"Hier ist etwas Großes möglich"

Von Christian Bernhard / Benny Semmler
Hamburger SV, HSV, Martin Jol
© Getty

Nigel de Jong wusste genau was er verbrochen hatte. Der Niederländer schlug seine Hände über dem Kopf zusammen und entschuldigte sich bei seinen Mitspielern.

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Sekunden zuvor hatte er mit einem kapitalem Fehlpass die Leverkusener 1:0-Führung von Tranquillo Barnetta eingeleitet. Zwanzig Minuten später legte Patrick Helmes das 2:0 nach. Zu diesem Zeitpunkt spielte Bayer den HSV phasenweise an die Wand.

Trotzdem heimsten am Ende die Hanseaten die drei Punkte ein - wieder einmal. Sofort wurden Erinnerungen an die verrückte Aufholjagd am letzten Spieltag in Bielefeld wach.

"Das geht langsam an die Psyche"

Diesmal konnten sich die Norddeutschen aber auch beim Gegner bedanken. "Leverkusen war zu Beginn besser. Die Gelb-Rote Karte von Friedrich hat uns auch weitergeholfen", sagte ein sichtlich mitgenommener Martin Jol nach Abpfiff.

Während des Spiels war der HSV-Trainer gleich mehrmals wild gestikulierend an der Seitenlinie herumgesprungen - meist nach Defensivpatzern seiner Elf.

Piotr Trochowski konnte sich seinem Coach nur anschließen: "Das geht langsam an die Psyche und die Substanz, dass wir jedes Mal nach einem 0:2-Rückstand neu anlaufen müssen. Aber heute hat es ja noch mal geklappt." Trotzdem: "Wir hatten ja richtig viel Glück, dass Leverkusen 50 Minuten mit zehn Mann gespielt hat", so Troche weiter.

Jol spricht von der Meisterschaft

Auch Torhüter Frank Rost gefiel nicht, was seine Vorderleute im Defensivverbund mitunter so fabriziert hatten: "Wir müssen lernen, dass wir auch hinten Spiele gewinnen. Es kann auf Dauer nicht immer so gut gehen - es gibt auch Zeiten, wo man vorne nicht immer so gut trifft."

Defensivschwächen hin, sieben Gegentore in vier Partien her: In Hamburg wird bereits offen das Wort Meisterschaft in den Mund genommen. Und das nicht etwa von der Presse oder euphorisierten Fans, sondern von niemand geringerem als dem Trainer selbst.

"Um Meister zu werden muss man anders spielen. Wir spielen offensiv, aber die Dinge die heute passiert sind, müssen wir abstellen, sonst wird das nichts mit der Meisterschaft", sagte Jol.

Gutes Debüt von Thiago Neves

Ein wichtiger Mosaikstein bei diesem ambitiösen Unterfangen soll Thiago Neves werden. Jols Einschätzung zum Neuzugang vor der Partie: "Thiago ist gut drauf. Wir hoffen, dass er die van der Vaart-Rolle übernehmen kann."

Und prompt zeigte der Brasilianer, dass die Worte seines Trainers nicht nur leere Phrasen waren. Der 23-Jährige war bei seinem Debüt bereits erstaunlich gut ins HSV-Spiel eingebunden - besonders mit Guerrero und Trochowski initiierte er einige interessante Offensivaktionen.

Außerdem sorgte er per Kopf beinahe für das 1:1 und lieferte die Vorarbeit zum entscheidenden 3:2 von Petric. Neves' Kommentar nach seinen erstem Bundesliga-Auftritt: "In Deutschland ist alles viel schneller als in Brasilien. Aber für das erste Spiel war es okay."

Trochowski ist von seinem neuen Nebenmann bereits begeistert, mahnt aber auch zur Vorsicht: "Er ist ein super Fußballer, aber man muss ihm noch Zeit lassen."

Unvollendeter Nachmittag für Bayer

Den Leverkusener blieb nach der bitteren Pleite nur die Erkenntnis, bis zum Anschlusstreffer von Paulo Guerrero nach vorne grandios aufgespielt zu haben. "Wir haben in der ersten Halbzeit ein sehr gutes Spiel gezeigt und hätten da den Sack zumachen können", konstatierte Bayer-Trainer Bruno Labbadia.

Der Knackpunkt der Partie war für den 42-Jährigen leicht auszumachen: "Für mich war der Platzverweis gegen uns die entscheidende Situation. Danach ist der Druck des HSV sehr groß geworden, und wir haben zu viele individuelle Fehler gemacht."

Noch drastischer formulierte es Pechvogel und Gelb-Rot-Sünder Manuel Friedrich gegenüber SPOX: "Wäre ich nicht vom Platz geflogen, hätten wir das Spiel gewonnen."

Leverkusen sauer auf Schiri Fleischer

Vereint waren beide in ihrer Wut auf Schiedsrichter Helmut Fleischer. Labbadia sprach von "zweierlei Maß" und bemängelte, dass Fleischer "beim HSV mehrmals ein Auge zugedrückt" habe. Friedrich vermisste das so oft zitierte "Fingerspitzengefühl" beim Spielleiter: "In der zweiten Szene kann man Gelb geben. Aber die erste Gelbe Karte ist ein Witz."

Dem HSV war das alles egal. Nach vier Spielen stehen bereits zehn Punkte zu Buche. Bereits dreimal lagen die Norddeutschen 0:2 im Rückstand - und holten trotzdem sieben Punkte in diesen Begegnungen.

Torhüter Frank Rost ist aber nicht nur deshalb optimistisch: "Wir haben hier hervorragende Bedienungen, eine super Stadt im Rücken und eine Mannschaft mit viel Potenzial. Wenn wir die Balance finden, dann ist in Hamburg wieder etwas Großes möglich."

Hamburg - Leverkusen: Spielbericht und Analyse