Stunde Null im Volkspark

Von Stefan Rommel
Der HSV hofft nach der desolaten letzten Saison auf eine bessere Platzierung
© getty

Vor dem Start der 52. Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Der Hamburger SV.

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127 Jahre wird der Hamburger SV in wenigen Wochen alt. Eine derart turbulente Saison wie die abgelaufene haben die Hamburger aber seit 1887 wohl noch nie hingelegt.

Drei Trainer und der Umweg über die Relegation waren nötig, um den ersten Bundesligaabstieg des HSV in seiner Klubgeschichte zu verhindern. Auf dem Platz und hinter den Kulissen ging es teilweise drunter und drüber - das Ergebnis jahrelanger Misswirtschaft und falscher Entscheidungen gipfelte beinahe im Desaster für den stolzen Klub.

Hamburg rettete sich letztlich weniger aus eigener Kraft, denn vielmehr dank des Komplett-Versagens der unmittelbaren Konkurrenz vor dem Gang in die Zweitklassigkeit. Im Prinzip kann in der anstehenden Saison also alles nur noch besser werden...

Das ist neu:

Der wichtigste Zugang ist kein Spieler. Es ist Dietmar Beiersdorfer. Der verlorene Sohn ist nach fünf Jahren zurück beim HSV und hat in wenigen Wochen gefühlt schon mehr wichtige Dinge in die richtigen Bahnen geleitet als alle seine Vorgänger in den letzten Jahren.

Beiersdorfer hat bei Gönner Klaus-Michael Kühne das nötige Startkapital für den Neuanfang beschaffen können und treibt die Personalplanungen hinter den Kulissen weiter voran. Mit Bernhard Peters und vielleicht auch Peter Knäbel schart er die nötige Kompetenz um sich.

Beiersdorfer hat aber unter anderem das Problem, dass er bis auf weiteres in Personalunion mehrere Jobs gleichzeitig ausfüllen muss. Nach dem Rauswurf von Oliver Kreuzer auch den des Kaderplaners und Sportdirektors. Das frisst Zeit und Energie, ist in dieser Transferperiode aber nicht mehr zu ändern.

Also macht Beiersdorfer das Beste aus der Situation und hat seinem Trainer Mirko Slomka in Valon Behrami, Nikolai Müller und zuletzt auch Matthias Ostrzolek drei absolute Wunschspieler auf den Hof gestellt. Die Zugänge dürften vom ersten Spieltag an gesetzt sein und gelten als dringend notwendige Lösungen für drei klassische HSV-Problemzonen.

Trainer Slomka hat in der Vorbereitung enormen Wert auf die entsprechenden körperlichen Voraussetzungen gelegt, die Mannschaft sei nun sogar fit für mehr als 90 Minuten. Auf dieser Basis will Slomka Schritt für Schritt eine neue Mentalität und auch eine andere Art von Fußball installieren.

Die Taktik:

Der HSV wird beim 4-4-1-1 in der Defensivbewegung bleiben. Alte Stilmittel wie der zwischen die Innenverteidiger abkippende Sechser im Spielaufbau sind endgültig vom Tisch, stattdessen soll Kapitän Rafael van der Vaart wieder eine tragende Rolle zukommen.

Nach dem Weggang von Hakan Calhanoglu richtet sich die Mannschaft in der Offensive wieder deutlich mehr am Niederländer aus. Van der Vaart wiederum zog sich in den Testspielen gerne in die Halbräume im defensiven Mittelfeld zurück, um von dort aus das Spiel vor sich zu haben und die Bälle zu verteilen.

Ostrzolek soll die Dauer-Baustelle links in der Viererkette schließen, Behrami ist neben dem zwar spielintelligenten, aber zu wenig defensiv denkenden Milan Badelj auf der Doppel-Sechs endlich ein aggressiver Defensivstratege. Das zentrale defensive Mittelfeld war mit Badelj und Tolgay Arslan zu offensiv ausgerichtet, der abgewanderte Tomas Rincon brachte zwar eine gewisse Körperlichkeit mit, war aber technisch-taktisch zu schwach für diese wichtige Position.

Mit Rückkehrer Gojko Kacar kristallisierte sich eine echte Alternative für die Innenverteidigung heraus. Jetzt fällt der Serbe wegen einer Knieverletzung lange aus und Slomka muss erneut umbauen.

Besonders interessant wird die Rolle von Müller sein. Der ehemalige Mainzer ist ein Schlüsselspieler im von Slomka gewünschten schnellen Umschaltspiel. Allerdings sind alle drei Neuen erst relativ kurzfristig zum Team gestoßen; Anlaufschwierigkeiten sind zumindest nicht ausgeschlossen.

Ungeachtet aller Personalien wird die komplette Mannschaft aber ihr Defensivverhalten radikal ändern müssen. 75 Gegentreffer in der abgelaufenen Saison waren mit Abstand die meisten aller Bundesligisten und für den HSV schlicht indiskutabel.

Der Spieler im Fokus:

Valon Behrami ist der Königstransfer des Sommers. Mindestens genauso wichtig wie der Schweizer wird aber ein rundum verbesserter Rafael van der Vaart für die Mannschaft sein. Der Routinier hat die wohl schwächste Saison seiner Karriere gespielt und blieb weit hinter den Erwartungen zurück.

Dass einer wie er aber den Unterschied ausmachen kann, ist unbestritten. Nur muss er dafür ab sofort auch dann wieder in den Vordergrund treten, wenn es für die Mannschaft mal nicht läuft. Zu oft war Van der Vaart zuletzt unsichtbar, wenn es brenzlig wurde. An Youngster Calhanoglu konnten sich die Mitspieler und Fans dagegen eher orientieren. Der ist weg und mit ihm der beste Scorer der Mannschaft. Seine Tore und Vorlagen zu kompensieren ist eine der Hauptaufgaben für Van der Vaart.

Die Bestätigung als Kapitän ist auch als Zeichen von Slomka an seinen wichtigsten Spieler zu verstehen: Der Trainer spricht Van der Vaart, um den sich lange Wechselgerüchte gerankt hatten und der mittlerweile kritischer betrachtet wird, ausdrücklich sein Vertrauen aus.

Der Niederländer selbst wirkte in der Vorbereitung spritziger und auch gedanklich frischer und interpretierte seine Rolle als Spielgestalter wieder mit mehr Verve und Hingabe. Van der Vaart muss wieder zum Kopf der Mannschaft werden, er muss dem Team und das Team seinem Kapitän helfen.

Rafael van der Vaarts Statistiken der Saison 2013/14

Die Prognose:

Die ersten wichtigen Schritte sind getan, der HSV hat seinen Kader verstärkt und sich dabei auf neuralgische Brennpunkte konzentriert. Das macht in Verbindung mit der verbesserten Grundlagenausdauer und der Gewissheit, sich auch durch eine total verkorkste Saison gekämpft zu haben, durchaus Hoffnung.

Die Tests in der Vorbereitung waren aufschlussreich, allerdings nicht nur in positiver Weise. Die Mannschaft ist noch immer zu wankelmütig und wenig konstant in ihren Leistungen. Dazu kommen einige Makel, die dem Team bereits in der Vergangenheit serienweise Punkte gekostet haben.

Die fehlende Handlungsschnelligkeit in Schlüsselsituationen, die individuellen Fehler in allen Bereichen des Spielfelds, das schlechte (individuelle) Verhalten bei Defensivstandards. Mirko Slomka hat noch jede Menge Arbeit vor sich.

Und noch etwas: Im Angriff gibt es drei klare nominelle Spitzen, Pierre-Michel Lasogga, Artjom Rudnevs und Jacques Zoua. Drei Stürmer, drei fast identische Spielertypen. Variabilität ist ganz vorne drin kaum zu erwarten. Und dass der mit Abstand gefährlichste der drei Angreifer momentan einmal mehr verletzt ist und wichtige Teile der Vorbereitung verpasst hat, ist bedenklich. Der totale Fokus auf Lasogga wäre jedenfalls leichtsinnig.

Der Hamburger SV sieht sich einer kuriosen Situation ausgesetzt: Die Ansprüche des Umfelds könnten nach den letzten zwölf Monaten niedriger kaum sein. Das wiederum kann im besten Fall den Druck von der Mannschaft nehmen. Andererseits hat dieses Team zu oft bewiesen, dass es straff geführt werden muss und mit zu viel Freiraum offenbar nicht umgehen kann.

Die Mannschaft wird sich auch dank der Zugänge stabilisieren, wenngleich es immer mal wieder auch Ausreißer nach unten geben könnte. Das oberste Ziel kann nur sein, so früh wie möglich den Klassenerhalt zu schaffen. Ein Platz im Mittelfeld der Liga wäre ein kleiner, ein einstelliger Tabellenplatz ein großer Erfolg.

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