Markus Rejek von Arminia Bielefeld im Interview: "Deshalb war 1860 München für mich reizvoller als Bayern"

Markus Rejek im Januar 2014 bei seiner Vorstellung als Geschäftsführer von 1860 München.
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Sie sollen auch dafür verantwortlich sein, dass Klopp damals eine Mütze mit der Aufschrift "Pöhler" spazieren trug. Stimmt das?

Rejek: Nein, dafür war jemand anderes aus dem nahen Umfeld des BVB verantwortlich. Es fügte sich aber hervorragend ins Thema Identität ein und Kloppo konnte sich sehr damit identifizieren. Wir hatten damals eine Identitätsschulung für alle Mitarbeiter. Als letztes war Kloppo dran, in der Mannschaftskabine unter sechs Augen. Dem brauchtest du die Präsentation gar nicht zu zeigen. Er hat im Grunde immer die nächste Seite antizipiert, weil er die Identität von Borussia Dortmund selbst verkörpert und vorgelebt hat. Es war, als wäre die Identität des BVB und vieles von Jürgens Charakter eins gewesen.

Das dürfte zugleich einer der Gründe dafür sein, weshalb sich der Klub nie vollständig von Klopps Ära emanzipieren konnte.

Rejek: Ich glaube, es ist für den BVB nach wie vor schwer, komplett loszulassen. Ich kann mir auch keine bessere Geschichte oder schönere Zeit vorstellen als besonders die Phase zwischen 2009 und 2013. Die Mannschaft und ihre Spielweise passten ideal, der BVB wurde europaweit anerkannt und geschätzt. Der BVB war der erste deutsche Verein auf dem Cover des Fußballmagazins FourFourTwo. Das war damals wie ein Ritterschlag. Und alles war verbunden mit dem Gesicht von Jürgen Klopp.

Abgesehen von der Schulung: Wie viel hatten Sie in Ihrer Funktion mit Klopp zu tun, wie haben Sie ihn wahrgenommen?

Rejek: Nicht viel, aber immer mal wieder. Er ist kein Mensch, der sich verstellt. Wenn er in einen Raum kommt, füllt er ihn mit seiner Ausstrahlung aus. Es gibt auch Momente, da geht man besser vor ihm in Deckung. Er hat die Kraft, einen ganzen Verein komplett mitzureißen. Das ist ihm bislang überall gelungen.

Sie wurden 2012 zusammen mit Marketing-Vorstand Carsten Cramer mit dem Marken-Award-Sonderpreis "Beste Sportmarke" ausgezeichnet, ein Jahr später kam der 1. Platz beim Marketingpreis des Sports hinzu. Von wie viel Leichtigkeit war damals angesichts des sportlichen Höhenflugs auch Ihr Job umgeben?

Rejek: Die Ergebnisse auf dem Platz sind der Kern eines Fußballvereins und stets maßgeblich für alles. Wenn es dem Sport gutgeht, geht es allen und allem anderen auch gut. Ist das nicht der Fall, kannst du mit den noch so besten Konzepten und Ideen ankommen. Ich hatte später das andere Extrem mit dem TSV 1860 München: Da stand ich nach vielen verlorenen Heimspielen mit den Sponsoren beisammen und musste erklären, warum wieder nicht gewonnen wurde. Und wenn du das nicht erklären konntest, musstest du dir den Frust anhören. Dann bist du nach Hause gefahren und hast dich manchmal gefragt: Warum machst du diesen Job hier eigentlich?

Markus Rejek im Januar 2014 bei seiner Vorstellung als Geschäftsführer von 1860 München.
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Markus Rejek im Januar 2014 bei seiner Vorstellung als Geschäftsführer von 1860 München.

Rejek über das BVB-Aus: "In einer Art Käfig gefangen"

Warum hörten Sie Ende September 2013 eigentlich in Dortmund auf?

Rejek: Das war im Grunde viel zu spät. Der BVB war meine große Leidenschaft, aber irgendwann ist man auch in einer Art Käfig gefangen. Für meine persönliche Entwicklung hätte ich schon viel früher gehen müssen. Es gab im Verein kein Weiterkommen für mich, dazu hatte ich meine großen Herzensaufgaben und - ziele vor allem mit dem Identitätsprozess abgeschlossen.

Das heißt, es gab keine weiteren Aufstiegsmöglichkeiten für Sie?

Rejek: Ich habe gespürt, dass ich noch mehr will: mehr gestalten, mehr Verantwortung übernehmen. Das war in der Hierarchie beim BVB irgendwann nicht mehr möglich.

Was hat der Verein unternommen, um Sie zu halten?

Rejek: Der BVB kam mir sehr entgegen und gab mir die Zeit, um mich neu zu orientieren. Ich war dann auf dem Weg zu einer Agentur nach Hamburg, als mich auf einmal ein Anruf eines Headhunters erreichte. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könnte, in München zu arbeiten.

Also haben Sie gar nicht mit dem deutlich öffentlicheren Jobprofil geliebäugelt, so wie Sie es dann ab Februar 2014 als kaufmännischer Geschäftsführer bei 1860 München ausübten?

Rejek: Ich habe mit einer neuen Herausforderung geliebäugelt. Ich wollte raus aus der Komfortzone Ruhrgebiet, etwas anders kennenlernen und das kalte Wasser spüren. Das war bei den Löwen eiskalt.

Zuvor lebten Sie bis auf die Zeit in Dresden ausschließlich in Westdeutschland. Wie groß war der Kulturschock in München?

Rejek: München hatte ich in der Tat nicht auf dem Schirm. Aber Sechzig als Münchner Verein passte zu meinem Wertesystem als Ruhrpottler sehr gut. Ich bin mit offenen Augen, Ohren und Herzen nach München gekommen. Eine neue Kultur und neue Identitäten kennen zu lernen, finde ich spannend. Das hat mich bisher in meinem Leben immer angetrieben - die Neugier auf das Neue.

Als Sie sich zum ersten Mal den Medien vorstellten, sagten Sie den markanten Satz: "1860 hat aufgrund seiner Historie mehr Sex als die Bayern." Wie meinten Sie das?

Rejek: Das war klassisch aus dem Zusammenhang gerissen. Dadurch habe ich aber gelernt, wie groß in einer Stadt mit fünf Tageszeitungen der Kampf um die beste Geschichte ist und die eigene Arbeit dadurch nicht unbedingt leichter gemacht wird.

Wie ist es richtig?

Rejek: Ich habe zwei Stunden mit der Presse gesprochen und irgendwann in diesem Gespräch erwähnt, dass ich gar nicht so recht wüsste, was ich bei Bayern München gestalten sollte, weil der Verein schon so erfolgreich und in allen Belangen bestens aufgestellt ist. Was kann man da verbessern? Die Aufgabe bei 1860 war für mich daher viel spannender und mit viel mehr Leidenschaft verbunden, weil das Leiden bei diesem Verein auch dazugehört. Deshalb hat Sechzig damals für mich mehr Reiz gehabt als ein Verein, der jedes Jahr Deutscher Meister wird.

Wie sind Sie dort neben den Feldern Marketing und Vertrieb mit dem neu zu verantwortenden Bereich Finanzen klargekommen?

Rejek: Das musste ich mir anarbeiten und war learning by doing. Grundsätzlich versuche ich, viele solcher Themen mit sozialer Empathie zu vermenschlichen. Ich würde mich als Dirigent eines Orchesters bezeichnen. Ich kann vielleicht ein bisschen trommeln, aber ich bin nicht der Experte. Deshalb ist es wichtig, dass man für die einzelnen Bereiche den besten Trommler oder Geiger findet.

Hat Sie der Ruf von 1860 als Chaos-Klub, der von den finanziellen Hilfen des Investors Hasan Ismaik abhängig war, nicht abgeschreckt? Immerhin gab es dort in rund zwölf Jahren vor Ihnen bereits elf Geschäftsführer.

Rejek: Darüber habe ich gar nicht so viel nachgedacht. Nach den Gesprächen mit Präsident Gerhard Mayrhofer und Noor Basha und mit der Idee, die dahinterstand, war und bin ich nach wie vor überzeugt, dass es hätte funktionieren können - aber nicht in der Konstellation und Konstruktion.

Wie meinen Sie das?

Rejek: Verglichen mit anderen Vereinssatzungen ist die Satzung des TSV 1860 München aus meiner Sicht schwierig. Sie kann im schlechtesten Fall sogar ein Erfolgsverhinderer sein. Man findet keinen Konsens, sondern ist quasi die ganze Zeit mit Politik beschäftigt. Zu viele Personen für die Gremien-Positionen. Satzungen in einem Verein sind wichtig und können einen Unterschied ausmachen.

Markus Rejek zusammen mit 1860-Investor Hasan Ismaik.
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Markus Rejek zusammen mit 1860-Investor Hasan Ismaik.

Rejek über sein Treffen mit Hasan Ismaik

Sie flogen auch nach Abu Dhabi, um sich mit Ismaik zu treffen. Welchen Eindruck hat er auf Sie gemacht?

Rejek: Das erste Kennenlerngespräch dauerte dort nur 20 Minuten. Ich habe über den Tag mehr mit seinem Bruder gesprochen. Hasan ist eine interessante und spannende Persönlichkeit, die viel zu erzählen hat.

Hatten Sie den Eindruck, Ismaik hat Ahnung vom Fußball?

Rejek: Nein, den Eindruck hatte ich nie. Ich glaube am Ende ist die Geschichte mit Hasan Ismaik und 1860 ein großes Missverständnis. Ich habe in meiner Zeit bei Sechzig nie verstanden, was seine Motivation ist, außer vielleicht berühmt zu werden. Er hatte viele Berater an seiner Seite, die es gut meinten - leider nur mit sich selbst und nicht mit Hasan und 1860. Hätte man das Geld, was Hasan bislang investiert hat, strategisch und planvoll eingesetzt, wäre der TSV ähnlich wie Union Berlin in einem Vier- bis Fünfjahresplan in die Bundesliga aufgestiegen.

Wenn Sie heute auf Ihren Start in München zurückblicken - welche Fehler haben Sie gemacht?

Rejek: Mit meiner Erfahrung von heute lässt sich das einfacher sagen: Ich hätte noch viel mehr die Führung übernehmen müssen in dem Konstrukt der beiden Gesellschafter. Ich hätte Hasan deutlicher warnen sollen vor einigen sogenannten Beratern. Das Problem war allerdings, dass schon vor meiner Zeit einiges ausprobiert wurde. Kein Weg führte zu den gewünschten Ergebnissen. Wir hatten also nicht viele "Schüsse" frei. Das Experiment mit den Spielern aus Spanien, welches von Gerhard Poschner vorangetrieben wurde, ging schief. Damit war das Anfangsvertrauen aufgebraucht. Wenn man aber bedenkt, dass Ian Ayre, der damals vom FC Liverpool als Geschäftsführer an die Grünwalder Straße wechselte, nach nur wenigen Wochen hingeschmissen hat, kann man sich vorstellen, dass ein konstruktives Miteinander kaum möglich war.

Öffentlich eskaliert ist es zwischen Ismaik und Ihnen bei einem Fantreffen Mitte 2016, wo Ismaik Ihre Entlassung forderte. Wie haben Sie das aufgenommen?

Rejek: Das kam aus dem Nichts. Ich hatte ein paar Tage zuvor noch mit Hasan telefoniert. Dann kam es zu dieser inszenierten Veranstaltung. Ich habe mich anschließend in einem Interview in der Süddeutschen Zeitung dagegen gewehrt. Mir war klar, dass das Majestätsbeleidigung war und keiner im Verein die Kraft hatte, die schützende Hand über mich zu halten. Es war am Ende ein Kampf gegen Windmühlen. Auf der einen Seite der Gesellschafter, bei dem Motivation und Strategie nicht klar waren. Auf der anderen stand der Kampf des e.V. mit mehreren von dieser fast ausweglosen Konstellation zermürbten Präsidenten.

Was haben Sie aus der Zeit bei Sechzig und der Zusammenarbeit mit einem Investor konkret gelernt?

Rejek: Vor allem Menschenführung, sich in Verhandlungen hartnäckig zu zeigen und seine Sache mit Konsequenz zu verfolgen. Ich habe viele Negativbeispiele kennenlernen dürfen, wie es nicht funktioniert, wenn man keinem Plan oder zu vielen Ratgebern folgt. Man muss als Verein, von den Mitarbeitern bis zur Führung, zwingend eine Einheit bilden. Ich würde behaupten: Ohne die Station in München und meine Erfahrungen daraus wäre es mir in Bielefeld nicht gelungen, die notwendige Sanierung und Restrukturierung in der Form durchzuführen.

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