Hertha BSC: Die großen Baustellen und Probleme - und wie Felix Magath sie angehen will

Von Stefan Rommel
Anschließend wurde es still um den Trainer Magath. Erst 2016 übernahm er wieder einen Cheftrainerposten. Von 2016 bis Dezember 2017 trainierte er den chinesischen Vereins Shandong Luneng Taishan.
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Die leblose Mannschaft

Am Samstag in Gladbach, bei einem ebenfalls harsch durchgeschüttelten Gegner, konnte der große Teil der Berliner Spieler nicht die Haltung an den Tag legen, die in einem derart wichtigen Spiel von Nöten gewesen wäre. Mittlerweile hat es fast den Anschein, als hätten einige Spieler schon mit dem Kapitel Hertha BSC abgeschlossen - während diejenigen, die sich standhaft zeigen und sich wehren, ohne Unterstützung hoffnungslos verloren sind.

Dazu gehört auch, dass der Kader weder für den Abstiegskampf konzipiert und zusammengestellt wurde, noch die Spieler bisher den Schalter umlegen konnten. Nur einige wenige kennen sich mit dem Abstiegskampf in der Bundesliga aus, das Gros aber wurde unter ganz anderen Voraussetzungen und Zielsetzungen nach Berlin gelockt. Und ohne die gestandenen Spieler, die vorangehen können und auch wollen, sind die Jungen natürlich auch überfordert.

Es zeichnete sich zuletzt keinerlei Aufbäumen innerhalb der Mannschaft ab. Vielleicht war das auch dem Zustand der um sich greifenden Lähmung geschuldet und dass die Spieler längst auch das Vertrauen in ihren ehemaligen Trainer verloren hatten. Aber ein gewisses Maß an grundlegenden Tugenden und Resilienz ist von jedem einzelnen Spieler zu erwarten. 28 Gegentore in den zehn Pflichtspielen im Kalenderjahr 2022 sprechen allerdings eine andere Sprache.

Nimmt man nur das gruppen- und individualtaktische Verhalten bei den Gegentreffern in Gladbach, ist die Hoffnung auf eine baldige Verbesserung auch unter Magath ziemlich gering. Bei Matthias Ginters Tor nach einer Ecke schauten Davie Selke und Lucas Tousart nicht nur ausschließlich auf den Ball, sie bewegten sich fünf Meter vor dem eigenen Tor aus der Situation heraus. Ginter aber ging einfach nur in den Ball und war dann völlig frei.

Zwei von drei zentralen defensiven Mittelfeldspielern waren beim ersten Gegentor nach einem handelsüblichen Ballverlust am Flügel gefühlt meilenweit aus ihrer Position gezogen, von der gewünschten Absicherung war nichts zu sehen. Beim Fallen der Abwehrkette hielten sich dann drei Spieler an den Plan, ein vierter versuchte Anschluss zu erreichen - und der fünfte machte die entscheidenden Fehler.

Marc-Oliver Kempf positionierte sich zwei, drei Meter tiefer als seine Kollegen, die die Abseitslinie hielten. Statt auf den Ball zu rücken und damit Gegenspieler Marcus Thuram ins Abseits zu stellen, wich Kempf zurück und gab den Passweg in die Tiefe frei; als wäre das nicht schon ungeschickt genug gewesen, verschuldete er dann mit seinem Tackling auch noch einen Elfmeter.

Kempf wurde als potenzieller Führungsspieler eingekauft, nach mehreren Patzern vor Gegentreffern und einer Roten Karte stellt sich dieser Versuch bisher als unbrauchbar heraus. Stattdessen bleibt das grundsätzliche Problem: Der Mannschaft gehen Spieler ab, die sich jetzt wehren, die Verantwortung übernehmen und auch mal laut werden auf dem Platz.

Korkut hat Kapitän Dedryck Boyata quasi entmachtet, Stammkeeper Alexander Schwolow schaffte es zuletzt nicht mal in den Kader. Suat Serdar oder Marco Richter, zumindest ansatzweise zwei der wenigen Lichtblicke, waren zuletzt keine Stammspieler mehr.

Magaths erste und wahrscheinlich auch wichtigste Aufgabe wird sein, die (vermeintlichen) Führungsspieler schnell als solche zu erkennen und um sie herum endlich wieder so etwas wie Stabilität aufzubauen. Denn in den letzten Wochen hat sich kein einziger Berliner mehr Spieler als Führungspersönlichkeit zeigen können. Die Moral ist schwach, eine Hierarchie nicht mehr vorhanden. "Ich muss erstmal ein Gefühl für die Menschen entwickeln, muss sie sprechen, fühlen, riechen, um die größten Baustellen erkennen zu können. Bisher hatte ich den Eindruck, dass es keine so geschlossene Mannschaftsleistung gab. Es wird sicherlich einige Tage dauern, bis ich weiß, welche Hebel ich ansetzen muss", so Magath.