nur aufgrund seiner siegbringenden Treffer Sinnbild der Stuttgarter Willensleistung: Überragende 37 Zweikämpfe führte Ginczek gegen seine Bremer Gegenspieler - 22 davon in der Luft gegen Vestergaard und Lukimya. Stevens hat seiner Truppe klar gemacht, worauf es ankommt.

Der neuerliche Kraftakt, der dazu führte, dass Stuttgart aus den letzten drei Heimspielen starke sieben Punkte holte, hat bei den Spielern und Verantwortlichen weiteres Vertrauen in die eigene Arbeit freigesetzt. Wer sich zweimal zurückkämpft, in Unterzahl den entscheidenden Siegtreffer erzwingt und an Harniks vergebenen Tausendprozentern nicht verzweifelt, beweist tatsächlich Klasse.

Von daher scheint es, als haben die Stuttgarter gerade noch rechtzeitig ihren eigenen Boost freigesetzt: "Wir hatten am Schluss vielleicht das Quäntchen Glück, dass der letzte Ball rein geht", sprach Ginczek ein daraus resultierendes Produkt an: Das Glück des Tüchtigen.

"Wir glauben an uns"

"Sechs Endspiele" hat der VfB noch, wie die Verantwortlichen im Einklang formulierten. Mit Freiburg, Mainz, Hamburg und Paderborn geht es dabei gegen vier direkte Konkurrenten im Abstiegskampf.

"Ich gehe sehr positiv an die nächsten Aufgaben heran", demonstrierte Dutt nach Spielende seine Zuversicht. Dann wollte er aber nur noch zur Mannschaft - jedem Einzelnen gratulieren und wohl auch danken.

Bevor er das tat, sagte er aber noch entscheidende Worte: "Wir glauben an uns!" Ein Umstand, den man in Hamburg oder anderswo derzeit nicht vorfindet - und eine Tugend eben, mit der sich der VfB im Saison-Endspurt noch selbst belohnen könnte.

Stuttgart - Bremen: Die Statistik zum Spiel

Artikel und Videos zum Thema