FC Bayern München - Marco Neppes erstaunliche Karriere: Treffpunkt Mäckes-Parkplatz Jüchen

Joshua Kimmich
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"Treffpunkt war immer in der Nähe von Neuss, in Jüchen beim Mäckes auf dem Parkplatz", berichtet Florian Abel im Gespräch mit SPOX und GOAL. Jüchen! "Wenn ich den Namen höre, dann lache ich mich heute noch kaputt. Der hört sich doch so komisch an." Und natürlich muss er sofort wieder lachen. Lachen - das merkt man schnell - macht Florian Abel ganz gerne. Gemein hat er das offenbar mit seinem ehemaligen Teamkollegen Marco Neppe.

In der Saison 2013/14 spielten die beiden gemeinsam für den Regionalligisten Alemannia Aachen, gewohnt haben sie aber Richtung Nordosten. Abel in Oberhausen, Neppe in Düsseldorf. Weil sich die Lage bei ihren Kollegen Dennis Dowidat und Jochen Schumacher ähnlich darstellte, gründeten die vier eine Fahrgemeinschaft zu den Trainingseinheiten. "Bei einem Autohaus haben wir uns gemeinsam einen weißen Opel Corsa geliehen", erzählt Abel. "Ich hatte aus Oberhausen den weitesten Weg und bin mit unserem Auto zum Mäckes-Parkplatz in Jüchen gefahren. Dort haben die anderen Jungs ihre Autos abgestellt. Sie hatten abends öfter Zettel an der Scheibe hängen, dass sie dort nicht mehr parken sollen, haben es aber doch immer wieder gemacht."

Mit dem Opel Corsa ging es dann gemeinsam von Jüchen über die A44 nach Aachen, bei normalem Verkehr dauert das rund 35 Minuten. Mal fuhr der eine, mal der andere - und die Fahrzeiten wurden selbstverständlich gestoppt. "Die Fahrt nach Aachen hat sich gezogen, aber wir haben das Beste daraus gemacht und uns über jeden Mist kaputtgelacht. Danach mussten wir teilweise gar nicht mehr in den Kraftraum, weil wir mit dem Lachen bei der Fahrt schon genug für unsere Bauchmuskeln getan hatten." Unbeschwerte Zeiten in der Regionalliga, Aachen landete übrigens auf Platz 13.

FC Bayern: Marco Neppe zum Technischen Direktor befördert

Einmal kurz vor Saisonschluss aber herrschte kein Gelächter auf Rädern. Stattdessen Erstaunen. "Marco hat uns noch vor der restlichen Mannschaft gesagt: 'Ich wechsle zu Bayern München.' Das war natürlich krass. Keiner von uns hatte etwas geahnt", erinnert sich Abel. Aus einem Aachener Regionalligaspieler wurde ein Scout des FC Bayern, des deutschen Rekordmeisters und noch dazu Abels Lieblingsklub. "Klar habe ich ihm gesagt: 'Sieh zu, dass du für meine Bayern vernünftige Spieler scoutest und eine vernünftige Mannschaft auf die Beine stellst.'"

Neppe hat seinen ehemaligen Fahrgemeinschaftskollegen wohl nicht enttäuscht: In seinen bisher siebeneinhalb Jahren in München als Scout und dann als Leiter der Scouting-Abteilung war er an mehreren ziemlich vernünftigen Transfers beteiligt. Erst half Neppe bei den Verpflichtungen von Joshua Kimmich, Serge Gnabry, Kingsley Coman, Niklas Süle und Leon Goretzka mit. Später leitete er die von Alphonso Davies und Jamal Musiala entscheidend ein. Zur Belohnung wurde Neppe nun zum Technischen Direktor befördert. Es ist der Posten, den von 2014 bis 2017 sein großer Förderer bekleidete; derjenige, der ihn einst im Alter von 28 Jahren nach München gelotst hatte: Michael Reschke.

Marco Neppe arbeitet beim FC Bayern eng mit Hasan Salihamidzic zusammen.
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Marco Neppes wegweisende Verletzung in Osnabrück

Neppes Weg in den Machtzirkel des FC Bayern ist ein erstaunlicher. Begonnen hat er in Offenbach, wo er 1986 zur Welt kam. Statt für die Kickers spielte der Mittelfeldspieler im Nachwuchsbereich aber für den Lokalrivalen Eintracht Frankfurt. Gut, aber nicht gut genug. Bei der Eintracht schaffte es Neppe lediglich in die Reservemannschaft, mit 21 zog er weiter zum Wuppertaler SV.

Mit seinem neuen Klub stieg Neppe in die 3. Liga auf und erreichte das Achtelfinale des DFB-Pokals, wo es gegen seinen heutigen Arbeitgeber FC Bayern ging. Bei der 2:5-Niederlage saß er aber nur auf der Bank. Anschließend spielte Neppe für Wehen Wiesbaden und den VfL Osnabrück, dort bremste ihn einer Schambeinentzündung monatelang aus.

"Wie das so ist bei Verletzungen: Man hat viel Zeit nachzudenken, auch über die eigene Karriere. Ich habe mich gefragt, wo ich in fünf Jahren sein möchte", sagte Neppe später in einem Interview mit dem Magazin der Spielergewerkschaft VDV. Er begann ein Studium der Wirtschaftspsychologie, er kehrte als Spieler nach Wuppertal zurück - und er lernte Jonas Boldt kennen, damals Leiter von Bayer Leverkusens Scouting-Abteilung. Zustande kam der Kontakt über Neppes Vater Jürgen, der früher als Aufsichtsratsvorsitzender von Eintracht Frankfurt fungierte und mit Leverkusens Geschäftsführer Rudi Völler bekannt ist.

Wie Marco Neppe Michael Reschke beeindruckte

Neppe und Boldt, heute Sportvorstand beim Hamburger SV, freundeten sich an, bald arbeiteten sie auch zusammen: Auf 450-Euro-Basis wurde Neppe Teil von Boldts Scouting-Team, oft machten sie sich für Spielerbeobachtungen gemeinsam auf den Weg nach Belgien oder in die Niederlande. "Am Wochenende habe ich gespielt, an freien Tagen habe ich mir für Bayer Spiele angesehen", erinnerte sich Neppe. Seine wohl wegweisendste Scouting-Reise war aber die kürzeste. Sie führte ihn in das Stadion, in dem er damals auch als Aktiver spielte: ins Stadion am Zoo in Wuppertal.

Im März 2013 traf dort die deutsche U19-Nationalmannschaft auf die ukrainische, anwesend war neben Neppe auch Leverkusens Manager und somit Boldts Vorgesetzter Michael Reschke. "Marco saß einige Reihen hinter mir. Für mich ein willkommener Anlass, ihn zu testen", erinnert sich Reschke im Gespräch mit SPOX und GOAL. "Ich habe Marco herangewunken und ihm den Auftrag gegeben, mir für den nächsten Tag Reports über drei interessante Spieler der Begegnung anzufertigen." Was Neppe lieferte, überzeugte Reschke: "Die Reports waren sehr detailliert. Man hatte ein klares Bild über die Spieler, das mit meinen Einschätzungen komplett deckungsgleich war und interessante Details enthielt. Mir war direkt klar, dass der Junge was drauf hat."

Neppe in Aachen: Scouting im Auto, Traumtor zum Abschied

Bei seinem einen Arbeitgeber Leverkusen stieg Neppes Ansehen schlagartig an, sein anderer Wuppertal ging unterdessen insolvent. Die nun vereinslosen Spieler mussten sich neue Klubs suchen, Neppe zog gemeinsam mit Abel und Schumacher nach Aachen weiter. Es war der Beginn der Fahrgemeinschaft: Düsseldorf, McDonald's-Parkplatz Jüchen, Aachen. Und zurück. Neppe nutzte die vielen Fahrten nicht nur zum Lachen, sondern auch für seine Nebentätigkeit als Scout. "Er hat sich teilweise hinten im Auto über sein Tablet in eine Datenbank angemeldet und so für sich Leverkusen Spiele angeguckt oder Spieler begutachtet", erzählt Abel.

Dass Neppe mehr von Fußball verstand als andere, sei laut seines Kollegen schon damals offensichtlich gewesen. Taktische Ideen konnte er verständlich erklären, Spieler schnell gut einschätzen. Aber was war er eigentlich selbst für ein Kicker? Neppe spielte im Mittelfeld, meist zentral aber auch mal rechts. "Marco hatte ein sehr gutes Auge und war zweikampfstark", sagt Abel. "Teilweise war er schon ein kleiner Wadenbeißer. Er ging da hin, wo es wehtut."

Ein Führungsspieler sei Neppe gewesen, ja auf jeden Fall. Man konnte mit ihm laut Abel zwar ganz wunderbar lachen und die sprichwörtlichen "Pferde stehlen". Wenn es drauf ankam, zeigte er aber immer die nötige Ernsthaftigkeit. Und manchmal auch einen Hauch Genialität. Im Mai 2014 etwa, als Neppe bei einem Regionalligaspiel gegen den KFC Uerdingen per traumhaftem Seitfallzieher das entscheidende 1:0 erzielte. Der Treffer wurde sogar zur Wahl zum Tor des Monats nominiert - und war gleichzeitig sein allerletztes.

"Ein kleiner Wadenbeißer": Vor seinem Wechsel als Scout zum FC Bayern München spielte Marco Neppe in der Saison 2013/14 in der Regionalliga für Alemannia Aachen.
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Pep Guardiola fragt immer: "Was macht Marco?"

Wenig später überraschte Neppe seine Kollegen im Opel Corsa mit der Verkündung seines Wechsels nach München. Leverkusens Manager Reschke hatte die Arbeit des 450-Euro-Scouts nach dem Dreifach-Report aus dem Stadion am Zoo genau verfolgt, seine Begeisterung nahm permanent zu. Als Reschke dann zum FC Bayern wechselte, wollte er Neppe unbedingt mitnehmen. "Für Ihn war die Entscheidung nicht einfach", erinnert sich Reschke. Nicht nur der aktive Fußball wollte ihn schließlich behalten, sondern auch Boldt in Leverkusen. "Am Ende hat er sich meinem sanften Druck aber gebeugt." Reschke schmunzelt. So sanft war der Druck wohl nicht.

Nun also München, Säbener Straße 51, Festanstellung beim größten Klubs Deutschlands als Scout und Reschkes Assistent. Hier Trainer Pep Guardiola, dort der Sportvorstand Matthias Sammer, der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge und dann gab es ja auch noch Uli Hoeneß. Einschüchtern ließ sich der damals 28-jährige Neppe von all den großen Namen aber nicht, ganz im Gegenteil.

"Marco genoss schnell eine sehr hohe Wertschätzung bei Karl-Heinz Rummenigge, Uli Hoeneß und Pep Guardiola, weil Sie realisierten, dass seine Aussagen fundiert und kompetent waren", erinnert sich Reschke, der bis heute eine gute Beziehung zu Guardiola pflegt. "Wenn ich Pep in Manchester besuche, will er immer wissen: 'Was macht Marco?'"

Neppes Beitrag zu den Transfers von Kimmich und Gnabry

Nun, im Laufe der Jahre konnte Reschke Guardiola einige erfreuliche Updates geben. Zunächst war es Neppes Hauptaufgabe, Spieler zu beobachten. "Ich habe ihn aber auch schon frühzeitig zu Gesprächen mit potenziellen Neuzugängen, Sportdirektoren oder Beratern mitgenommen, weil er oftmals sehr gute Ideen hatte und wichtigen Input liefern konnte", erinnert sich Reschke. "Bei den Transfers von Kimmich, Gnabry, Coman und Goretzka spielte er schon eine wichtige Rolle."

Das erste große Projekt war Kimmich. Aufgefallen war das Talent von RB Leipzig Reschke und Neppe bei der U19-Europameisterschaft im Sommer 2014, als er mit Deutschland den Titel gewann. "Da war für uns beide klar: Wir müssen alles daran setzen, Joshua Kimmich nach München zu holen. Bis zur finalen Verpflichtung haben wir abwechselnd nahezu jedes Leipzig-Spiel beobachtet", sagt Reschke. "Karl-Heinz Rummenigge und Finanzchef Jan-Christian Dreesen waren damals verständlicherweise vorsichtig und kritisch. Eine Ablöse von knapp unter zehn Millionen Euro für einen Nachwuchsspieler, der noch nie Bundesliga gespielt hatte: Das war für Bayern damals schon ungewöhnlich. Aber am Ende konnten wir alle überzeugen, zumal auch Pep und Matthias Sammer hinter der Entscheidung standen."

Kimmich wechselte nach einem Jahr unter Dauerbeobachtung 2015 also für 8,5 Millionen Euro nach München, wurde Stammspieler und gilt längst als Kapitän der Zukunft. Ein Jahr später floppte zwar der auf Neppes Empfehlung für 35 Millionen Euro von Benfica Lissabon gekaufte Renato Sanches, gleichzeitig leitete der FC Bayern aber den klugen Transfer von Serge Gnabry ein.

Der Stürmer des FC Arsenal wechselte zunächst offiziell für fünf Millionen Euro zu Werder Bremen, wo ihn der FC Bayern tatsächlich nur parkte, um ihn ein Jahr später für drei Millionen mehr nach München zu holen. Gemunkelt wurde über dieses Transferkonstrukt viel, Reschke bestätigt es nun: "Während seiner Saison bei Werder hatte Marco engen Kontakt zu Serge und war in dieser Zeit sein wichtigster Dialogpartner von Seiten des FC Bayern. Gemeinsam mit Serge hat er einige seiner Spiele analysiert und ihm interessante Tipps gegeben."

Musiala und Davies: Neppe leitete die Gespräche ein

Nach jener Saison zog Reschke als Sportvorstand zum VfB Stuttgart weiter. Neppe wollte er am liebsten wieder mitnehmen, doch das verweigerten Hoeneß und Rummenigge höchstpersönlich - und machten ihn stattdessen zum Leiter der Scouting-Abteilung. Längst galt Neppe im Klub nicht mehr nur als kompetenter Gesprächspartner, sondern auch als Innovator und Mitentscheider.

"Marco hat beim FC Bayern ein spezielles Frühwarnsystem entwickelt, das anschlägt, wenn in den interessanten internationalen Ligen ein besonders junger Spieler erste Profieinsätze absolviert. Dadurch wurden die Bayern beispielsweise auf Alphonso Davies aufmerksam", erzählt Reschke. Zu leiden hatte er darunter übrigens selbst: 2018 waren Neppe und Reschkes Stuttgart-Entsandter Joachim Cast für Verhandlungen mit dem damals 17-jährigen Kanadier zeitgleich in Vancouver. Neppe setzte sich letztlich durch, im Januar 2019 kam Davies für zehn Millionen Euro nach München.

Ein halbes Jahr später folgte der 16-jährige Jamal Musiala ablösefrei vom FC Chelsea. Auch bei diesem Transfer leistete Neppe vor Ort in London die entscheidende Vorarbeit. War der FC Bayern in den vergangenen Jahren an einem Spieler interessiert, sah das Vorgehen meist so aus: Neppe führte das erste Gespräch, stellte Visionen und Zahlen vor. Erst danach schaltete sich Sportvorstand Hasan Salihamidzic ein, ehe der Transfer letztendlich vom Präsidenten Herbert Hainer, Finanzvorstand Jan-Christian Dreesen sowie dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn (beziehungsweise bis zu dessen Abschied Rummenigge) final abgesegnet wurde.

Als Michael Reschke (r.) 2014 als Technischer Direktor von Bayer Leverkusen zum FC Bayern wechselte, nahm er den Scout Marco Neppe mit. Heute hat er Reschkes ehemaligen Posten.
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Marco Neppe platziert Vertraute beim FC Bayern

Neppe arbeitet im Alltag eng mit Salihamidzic zusammen und durch die Beförderung künftig wohl sogar noch enger. "Von nun an wird er stärker ans Profiteam angebunden und im Vorstandsbereich Sport zusätzliche operative und strategische Aufgaben übernehmen", erklärte Salihamidzic. Damit erhöht sich Neppes Macht im Klub formal, im Verborgenen hatte sie in den vergangenen Jahren aber nicht nur mit jedem weiteren gelungenen Transfer zugenommen. Sondern auch mit jedem weiteren Vertrauten, den er in den Klub lotste. Vor allem im Nachwuchsbereich tummeln sich mittlerweile viele Angestellte, zu denen Neppe ein hervorragendes Verhältnis pflegt.

Das gilt etwa für den Chefscout im Nachwuchsbereich Florian Zahn, genau wir für dessen kürzlich verpflichtete Zuarbeiter Vito Leccese und Gürkan Karahan. Auch U19-Trainer Danny Galm und Scout Pirmin Schwegler gelten als Neppe-Vertraute. Der Leiter der Nachwuchsabteilung Jochen Sauer schätzt Neppe als "wichtigen Dialogpartner in Sachen Nachwuchsarbeit". So berichtete es Reschke, der trotz der Trennung 2017 immer noch ein freundschaftliches Verhältnis mit seinem Zögling pflegt.

Mit seinem ehemaligen Wuppertaler und Aachener Kollegen Abel ist der Kontakt dagegen nur mehr unregelmäßig. Abel kickt mittlerweile beim 1. FC Bocholt in der Oberliga, außerdem arbeitet er in einer Bank. Der McDonald's in Jüchen hat nun wieder mehr verfügbare Parkplätze - aber auch ein paar Einnahmeeinbußen. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass wir nach dem Training nie zum Mäckes gegangen sind. Da ist sicherlich der eine oder andere Hamburger verschlungen worden", sagt Abel und lacht. "Aber das muss auch mal sein. Das machen die Größten." Und Neppe ist schließlich auf dem besten Weg, einer der Größten im Machtzirkel des FC Bayern zu werden.

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