In eine neue Zeit

Von Stefan Rommel
Werder Bremen hat in der Sommerpause einen Umbruch vollzogen
© Getty

In den Tagen vor dem Start der neuen Bundesliga-Saison stellt SPOX alle 18 Klubs in einer Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Werder Bremen.

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Der Etat ist geschrumpft wie die Erwartungen der Verantwortlichen und Fans: Werder Bremen, einst Dauergast in Europas innerem Zirkel, fängt wieder einige Stufen weiter unten an. Der Verein hat sich für Tabula rasa entschieden.

Das mag auf den ersten Blick ernüchternd sein. Für die Bremer und ihr Selbstverständnis aber kann es auch reinigende Wirkung haben.

Das ist neu

Die personellen Altlasten wurden nicht wie in den Jahren davor schrittweise abgetragen. In diesem Sommer holte Werder vergleichsweise weit aus und trennte sich von mehreren hochkarätigen Spielern. Deren Dienste waren dem verdienten Gehalt nicht mehr in dem Maße angemessen wie noch vor einigen Jahren. Und da auch die erforderlichen Erfolge ausblieben, musste Klaus Allofs nun einen tiefen Schnitt vornehmen.

Damit dürfte auch dem letzten Fan klar sein, dass die Rückkehr nach ganz oben nicht schnell wieder gelingen wird. Werder wird Zeit brauchen und sich diese auch nehmen. Dafür soll das Duo Allof/Schaaf stehen, beide gehen in ihr 13. Jahr als Verantwortliche bei Werder.

Von den Granden aus der alten Zeit ist nur noch Clemens Fritz geblieben. Zusammen mit Aaron Hunt soll er einen ebenso bunten wie jungen Haufen anleiten. Das ist ein Risiko, zumal der Verein viel Qualität verloren hat: in Claudio Pizarro, Tim Wiese, Naldo, Marko Marin. Dazu hat in Mikael Silvestre, Markus Rosenberg und Tim Borowski auch jede Menge weitere Erfahrung den Klub verlassen.

Der Altersschnitt wurde gesenkt, Werder geht mit einem der jüngsten Kader aller Bundesligisten in die Saison. Das zweite Jahr ohne Einnahmen aus dem internationalen Geschäft hat zu einem Umdenken gezwungen. Immerhin ist den Machern auf dem Transfermarkt der eine oder andere vielversprechende Vorstoß gelungen.

Für kurzzeitigen (virtuellen) Trubel sorgte die Verpflichtung von Wiesenhof als neuem Haupt- und Trikotsponsor. Der im Internet angekündigte große Proteststurm blieb bisher aber aus.

Die Taktik

Endlich mal was neues in Bremen. Thomas Schaaf hat sich auf Grund der Kaderzusammenstellung für eine neues System entschieden - oder hatte ein neues System schon im Kopf und entsprechend die Spieler dazu verpflichtet? Jedenfalls soll das 4-4-2 mit Raute im Mittelfeld vorerst der Vergangenheit angehören.

Jetzt soll es nur noch einen zentralen Angreifer geben, dafür drei defensiv orientierte Mittelfeldspieler und zwei hängende Spitzen auf den Seiten. Ein 4-3-3 wurde häufig gesichtet in den Vorbereitungsspielen. Da probierte es Schaaf auch mit einem 4-1-4-1.

Im Prinzip ist es egal, auf welchen Namen die neue Ausrichtung hört. Im Kern geht es um die Lösung zweier Probleme der letzten Jahre: Werder ging im Angriffspiel immer mehr die Kreativität verloren. Die Flügelbesetzung mit Marko Arnautovic und Eljero Elia steht gleichbedeutend für Esprit und Tempo. Im Bereich dahinter wechseln sich ebenfalls spielstarke Akteure ab, vorne ist Nils Petersen bis auf Weiteres gesetzt.

Dazu muss Schaaf die traditionell ausbaufähige Defensivarbeit der Mannschaft endlich in den Griff bekommen. Bisher funktioniert die Offensive schon sehr gut. Dagegen offenbart die Defensivleistung noch gravierende Lücken. Für Kritiker des klassischen Werder-Stils im Prinzip nichts Neues. Auch wenn Abwehrchef Sokratis beteuert: "Hinten gibt's keine Probleme." In Wahrheit muss sich die offensive Ausrichtung erst in den Härtetests des Ernstfalls behaupten.

Die letzten Testspiele (sechs in Folge mit mindestens einem Gegentor,) und das ernüchternde Pokal-Aus in Münster mit vier Gegentoren (nach Verlängerung) gegen einen Drittligisten zeigen, dass die Balance noch lange nicht stimmt. Dazu gibt es auch erste Misstöne. Einige hätten nicht kapiert, wie man sich einzubringen hat, sagte Allofs. Irgendwie kennt man diese Sätze schon zur Genüge...

Der Spieler im Fokus

Es gäbe einige im Bremer Kader. Sebastian Mielitz etwa, dessen Stunde nach Jahren des Darbens gekommen ist. Oder Eljero Elia, der zuletzt in Turin ein Jahr lang die Ersatzbank gehütet hat. Ebenso erging es Nils Petersen in München. Schafft Mehmet Ekici die Rückkehr zu alter Leistungsstärke, nimmt Kevin de Bruyne die Herausforderung Bundesliga? Am spannendsten dürfte aber der Saisonverlauf von Marko Arnautovic werden. Der Österreicher geht in seine dritte Saison bei Werder.

Bisher hat er nur ansatzweise das zeigen können, was in ihm steckt. Arnautovic ist unbestritten einer der begabtesten Fußballer der Liga, er muss sein Potenzial aber endlich auch konstant auf den Platz bringen. Erst dann wird er für Werder das, was sich der Verein seit langem von ihm verspricht. Andernfalls muss man sich eingestehen, dass das Experiment gescheitert ist.

Immerhin darf der 23-Jährige jetzt auf seiner Lieblingsposition auf dem Flügel antreten, gibt sich geläutert, er sei ruhiger und verantwortungsbewusster geworden, in Elia ist der alte Kumpel aus vergangenen Enschede-Tagen der kongeniale Partner. Die Voraussetzungen sind geschaffen. Jetzt ist es an Arnautovic.

Das Interview

SPOX: Sie sind einer der spektakulärsten Zugänge in dieser Saison. Sind die Erwartungen zu hoch an Sie?

Kevin de Bruyne: Nein, das ist mein Anspruch. Ich will wichtig sein. Ich will das Maximum erreichen, so wie es mir mit Genk gelungen ist. Damals sagte auch jeder, dass wir nichts erreichen würden. Doch wir hörten nicht auf, an uns zu glauben - und schufen 2011 mit dem Gewinn der belgischen Meisterschaft etwas ganz Besonderes.

SPOX: Ist Bremen nicht zu jung, um große Ambitionen zu verfolgen?

De Bruyne: Das Alter ist egal. Ich spiele professionell Fußball seit ich 17 bin. Ich war in der Champions League. Ich habe schon sehr viel gelernt, obwohl ich erst 21 Jahre alt bin. Die Erfahrung kommt mit dem Erfolg.

Das gesamte Interview mit Kevin de Bruyne

Die Prognose

Vor der abgelaufenen Saison hatte Allofs die Bundesliga in zwei Hälften unterteilt: "Entweder man spielt oben mit oder gegen den Abstieg."

Werder spielte in der Hinrunde dann oben mit, in der Rückserie wie ein Absteiger - und entzog sich mit Tabellenplatz neun letztlich der eigens artikulierten Ligacharakteristik. Zuletzt war es immer recht schwer, die Bremer in eine vorgefertigte Prognose zu zwängen - vor der beginnenden Saison wird es nahezu unmöglich.

Es gibt einige Fragezeichen im und um das Team, niemand weiß, wie schnell die Mannschaft stabil werden kann, wie sie mit Rückschlägen umgehen wird, ob sie zusammenpasst, wie das neue System greift. Auf der anderen Seite geht es für alle bei Null los, was eine Menge Chancen für den Einzelnen, aber auch die Gruppe bereithält. Zudem sind etwaige Nörgler nicht mehr da, was wieder mehr Ruhe in die Mannschaft bringen dürfte.

Die ganz großen Stars sind weg, jetzt ist Werder Bremen wieder gefordert, sich neue zu backen. Wie früher eben. Werder benötigt den alten Geist, diese Selbstverständlichkeit vergangener Tage. Die Mannschaft beteuert, dass der Teamgeist so gut wie lange nicht mehr sei. Trainer Schaaf erscheint nahbar wie lange nicht. Die Fans sind euphorisch. Es geben sich alle sichtlich Mühe.

Ein Platz in der Nähe der UEFA-Cup-Ränge ist möglich - ebenso aber auch eine erneute Saison in den Niederungen der Tabelle. Erst weitere Ernstfälle werden zeigen, wie viel Schein in der angeblich so runden Vorbereitung gesteckt hat.

Der Kader von Werder Bremen