Eine Halbzeit Kokolores

Von Florian Bogner
Wer sind wir, wie sind wir hier gelandet und wie geht's weiter? Ratlosigkeit auf der Hertha-Bank
© Getty

Otto Rehhagels Debüt als Hertha-BSC-Trainer geht mit der 0:3-Niederlage beim FC Augsburg gründlich in die Hose. Zwar wählte der 73-Jährige vor und nach dem Spiel die richtigen Worte - doch leider nur vor laufender Kamera. Die Mannschaft hingegen scheint Rehhagel noch nicht erreicht zu haben. Ein Wettlauf gegen die Zeit hat begonnen.

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Otto Rehhagel ist eben immer noch Otto Rehhagel. Und so reiste der 73-Jährige im feinen Zwirn nach Augsburg und trug seinen Ausgeh-Anzug auch bei der Pressekonferenz nach dem Spiel. Dazwischen aber, auf der Bank, trug er seinen "Arbeitsanzug" - einen blauen Zweiteiler mit Hertha-Logo.

"Ich verstehe das manches Mal nicht: Die stehen da alle mit Krawatte rum - das ist doch Arbeit!", hatte der Hertha-Coach vor dem Spiel gesagt und sich dann zum Umziehen in die Kabine verzogen. "Man schwitzt doch und regt sich auf. Da kann ich doch nicht mit Frack und Zylinder stehen."

Also stand er im Trainingsanzug an der Seitenlinie. Und sah sein Team im zweiten Durchgang bitterböse eingehen.

Keine Ordnung ohne Niemeyer

0:3 in Augsburg, der Absturz auf Rang 16 - sein Comeback auf die Bundesliga-Bühne hatte sich Rehhagel sicher anders vorgestellt. Die Geschichte des Spiels ist schnell erzählt: Eine Halbzeit lang bekämpften sich die beiden Aufsteiger ebenbürtig.

Dann gewann Augsburg durch mehr Aggressivität in den Zweikämpfen die Oberhand und Rehhagel nahm seinen letzten gelernten Sechser, Peter Niemeyer, gelbbelastet vom Feld. "Er hatte Gelb, und wenn er nochmal Gelb sieht, wären wir in Unterzahl gewesen. In Unterzahl kannst du nicht gewinnen", erklärte Rehhagel den Wechsel.

Ohne Andreas Ottl (Rotsperre), Fabian Lustenberger (Mittelfußprellung) und eben Niemeyer, der nach seiner fünften Gelben Karte auch nächste Woche gegen Werder Bremen fehlen wird, wich jedoch prompt die Ordnung aus dem Hertha-Spiel und Augsburg machte binnen 99 Sekunden durch einen Doppelschlag von Torsten Oehrl schon alles klar (61./63.).

"Wir haben versucht, die Dinge spielerisch zu lösen, Augsburg hat um jeden Meter gefightet - wie es im Abstiegskampf eigentlich sein sollte. Wenn man gegen den Abstieg spielt, muss man in erster Linie auch kämpfen! Das haben uns die Augsburger vorgemacht", meinte Rehhagel zu den Ursachen. Dass seine Hertha nach dem 0:2 überhaupt nichts mehr zustande brachte - nur eine Randnotiz.

"So werden wir nicht in der Liga bleiben"

Seine Mannschaft habe auch nach nunmehr sechs Niederlagen in Folge und ohne Sieg seit dem 29. Oktober 2011 die Situation noch nicht richtig angenommen, argumentierte der Oldie treffend.

"Abstiegsspiele sind Kampfspiele - das hat heute Augsburg gezeigt: Die haben gefightet wie die Löwen", so Rehhagel, der einschränkte: "Es ist klar, dass wir nicht spielen können wie der FC Barcelona."

Eine ernüchternde Erkenntnis nach der ersten Trainingswoche - Rehhagel ist bei der Basisarbeit angelangt, muss seiner Truppe offenbar erst den Ernst der Lage erklären, bevor er mit Lösungsansätzen eingreifen kann. Das Problem: "Wir sind jetzt endgültig da angekommen, wo wir praktisch keine Zeit mehr haben", sagt Rehhagel.

Abwehrchef Andre Mijatovic hatte in Augsburg nicht zum ersten Mal "das Gefühl, dass ich im total falschen Film bin. Die erste Halbzeit war okay, die zweite Halbzeit absolut katastrophal. So werden wir nicht in der Liga bleiben", prognostizierte er.

Wie wird aus Passivität Selbstvertrauen?

Stürmer Pierre-Michel Lasogga, von Otto Rehhagel wieder im Angriffszentrum aufgeboten, erzählte, dass Rehhagel versucht habe, der Mannschaft wieder Spaß zu vermitteln: "Man hat in den ersten Minuten auch gesehen, dass wir spielerisch sehr gut waren und uns Chancen herausgearbeitet haben."

Dann aber kam der "Genickbruch" (Lasogga) in Form von zwei Gegentoren. "Das liegt dann meistens auch nicht am Trainer", sagte der Stürmer immerhin. Mijatovic ergänzte: "Es können drei Otto Rehhagel auf der Bank sitzen und Jose Mourinho noch dazu - wenn wir so spielen, kann uns keiner helfen."

Der Grundausdruck der Mannschaft bleibt jedoch passiv. Es war wahrscheinlich nicht seine Absicht, doch die Erwartungshaltung an den Coach drückte der junge Lasogga treffend aus: "Alle im Klub vertrauen ihm zu hundert Prozent, dass er uns da unten raus holt."

Er, also Rehhagel - nicht die Mannschaft selbst. Dabei verlangte der Trainer nach dem Spiel: "Die Jungs müssen endgültig aufwachen", hatte zuvor aber großspurig verkündet: "Ich bin Praktiker, kein Theoretiker: Ich weiß, was nötig ist, um ein Fußballspiel zu gewinnen." Nur konnte er offenbar noch nicht so schnell vermitteln, dass es dazu elf Mann braucht, die das für ihn bewerkstelligen.

Versteht die Mannschaft, was Rehhagel will?

So warf das erste Hertha-Spiel unter der Regie Rehhagels mehr Fragen auf, als es Antworten lieferte. Wie bekommt man eine wackelnde Abwehr in den Griff? Wie findet das Mittelfeld wieder Zugriff? Und wie entstehen bei der Hertha eigentlich Torchancen? Fragen, auf die Rehhagel, der im ersten Spiel nur eine Änderung vornahm, Antworten finden muss.

Und dann bleibt da noch die Frage, ob ein 73-Jähriger, der letztmals in der Bundesliga auf der Bank saß, als ein gewisser Miroslav Klose gerade sein sechstes von über 300 Bundesliga-Spielen machte, die jungen Spieler im Abstiegskampf erreichen kann.

"Es gibt ja viele Dirigenten von großen Orchestern: Das sind alles Leute - nicht alle, aber viele - die schon 75 sind und weiter... Darauf kommt's nicht an! Entweder du schaffst es, oder du schaffst es nicht - Sieg oder Niederlage", sagte Rehhagel vor dem Spiel in Augsburg.

Ob seine Spieler überhaupt verstehen, was er ihnen mitgibt, muss aber erst noch nachgewiesen werden. Da hilft auch nicht die Aura eines Trainingsanzugs.

Augsburg - Hertha: Daten zum Spiel

 

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