Bundesliga: Zuschauerschwund in Corona-Zeiten - Fanforscher erklärt "Entfremdung"

Von Maximilian Lotz
Gegen Frankfurt durfte der FCB die Allianz Arena nicht voll auslasten, mittlerweile sind wieder 75.000 Zuschauer möglich.
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Offiziell vermeldete der FC Bayern München am Samstag erstmals seit dem 8. März 2020 eine mit 75.000 Zuschauern ausverkaufte Allianz Arena. Doch wer sich im weiten Rund umschaute, entdeckte noch einige freie Plätze. Ein Phänomen, das in anderen Stadien des Landes noch viel deutlicher zu beobachten ist. Für Fanforscher Prof. Dr. Harald Lange ist der Zuschauerschwund nicht allein mit der Corona-Pandemie zu erklären.

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"Da gibt es zwei Gründe, die sich miteinander kreuzen", erklärte Lange im Gespräch mit SPOX und GOAL und nannte zunächst die Corona-Pandemie: "Während man sich der Leidenschaft und der Emotionalität des Fußballs hingibt, trägt man gleichzeitig im Hinterkopf die Sorge vor Ansteckung oder darüber, ob die Hygienemaßnahmen ausgereift sind, mit sich. Gleichzeitig sorgen die Einlasskontrollen und die Personalisierung der Tickets für leichtes Unbehagen. Der Stadionbesuch ist nicht ganz so befreit wie vor zwei, drei Jahren."

Das allein wäre aber zu kurz gegriffen. Laut Lange spiele ebenso "die beginnende Entemotionalisierung und Entfremdung des Fußballs von den Fans, die wir auch zu Beginn der Pandemie beobachten konnten" eine Rolle. "Ausgehend von einer Kommerzkritik, die bis Anfang 2020 die Domain der aktiven Fanszenen war, die gegen den DFB und zum Teil gegen die DFL opponiert und eine andere Form und Organisation des Fußballs eingefordert haben. Diese Kritik ist mit der Pandemie quasi in der Mitte der Gesellschaft angekommen", sagte Lange.

Indizien habe es schon vor eineinhalb Jahren im Zuge des Restarts nach dem Beginn der Corona-Pandemie gegeben, führte Lange weiter aus: "Die Sonderrolle des Fußballs, der in Pandemiezeiten mit Geisterspielen den Spielbetrieb fortführen konnte, hat dazu geführt, dass die Zustimmung für den Fußball abgenommen hat."

Zuvor waren volle Stadien quasi ein Selbstläufer. "Man brauchte die Tore nur aufmachen, dann kamen die Leute rein. Bei manchen Klubs war es in der Vergangenheit schwer, überhaupt an Tickets zu kommen. Daher kann ich durchaus nachvollziehen, dass sich die Verantwortlichen im deutschen Fußball nicht viele Gedanken darüber machen mussten, wie sie Fans rekrutieren. Die kamen einfach", sagte Lange.

Harald Lange ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg.
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Harald Lange ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg.

Fanforscher sieht "Gefahr, dass Fans dauerhaft verloren gehen"

Doch schon als zu Saisonbeginn 2020/21 unter Auflagen eine Teilrückkehr der Fans erlaubt war, blieben einige Klubs auf Tickets sitzen. "Dadurch hat der Fußball an Renommee und an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Das schwingt am Horizont mit", meinte Lange. "Durch die Pandemie ist Sand ins Getriebe gekommen. Es besteht die Gefahr, dass an dieser oder jener Stelle ein Kartenhauseffekt einsetzt und die Sogwirkung des Profifußballs plötzlich in Mitleidenschaft gezogen wird. Je länger diese Phase der Stagnation dauert, desto größer ist die Gefahr, dass die Fans tatsächlich dauerhaft verloren gehen."

Aktuell setzen immer mehr Klubs auf die 2G-Regel, der Stadionbesuch ist somit nur noch Geimpften oder Genesenen erlaubt. Durch diese Regel dürften die Vereine die Stadien theoretisch auch wieder voll auslasten, dennoch bleiben auch weiterhin vielerorts Plätze leer. So auch zuletzt in Frankfurt, als gegen RB Leipzig statt der 51.500 möglichen Zuschauer nur 31.000 Menschen den Weg ins Stadion fanden. SGE-Vorstand Axel Hellmann sprach in der FAZ angesichts des Fernbleibens von 20.000 Dauerkarteninhabern "vom Fehlen der Stamm-Milieus".

Auch andernorts blieben oder bleiben die Mitglieder der aktiven Fanszene den Stadien fern. Als Gründe werden unter anderem weiter vorherrschende Beschränkungen oder die Personalisierung der Tickets angeführt. Nach und nach kehren aber auch die Ultras wieder zurück in die Stadien - so wie am Samstag beim Spiel der Bayern gegen den SC Freiburg (2:1).

FCB: "Richtige Breitseite" - Lange erwartet mehr Proteste

"Das ist zweischneidig. Einerseits ist es schade, weil dadurch fehlte ja auch die Stimmung und die Atmosphäre. Wenn die jetzt wieder da sind, ist die Atmosphäre zurück, dann gibt es wieder Choreographien", sagte Lange. "Aber was passiert am Wochenende? Die sind kritisch, sportpolitisch aktiv und dann hauen sie mal eben dem eigenen Klub - wie bei Bayern München - aber mal so eine richtige Breitseite rein und fragen: Wo ist eigentlich euer moralisches Gewissen? Meine Prognose ist, dass wir diese Bilder den ganzen Winter über bei jeder Rückkehr irgendeiner Ultragruppe sehen werden."

Mit einem Banner kritisierten Anhänger in der Südkurve das Katar-Sponsoring. Für Lange ist der Austausch auch über solche Themen wichtig. "Das unterstreicht, dass wir die Debatten zur Kommerzialisierung in den Klubs und bei der DFL führen müssen", betonte der Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Uni Würzburg.

Im Umgang mit der Pandemie und hinsichtlich des Hygienekonzepts für Spieler und Zuschauer bescheinigte Lange den Klubs und der DFL eine gute Arbeit. Nachholbedarf sieht er beim Umgang mit der Kommerzkritik: "Diejenigen, die den professionellen Fußball in der Vergangenheit ausschließlich so gesehen haben, dass er dem Zweck der Geld-Maximierung dient, müssen in ihrer Haltung relativiert werden." Man müsse wieder den Blick öffnen für die gesellschaftliche Bedeutung des Fußballs.

Gefahr von Geisterspielen? "Verlust von Fans geht weiter"

Schließlich sei der Fußball historisch gesehen gerade in Krisen von besonderer Relevanz. "Der Fußball hat immer die Botschaft gesendet, wir gehören zusammen und lasst uns an einem Strang ziehen. Das findet momentan viel zu wenig statt. Dieses Potenzial müsste wieder erschlossen werden", unterstrich Lange.

In Anbetracht steigender Infektionszahlen könnte die Debatte um Fans in den Stadien aber schon bald auch wieder in eine andere Richtung gehen. "Es hängt davon ab, welche gesellschaftspolitischen Entscheidungen getroffen werden", sagte Lange. "Wenn es wieder Lockdowns gibt, gibt es wieder Geisterspiele. Aber ich glaube, jeder Politiker versucht genau dieser Frage auszuweichen und darauf zu hoffen, irgendwie ohne Lockdown durchzukommen."

Sollte es doch zu einem erneuten Lockdown kommen, fürchtet er: "Falls das der Fall sein sollte, lässt das ganz massiv Luft aus dem Emotionskessel Fußball und die Entfremdung und der Verlust von Fans geht weiter. Das wäre für den Fußball ganz, ganz schlecht. Aber das ist nicht die wichtigste Frage. Unsere wichtigste Frage ist unsere Sicherheit und unsere Gesundheit."

Zuschauertabelle der Bundesliga:

PlatzVereinHeimspieleZuschauer 11. Spt.Zuschauer gesamtZuschauerschnitt
1.Borussia Dortmund6-246.52141.086
2.Bayern München675.000230.00038.333
3.1. FC Köln649.000205.10034.183
4.RB Leipzig643.429174.38529.064
5.VfB Stuttgart633.550156.91526.152
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