Trochowski ist zum Mann geworden

Von Stefan Moser
Der HSV-Kader der Saison 2009/10 - in Spitze und Breite haben sich die Hamburger verstärkt
© Getty

Wenige Tage vor dem Start der Bundesliga stellt SPOX alle 18 Klubs in der großen Vorschau-Serie vor - mit allen Transfers, Hintergründen und der Saison-Prognose. Diesmal: Hamburger SV.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Klingt komisch, ist aber so: Der Gewinner der Vorbereitung beim Hamburger SV heißt bis auf weiteres - Bernd Hoffmann. Der Vorstandsvorsitzende. Nachdem er am 23. Juni den Machtkampf mit Sportchef Dietmar Beiersdorfer endgültig gewonnen hatte, gab es nicht wenige, die die Felle des HSV schon die Elbe hinab schwimmen sahen.

Beiersdorfer war weg, der neue Trainer Bruno Labbadia noch keine vierzehn Tage da - und Bernd Hoffmann, bislang verschrien als ehrgeiziger Fußballlaie und notorisch sparsamer Zahlendreher, sollte die neue Saison planen. Ich kann das, sagte der 46-Jährige. "Hoffmann raus!", sagten die Fans.

Nach dem endgültigen Zerwürfnis mit der Integrationsfigur Beiersdorfer musste sich der Klubboss also jede Menge unbequemer Fragen gefallen lassen. Er gab die Antworten in Form von namhaften Transfers.

Ze Roberto, Eljero Elia, Robert Tesche, Marcus Berg und David Rozehnal: Alle fünf Zugänge des HSV wirken zumindest auf dem Papier wie sinnvolle Verstärkungen und/oder Ergänzungen des Kaders.

Dafür nahm Hoffmann allerdings deutlich mehr Geld in die Hand, als er selbst ursprünglich zur Verfügung stellen wollte. Mit knapp 24 Millionen belegt der HSV in Sachen Sommertransfers Platz zwei hinter den Bayern - budgetiert waren eigentlich nur rund 16 Millionen.

Seine Kritiker sagen, Hoffmann hätte sich mit den zusätzlichen Investitionen etwas Ruhe und Vertrauen schlicht erkauft. Außerdem waren alle Transfers schon von Beiersdorfer geplant und eingefädelt worden.

Dennoch bleibt als Fazit: Labbadia hat, wie er selbst betont, alle seine Wunschspieler bekommen - pünktlich und trotz namhafter Konkurrenz. Zudem bewies Hoffmann seine Qualitäten, indem er sich in Gesprächen gegen bekanntermaßen schwierige Verhandlungspartner behauptet

Vor allem Lazio Roms Präsident Claudio Lotito ist in der Branche berüchtigt. Auch mit ihm einigte sich Hamburg zu annehmbaren Konditionen über einen Wechsel von Innenverteidiger Rozehnal. Nach dem Kreuzbandriss von Alex Silva ein Schlüsseltransfer: Labbadias Personalpuzzle ist nun komplett. (Der Kader des Hamburger SV)

Das ist neu

Hamburg hat viel Potential gekauft. Elia und Berg gehörten in diesem Sommer zu den begehrtesten Talenten in Europa. Elia hat seine enorme Schnelligkeit und seine Fähigkeiten am Ball bereits angedeutet, taktisch aber wirkt der 22-Jährige noch unfertig.

Berg scheint mit seiner physischen Präsenz die ideale Ergänzung zu Mladen Petric und Paolo Guerrero im Sturm. Beide aber brauchen wohl noch etwas Zeit, zumal beide aufgrund von Verletzungen, bzw. Trainingsrückstand die letzten Tests verpassten. Elia wird zum Bundesligastart definitiv fehlen, Berg erhält in der Europa-League-Quali am Donnerstag seine erste echte Bewährungschance

Mit Rozehnal und Ze Roberto hat Hamburg zudem seinen jungen Kader um viel Erfahrung bereichert. Ze Roberto hatte keinerlei Anlaufschwierigkeiten und war sofort der erhoffte Strippenzieher im Mittefeld. Ein wichtiger Faktor - immerhin hat der HSV auch einen neuen Trainer.

Bruno Labbadia steht nach seinem unrühmlichen Abgang in Leverkusen unter verschärfter Beobachtung seiner Kritiker, sein Sendungsbewusstsein als "moderner" Trainer bietet auch viel Angriffsfläche. Der 43-Jährige steht durchaus unter Druck: In Hamburg wird sich wohl entscheiden, wohin sein steiler Weg noch führen kann.

Die Taktik

Ausgangspunkt ist das klassische 4-4-2 mit Doppelsechs und zwei offensiven Außen im Mittelfeld. Bei eigenem Ballbesitz rückt entweder Jarolim oder Ze Roberto zentral hinter die Spitzen. So entsteht das 4-1-3-2, das Labbadia auch schon mit Leverkusen praktizierte.

Anders als bei Bayer rochiert die offensive Dreierkette aber weniger, die Spieler halten eher ihre Positionen. Trochowski zieht zwar häufiger zur Mitte, Elia aber bleibt in der Regel auf dem linken Flügel, Ze Roberto hält zugunsten der defensiven Grundordnung im Normalfall das Zentrum.

In der Arbeit gegen den Ball baut Labbadia auch in Hamburg auf frühes Pressing. Das komplette Team verteidigt sehr hoch, die Devise lautet: Balleroberung möglichst noch in der gegnerischen Hälfte. Mit Ze Roberto und Jarolim hat der HSV-Coach dafür zwei erfahrene und clevere Spieler auf den Schlüsselpositionen.

Allerdings wirkt der HSV gerade in der Rückwärtsbewegung bisweilen noch etwas passiv und naiv. Vor allem wenn der Gegner schnell in den Rücken der Doppelsechs spielt, wird die Abwehr oft konfus - auch weil die Außenverteidiger meistens sehr hoch stehen und dadurch die Ordnung verloren geht.

Labbadias Gretchen-Frage in der Viererkette lautet aber: Spielt Jerome Boateng auf rechts, oder darf er nach seinen überzeugenden Auftritten während der U-21-EM auf seiner Lieblingsposition in der Innenverteidigung ran? Mit Rozehnal hat der Youngster starke Konkurrenz bekommen, allerdings ist der 29-jährige Neuzugang bis auf weiteres wohl der Herausforderer. Rozehnal wird zum Auftakt eher auf der Bank sitzen.

Spieler im Fokus

Piotr Trochowski. Schon in der Rückrunde der abgelaufenen Saison hatte man den Eindruck: Das verspielte Talent ist zum Mann geworden.

In Interviews antwortete Trochowski ungewohnt selbstbewusst, fokussiert und (selbst-)kritisch, auf dem Platz entwickelte er sich zum Führungsspieler, übernahm Verantwortung und überzeugte durch seine Körpersprache.

Wenn der 25-Jährige sich (auch auf der ungewohnten rechten Seite) so weiterentwickelt, kann er - allen Neuzugängen zum Trotz - der entscheidende Mann für Hamburg werden. Der Pokal-Fight gegen Düsseldorf mag als Indiz gelten.

Das Interview

SPOX: Ze Roberto hat sich bereits als Leistungsträger etabliert. Beim T-Home-Cup gegen die Bayern war er schon der beste Hamburger.

Trochowski: Als ich gehört habe, dass wir ihn bekommen, dachte ich als allererstes: Da machen die Bayern einen ganz großen Fehler. Er ist 35, aber fit wie 25. Seine Erfahrung, sein fußballerisches Können, alles ist super. Er bringt uns weiter.

Hier geht's zum kompletten Interview mit Piotr Trochowski

Die Prognose

Alles in allem hat Hamburg derzeit eine aufregende Mischung aus Talent, Erfahrung, Ehrgeiz und Vision - die durchaus recht erfolgreich sein kann.

Dennoch formuliert der Trainer eher vorsichtig: "Es muss unser Anspruch sein, ins vordere Drittel reinzukommen."

Wenn sich Spieler wie Elia und Berg schnell an die Bundesliga gewöhnen und der HSV vom Verletzungspech der letzten Saison verschont bleibt, sollte Platz fünf als Minimalziel realistisch sein.

Wenn es Labbadia zudem gelingt, die Mannschaft - anders als in Leverkusen - über die komplette Spielzeit auf Kurs zu halten, ist sogar noch Luft nach oben.