Vorhang auf für das Horror-Szenario

Fassungslos vor der Dortmunder Südtribüne: Jürgen Klopp und seine Spieler
© Getty

Borussia Dortmund gehen nach der elften Niederlage im 19. Saisonspiel die Argumente aus. Die Mannschaft wirkt mental angeschlagen und die Stimmung unter den Fans kippt. Ein Neuanfang in der Winterpause war wohl nur Wunschdenken, die Fehler der Hinrunde wiederholen sich. Trainer Jürgen Klopp erwartet eine Reaktion in Freiburg. Aber steckt da noch mehr dahinter als leere Parolen?

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Mit offenem Mund und starrem Blick schaute Jürgen Klopp auf die Südtribüne. Jene glorifizierte Stehplatzwand, die in guten Zeiten den Enthusiasmus und die Leidenschaft der Spieler auf den Rängen widerspiegelte und auch in den schlechten Zeiten der Hinrunde die Mannschaft noch unterstützte und feierte, obwohl die Leistung eigentlich keinen Grund dafür bot.

Nach der elften Niederlage im 19. Saisonspiel aber kippte die Stimmung. Es gab Pfiffe, Beschimpfungen und "Wir wollen euch kämpfen sehen"-Sprechchöre. Roman Weidenfeller ging als Erster zu den Fans an den Zaun, Kapitän Mats Hummels folgte mit etwas Abstand, um mit den aufgebrachten Anhängern in den Dialog zu treten.

Ciro Immobile stand in unmittelbarer Nähe seines Trainers und vergrub einen Großteil seines Gesichts in seinen Händen. An seinen Augen war die Fassungslosigkeit abzulesen, die den italienischen Stürmer ob der Ereignisse erfasste. Er wusste natürlich auch, dass er zumindest für einen geminderten Schaden hätte sorgen können, wenn er in der ersten Minute der Nachspielzeit den Ball aus drei Metern ins Tor anstatt in die Arme des Augsburger Torhüters Alexander Manninger geköpft hätte.

Sorgen um den Verein

"Ich verstehe die Leute, die pfeifen. Sie machen sich Sorgen um den Verein. Das ist in Ordnung, damit muss man rechnen", sagte Klopp auf der Pressekonferenz. Das klang nach einer plausiblen Erklärung und großem Verständnis.

So einfach fiel dem Trainer die Bewertung seiner Mannschaft dagegen nicht. Klopp sprach von falschen Entscheidungen, fehlender Konsequenz und nervlicher Belastung, die zu diesem Ergebnis geführt hätten.

Es waren aber auch Worte, die einem bekannt vorkamen und in ähnlicher Form schon nach dem letzten Hinrundenspieltag in Bremen gefallen sind.

Gründe für die Probleme der Hinrunde

Klopp hatte damals angekündigt, dass der BVB eine "erbitterter Jäger" sein werde. Er trug das mit solcher Klarheit und Entschlossenheit vor, dass sich selbst Mannschaften wie Borussia Mönchengladbach oder Schalke 04 noch Gedanken machten, ob die Dortmunder nicht doch noch in den Kampf um die Champions-League-Plätze eingreifen werden.

Falls auch der eine oder andere Spieler noch daran geglaubt haben sollte, dürfte sich das am Mittwochabend ein für alle Mal erledigt haben.

Die Dortmunder haben in der Vorrunde ja einige akzeptable Gründe für ihre Talfahrt aufführen können. Die lange Verletztenliste, die fehlende Fitness einiger Leistungsträger, zu wenige Trainingseinheiten in der Vorbereitung aufgrund der WM und während der englischen Wochen. Das alles habe dem Team die Stabilität sowie Sicherheit geraubt.

Ein klarer Rückschritt

Die Vorbereitung im Winter und das Trainingslager in La Manga wurden deshalb als Neuanfang ausgerufen. Vier Wochen zusammen trainieren, Abläufe einstudieren und sich körperlich in Schuss bringen, dann reicht das schon. So lässt sich die Erwartung der sportlichen Leitung verkürzt zusammenfassen.

Einen Monat nach Trainingsauftakt lässt sich feststellen, dass die alten Probleme noch da sind und die positive Rhetorik den Januar nicht überlebt hat. Das Spiel in Leverkusen wurde trotz offensichtlicher Schwächen im Offensivspiel noch als Schritt nach vorne gedeutet, weil immerhin ein Zu-Null-Spiel heraussprang.

Das Spiel gegen Augsburg war aber ganz klar ein Rückschritt - auch im Vergleich zu den Heimspielen Ende der Vorrunde gegen Borussia Mönchengladbach, 1899 Hoffenheim und den VfL Wolfsburg. Die Katastrophen-Hinrunde ist nicht abgewickelt, die Trendwende nicht geschafft. Vielmehr hat sich der Vorhang geöffnet für das nächste Horror-Szenario in der Rückrunde.

Ratlos, planlos, ideenlos

Von einstudierten Abläufen, klaren Strategien oder gar Stabilität war nichts zu sehen. Die Dortmunder waren in Ballbesitz einmal mehr plan- und ideenlos, das Passpiel wieder unterdurchschnittlich. Neuzugang Kevin Kampl ist bemüht, tut sich in einer darbenden Mannschaft aber schwer. Marco Reus kommt über Ansätze nicht hinaus, Shinji Kagawa hat zwischen Dortmund und Manchester seine Leichtigkeit verloren. Und Ciro Immobile ist weiter ein Fremdkörper.

Die Dynamik des BVB-Fußballs aus alten Tagen verkörpert im Moment nur Pierre-Emerick Aubameyang, der aber sicher kein Typ ist, der die Mannschaft mitreißen kann. Im Mittelfeld haben Nuri Sahin und Ilkay Gündogan mehr mit sich selbst zu tun, als dass sie eine Mannschaft führen und das Spiel mit ihren technischen Fähigkeiten lenken könnten.

Die Defensive offenbart weiter große Räume und individuelle Schwächen. Das Gegenpressing funktioniert nur in Teilbereichen und wird nicht konsequent verfolgt.

Wie tief die Verunsicherung und Ratlosigkeit in den Knochen der BVB-Profis steckt, offenbarte sich am deutlichsten nach dem Platzverweis gegen Christoph Janker. "Nach der Roten Karte haben wir nichts mehr zustande gebracht", sagte Klopp.

Klopp präsentiert die alten Ideen

Und so steht der Champions-League-Achtelfinalist Borussia Dortmund nach 19 Spieltagen weiterhin auf Platz 18. Die erschütternde Bilanz weist elf Niederlagen und erst 18 geschossene Tore aus - nur der HSV (12) hat weniger Treffer erzielt.

"Ich bin derjenige, der die Mannschaft wieder in die Spur bringen muss und ich werde das auch tun", kündigte Klopp an. Es ist noch immer so, dass die Verantwortlichen Hans-Joachim Watzke und Michael Zorc ihm das auch zutrauen.

Aber die Ideen, die der Trainer dazu in der Öffentlichkeit formuliert, sind die alten: mehr Mut, mehr Entschlossenheit, mehr Konsequenz und mehr richtige Entscheidungen. "Wir müssen den Jungs den Glauben zurückgeben, daran arbeiten wir schon die ganze Zeit, anscheinend noch nicht genug", sagte Klopp. Er stellt sich weiter vor die Mannschaft, von einer Verschärfung des Tons hält er nichts.

Nichtabstiegsplatz in greifbarer Nähe

Vor den Mikros der TV-Stationen und auf der Pressekonferenz wirkte Klopp wieder deutlich gefasster als in den Augenblicken vor der Südtribüne. Er vermittelt nach wie vor einen positiven Eindruck, der an einen baldigen Umschwung glauben lässt. Das ist bei zwei Punkten Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz auch jederzeit möglich.

Vielleicht schon am Samstag in Freiburg, wo der BVB gegen einen Konkurrenten im Abstiegskampf erneut gegen seine Auswärtsschwäche ankämpfen muss. Zur Einstimmung auf dieser Partie bediente sich Klopp dann schon mal der Mutter aller Parolen: "Wir müssen in Freiburg eine Reaktion zeigen." Das erwarten auch die Fans.

Dortmund - Augsburg: Daten zum Spiel

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