Zusammen sind wir gut

Von SPOX
Patrick Herrmann war der Matchwinner gegen die TSG 1899 Hoffenheim
© getty

Borussia Mönchengladbach begeistert weiter die Bundesliga. Mit dem Sieg über die TSG 1899 Hoffenheim am 10. Spieltag löst man ein altes Versprechen ein und kann gelaunt zum Spiel gegen Borussia Dortmund fahren.

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Etwas unheimlich wurde es im Borussia-Park zwischen der 50. und 60. Minute. Das Stadion schwieg beinahe, Gladbach erspielte sich Chance um Chance. Die Hoffenheimer, eigentlich Angstgegner der Borussia, liefen nur hinterher, fanden nicht in die Zweikämpfe und brachten es schon gar nicht fertig, die blitzartigen Konter zu unterbinden.

Das Schweigen auf den Rängen war wie ein stilles Kopfschütteln der Fans. Keiner mag das so recht glauben, was sich derzeit in der Liga abspielt. Lucien Favre und sein Team stehen auf Platz drei der Bundesliga, punktgleich mit dem Zweiten aus Wolfsburg. Ein paar wenige Millimeter trennen die Fohlen von den Bayern in der Tabelle.

Jeden Spieltag wieder wartet die Bundesliga auf eine Pleite, irgendwann muss es doch passieren. Aber nicht mit Gladbach. Die Integration der Neuzugänge ist geglückt, Favre kann endlich rotieren. 17 verschiedene Formationen schickte er schon auf das Spielfeld - in 17 Spielen. Die Dreifachbelastung lässt sich so bestens ertragen, selbst Verletzungen wie die von Granit Xhaka können inzwischen einfach aufgefangen werden.

"Ich arbeite gut"

"Zusammen sind wir gut", machte der Coach nach dem Spiel klar. Das ist das, worauf die Mannschaft aufbauen kann. Eine starke Basis haben Max Eberl und Favre in den letzten Jahren gelegt. Die Einstellung stimmt, das Mannschaftsgefüge ist herausragend. "Ich arbeite gut, aber ich arbeite nicht alleine. Der Sportvorstand, die Medizinabteilung, meine Trainerkollegen - die Zusammenarbeit funktioniert sehr, sehr gut", wehrt der 57-Jährige das zahlreiche Lob ab.

Dabei ist es mehr als verdient. Die konstant gute Arbeit hat Gladbach in die Spitzengruppe getragen. Am 24. Mai 2011 zittert man noch, ob Marco Reus rechtzeitig für das Relegationsrückspiel gegen den VfL Bochum fit werden würde. Er tat es und hielt seinen Verein im Oberhaus. Danach steckte man seinen Abgang ebenso weg, wie den von Roman Neustädter oder Marc-Andre ter Stegen. Leistungsträger, die ohne großes Jammern ersetzt wurden.

Schritt für Schritt nach oben

Aufgefangen von exzellentem Personalmanagement und einem System, das Favre in den letzten Jahren Stück für Stück weiter ausgebaut hat. Aus der defensivstarken Mannschaft, die er in den ersten Monaten seiner Amtszeit formte, wurde ein Team, das mit viel Ballbesitz in der eigenen Hälfte spielt. Das den Gegner lockt, um dann freigewordene Räume zu nutzen.

Nun ist der nächste Schritt getan. Konter auf Weltklasse-Niveau hat man gesehen gegen den FC Bayern München, gegen Hannover und auch gegen Hoffenheim. Das Ballbesitzspiel kommt zum Tragen, Gladbach kann das Spiel eröffnen, sicher hinten raus kombinieren und auch das Spiel dominieren, wenn der Gegner es verlangt. Dann wird es schnell und im Falle des 10. Spieltags sogar oft unaufhaltbar.

Dass dabei die Defensive nicht immer sattelfest aussah und sich sogar ein Routinier wie Martin Stranzl gleich mehrere haarsträubende Abspielfehler leistete, wird vom Kollektiv aufgefangen. Andre Hahn spulte mehr als zwölf Kilometer ab, ebenso wie Christoph Kramer, Patrick Herrmann und Alvaro Dominguez. Jeder steht für den anderen ein und ist bereit, die Fehler des anderen auszubessern.

Alle für einen, einer für alle

Szenen wie in der 81. Minute, als Herrmann sich hinter Dominguez fallen ließ, um den aufgerückten Linksverteidiger abzusichern, sind Alltag bei der Borussia. Gegen den Ball spielen alle mit, Max Kruse und Raffael bestritten zusammen fast 40 Zweikämpfe gegen Hoffenheim. Das 4-4-2 macht es einfach, jeder hat einen Spieler vor beziehungsweise hinter sich. Das Doppeln fällt leicht, die Absprache ebenso.

Dass jede Aktion bejubelt wird, lässt die Spieler noch mehr laufen und kämpfen. "Wir haben in Mönchengladbach den großen Vorteil, dass unsere Fans den Fußball verstehen", merkte Favre im Anschluss an die Partie an. Schwer zu verstehen ist das Grundprinzip auch nicht: Defensive Sicherheit mit schnellen Kontern. Es zu analysieren und vor allem zu stoppen, aber umso mehr.

Pep Guardiola fasste vor dem Kracher am 8. Spieltag zusammen: "Gladbach hat eine sehr gute Organisation, sehr gute Ordnung, eine perfekte Defensivarbeit. Sie kontern sehr gut. In Ballbesitz sind sie ruhig." Dennoch war der Rekordmeister letztlich nahe an der Niederlage, Manuel Neuer musste sich mehr als einmal auszeichnen.

Herrmanns Leistungen herausgekitzelt

Bei allem Kollektiv wissen einige Spieler herauszustechen. Nicht ein Spieler überstrahlt jedoch konstant alle, Spiel für Spiel übernimmt ein anderer die Rolle des Entscheiders. Gegen die TSG war es Herrmann, der an allen drei Toren seiner Mannschaft direkt beteiligt war. Zuvor waren es Ibrahima Traore, Hahn oder Kruse.

Favre kitzelt aus den Offensivspielern alles heraus. "Zusammen sind wir gut", das schließt nicht nur die Spieler ein, die auf dem Platz stehen, sondern auch jeden einzelnen Mann auf der Bank oder der Tribüne. Herrmann beispielsweise fand sich ungewohnt oft auf der Bank wieder. Echte Stammplätze sind rar geworden, dafür ist die interne Konkurrenz zu groß.

Den Spielern tut das gut. Zu wissen, dass es immer einen gibt, der es besser machen will, als man selbst. Zu wissen, dass man bei Unkonzentriertheiten schnell zusehen muss. Aber auch zu wissen, dass man in schwierigen Phasen eine Pause erhalten kann, ohne die Mannschaft entscheidend zu schwächen.

Der Weg zum Spitzenteam

Dennoch gibt es noch den Krater zu überwinden, der zwischen "im Stile eines Spitzenteams" und einem echten Spitzenteam liegt. Gladbach ist nahezu komplett frei von Verletzungssorgen, die Form macht sie derzeit so stark. Die Frage ist, was passiert, wenn man mal eine plötzliche Niederlage verarbeiten muss.

Davor hat selbst Favre Bammel: "Wir hätten das 4:1 machen müssen. Wir haben bis zum Schluss gelitten." Eberl hält fest: "Wir genießen den Moment, stehen berechtigt da oben. Wir haben immer gesagt: Wenn mal einer der großen Fünf schwächelt, wollen wir da sein. Es ist noch ein langer Weg, aber den wollen wir gehen. Die Tabelle ist eine Momentaufnahme."

Das Versprechen haben sie eingehalten. Dortmund schwächelt, Leverkusen und Schalke kämpfen noch mit diversen Problemen. Und Gladbach ist da. Mit "breiter Brust" kann man "durch die Republik gehen", man "ist stolz auf die Borussia", erklärte der Sportdirektor nach dem 17. ungeschlagenen Ligaspiel in Folge. Der Rekord von Hennes Weisweilers Meistermannschaft aus der Saison 1970/71 ist damit eingestellt.

Gladbach - Hoffenheim: Die Statistik zum Spiel

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