Das Licht anknipsen

Von Stefan Rommel
Borussia Dortmund überwintert diese Saison auf Platz 17
© getty

Die Gründe für Borussia Dortmunds beispiellosen Sturz ans Tabellenende sind reichlich erläutert worden. Jürgen Klopp kündigt für die Winterpause herzhafte Einheiten auf dem Trainingsplatz an - dabei ist der Trainer mindestens genauso als Seelendoktor gefragt.

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Die Spieler von Borussia Dortmund hatten sich in dieser Saison bereits daran gewöhnt: Nach dem Ende einer Partie in die Kurve der eigenen Fans zu gehen und dort nicht zu klatschen, zu singen oder zu hüpfen.

Neun Niederlagen hatte der BVB vor diesem Wochenende in der Bundesliga schon einstecken müssen, in Auswärtsspielen zuletzt von 21 möglichen Punkten einen einzigen ergattert. Mit dem 1:2 bei Werder Bremen verschlechterte sich die Bilanz noch einmal dramatisch.

Also standen die Spieler fast zwei Minuten lang nur stumm da und blicken in den Oberrang des Weserstadions. Ihnen gegenüber rund 5000 BVB-Fans, die meisten von ihnen ebenso apathisch, konsterniert und regungslos. Eine merkwürdige Szenerie.

Die Suche nach Erklärungen

Die Borussia schließt erstmals in ihrer Geschichte die Vorrunde auf einem direkten Abstiegsplatz ab, die Ausbeute von vier Punkten aus neun Spielen auswärts ist unterirdisch schlecht. Wurde zu Beginn der Saison allenfalls eine Ergebniskrise proklamiert, gesellte sich im Laufe der Vorrunde auch der spielerische Verfall dazu.

Zehn Pleiten in der Vorrunde sind kein Zufall oder Pech. Dafür gibt es Ursachen, die die Verantwortlichen und die Spieler fast ausnahmslos in der fehlenden körperlichen und geistigen Frische verorten.

Zorc: Mit Klopp in die Rückrunde

"Fast jeder unserer Stammspieler ist mit einer Verletzung durch die Vorrunde gegangen. Von denen, die quasi immer gespielt haben, konnte fast keiner bei hundert Prozent sein. Das gilt für mich selbst auch. Ich hoffe, dass ich vielleicht zum ersten Mal seit der WM etwas schmerzfrei machen kann, das wäre auch mal interessant", sagte Mats Hummels etwas sarkastisch.

Der Kapitän war zunächst der einzige Feldspieler, der sich nach der Partie gestellt hatte. Torhüter Mitch Langerak sagte dem klubeigenen TV-Sender noch ein paar Takte, Oliver Kirch gab später noch ein kurzes Interview. Ansonsten gingen die Spieler auf Tauchstation, wie in den 90 Minuten zuvor auch.

Mehr als nur fehlendes Training

Hinterher waren sich alle über die Gründe für den spektakulären Absturz des BVB in dieser Saison einig. "Die meisten Jungs mussten mit einer ganz kurzen oder gar keiner Vorbereitung oder einer Verletzungssituation heraus relativ schnell in den Drei-Tages-Rhythmus kommen und konnten ihre Leistung entsprechend nicht abrufen", erklärte Trainer Jürgen Klopp noch einmal das, was er schon etliche Male davor erklärt hatte. "Wenn man sich die Ausgangslage in Ruhe anschaut, sieht man, dass keiner dieser Spieler das für eine Bundesliga-Saison notwendige Training führen konnte..."

Wer am Samstag in Bremen aber zwischen den Zeilen las, konnte noch ein paar andere Missstände feststellen - und die hatten ihre Ursachen nicht unmittelbar in einer körperlichen oder taktischen Unterversorgung der Mannschaft. Der BVB spulte das Spiel wie eine handelsübliche Bundesligapartie ab. Der Gegner spielte, es ginge es um sein Leben.

Klopp auf der PK: "Wir haben dem Verein geschadet"

Werder Bremen verbiss sich von der ersten Sekunde in die Partie, war leidenschaftlich und aggressiv. Die Gastgeber zeigten jene Einstellung, die man in einem derart wichtigen Spiel an den Tag legen sollte. Der BVB hatte dem nur selten etwas entgegenzusetzen und es drängte sich der Verdacht auf, die Mannschaft hätte auch am 17. Spieltag den Ernst der Lage noch nicht erkannt.

"Das sehe ich nicht so, nein. Man schreibt das immer der Heimmannschaft zu, weil da einfach die Fans lauter sind bei einem gewonnenen Zweikampf. Aber ich denke nicht, dass Leidenschaft und Einstellung ein Problem sind", sagte Hummels dazu.

Kaum noch Kommunikation

Man muss der Mannschaft keine zwischenmenschlichen Störungen andichten, auch wenn einige Indizien der letzten Wochen zumindest den Anschein erweckten, dass es innerbetrieblich auch schon mal reibungsloser zugegangen ist.

Was aber in den letzten Wochen sehr deutlich wurde, ist die fehlende Kommunikation untereinander auf dem Platz. Kapitän Hummels nannte ungewollt ein Beispiel: "Nach zweieinhalb Minuten stehen wir bei einem normalen Angriff in Unterzahl hinten drin - das ist natürlich schon erstaunlich", sagte er. Danach machte er eine kurze Pause, um seine Worte ein wenig wirken zu lassen.

Das Problem sind nicht nur die Rückschläge an sich - der BVB war in Bremen nach 124 Sekunden trotz aller guten Vorsätze ins Hintertreffen geraten. Es ist die Art und Weise, wie die Mannschaft danach mit ihnen umgeht. In den letzten Wochen zerfiel das Team in den Auswärtsspielen förmlich. Jeder Einzelne war nur noch mit sich selbst beschäftigt.

Die vom Trainerteam ausgegebenen Konzepte und Ansatzpunkte rückten in den Hintergrund, "nach dem Rückstand waren wir viel zu hektisch und haben unseren Fußball nicht gespielt", sagte Klopp. Es bedarf im Moment nicht viel, um eine Mannschaft gespickt von Nationalspielern komplett aus der Bahn zu werfen und in eine Ansammlung belasteter Einzelspieler zu verwandeln.

Gerade dann aber wäre die verbale Hilfestellung für den Kollegen noch wichtiger, eine positive Körpersprache oder sogar der schroffe Kommandoton. Das alles wäre besser, als die Mitspieler mit ihrem Selbstmitleid und der Aussicht darauf, dass es ein anderer schon irgendwie richten wird, alleine zu lassen.

"Erstaunlich, wie mies wir auswärts sind"

Jürgen Klopp sprach in den letzten Wochen und Monaten oft von der fehlenden Stabilität seiner Mannschaft, besonders in den Abläufen in der Defensive. Trotzdem hat er seine Mannschaft auch immer wieder von neuem im BVB-Stil ausgerichtet und spielen lassen. Vielleicht wäre es eine Option gewesen, über Teilerfolge wieder mehr Zutrauen in die eigene Leistungsfähigkeit zu gewinnen. Mit geordneten Defensivstrategien in Köln, Paderborn, Frankfurt, Berlin oder Bremen.

Diese Pflichtaufgaben in Abwechslung zu den großen Spielen in der Champions League und bei den Bayern - trotz Niederlage Borussias mit Abstand bestes Auswärtsspiel der gesamten Saison - haben die Mannschaft in ihrem körperlichen und vor allen Dingen auch geistig ermatteten Zustand offenbar überfordert.

"Man kann das schon gar nicht mehr mit Galgenhumor nehmen. Es ist erstaunlich, wie mies wir auswärts sind", sagt Hummels. "So wie wir das gerade spielen, stehen wir zu Recht da unten drin. Das muss man ganz klar sagen."

Klopp als Seelendoktor

Sein Trainer hat am Samstagabend im Bauch des Weserstadions die Perspektiven und Lösungsansätze umrissen, mit denen er seine Mannschaft aus dem Dunkeln führen will. "Heute ist ein ganz schwerer Tag, aber es ist noch nicht vorbei", sagte er. "Es ist nicht unmöglich, dass irgendwann ein Lichtlein im Tunnel angeht."

Klopp stellt die körperliche Arbeit für das Trainingslager in La Manga in Aussicht, und dass er seinen Spielern wieder ein funktionierendes spieltaktisches Korsett anfertigen will. Wie er die Erschütterungen ausgleichen will, die die "beschissenste Vorrunde unseres Lebens" angerichtet haben, ließ er offen.

Er wird seinen Spielern neben jeder Menge handwerklichem Rüstzeug auch wieder eine neue Mentalität und Zusammenhalt beibringen müssen. Alleine zu hoffen, dass sich dies über die entsprechend erfolgreichen Ergebnisse von allein wieder einstellen könnte, wird nicht reichen. Auch das hat die Vorrunde gezeigt.

Bremen - Dortmund: Die Statistik zum Spiel

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