Kolumne - Nach Thomas Hitzlspergers Rückzugsankündigung beim VfB Stuttgart: Wie geht es weiter?

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Was für viele unerwartet kam, hat Insider beim VfB Stuttgart nach dem verlorenen Machtkampf mit Widersacher Claus Vogt nicht mehr überrascht. Die Hintergründe des angekündigten Abschieds von Thomas Hitzlsperger, eine mögliche Zukunft beim DFB und potenzielle Nachfolger. Die Fußball-Kolumne.

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Als Felix Magath 2004 zum FC Bayern gewechselt war, musste er sich umstellen. Plötzlich, so klagte der neue FCB-Coach, werde jede seiner Aussagen zum Breaking-News-Thema, während dieselben Sätze bei seinem alten Klub VfB Stuttgart niemanden außerhalb der Region interessiert habe.

Daran hat sich bis heute nichts geändert - und das gilt auch umgekehrt: Zwar ist der Traditionsverein aus der baden-württembergischen Landeshauptstadt im Ländle immer Gesprächsthema, doch im Rest der Republik nimmt man den VfB meist nur am Rande wahr.

Daher kam am Mittwoch die Ankündigung von Thomas Hitzlsperger, dass er seinen im nächsten Jahr auslaufenden Vertrag als Vorstandsvorsitzender nicht verlängern will, für viele überraschend. Schließlich hatte er in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach verkündet, "noch sehr, sehr lange beim VfB bleiben" zu wollen.

VfB Stuttgart: Hitzlsperger hat keine Lust mehr

Dennoch waren Kenner des Klubs aus Bad Cannstatt nur über den Zeitpunkt der Bekanntgabe verwundert, nicht aber über die Tatsache als solche. Die Gründe sind vielschichtig, aber im Kern kann man sie so zusammenfassen: Hitzlsperger hat keine Lust mehr.

Er selbst äußert sich bislang nicht zu den konkreten Gründen und will das wohl auch weiterhin nicht tun. Es liegt allerdings auf der Hand, dass der verlorene Machtkampf im Frühjahr mit Vereinspräsident und AG-Aufsichtsratsboss Claus Vogt und vor allem dessen klarer Wiederwahl auf der Mitgliederversammlung im Sommer eine entscheidende Rolle bei dem Schritt gespielt haben.

Dabei war die Hoffnung groß gewesen, dass mit den eindeutig geklärten Verhältnissen nun endlich Ruhe einkehren würde nach einem der unruhigsten Jahre im ohnehin meist recht unruhigen VfB. Den Auftakt hatte die Enthüllung der Datenaffäre durch den kicker im September 2020 gemacht. Demnach hatten leitende Angestellte ab 2016 unerlaubt E-Mail-Adressen der Vereinsmitglieder an einen PR-Unternehmer weitergegeben, damit er die Mitglieder per "Guerilla-Marketing" für die Zustimmung zur umstrittenen Ausgliederung der Fußball-AG bewegen konnte. Diese war dann im Juni 2017 erfolgt.

Entlassungen, Rücktritte und Zerwürfnis zwischen Hitzlsperger und Vogt

Nach der Veröffentlichung beauftragte der Ende 2019 erstmals zum Präsidenten gewählte Vogt die Berliner Kanzlei esecon mit der Aufklärung, die dem VfB-Vorstand um Hitzlsperger in einem Zwischenbericht massive Behinderungen vorwarf. In der Folge wurden mehrere Präsidiumsmitglieder und Direktoren entlassen oder traten zurück. Dabei kam es zu einem massiven Zerwürfnis zwischen Vogt und Hitzlsperger, der seinem Widersacher in einem offenen Brief quasi die Eignung absprach und ankündigte, gegen ihn als Präsident zu kandidieren.

Doch der von zahlreichen Fangruppen unterstützte Vogt widersprach seinerseits in einem offenen Brief, lehnte sämtliche Rücktrittsforderungen aus verschiedenen Richtungen ab und verhinderte auch die im Raum stehende Nichtnominierung für die Wiederwahl durch den Vereinsbeirat. Nachdem Hitzlsperger schon im Frühjahr zurückgezogen hatte, wurde Vogt schließlich im Juli triumphal mit mehr als 92 Prozent im Amt bestätigt, während sich sämtliche seiner Gegner aus den Gremien verabschiedeten. "Ausgerechnet Vogt hat jetzt die Position als unumstrittene Nummer eins im Verein, die vor ihm alle Präsidenten seit Gerhard Mayer-Vorfelder immer vergeblich angestrebt haben", sagt ein langjähriger Beobachter.

Professionelles Miteinander - mehr nicht

Seitdem hat das ungleiche Duo an der VfB-Spitze wieder zu einem professionellen Miteinander gefunden, eine enge Verbindung wird es aber nicht mehr werden. Was nicht unbedingt an Vogt liegt, der sehr schnell versuchte, den Streit mit dem Ex-Nationalspieler beizulegen und ein Angebot für eine weitere Zusammenarbeit über dessen Vertragsende im Oktober 2022 hinaus ankündigte.

"Wir haben beide das gleiche Interesse: im Sinne des VfB bestmöglich unsere Arbeit zu machen. Ja, es gab Verwerfungen, aber unser Verhältnis ist trotz allem besser als viele vielleicht denken", sagte der Unternehmer schon im Mai im Interview mit SPOX und Goal: "Vielleicht ist es bei Thomas und mir wie in einer guten Ehe."

Vogt und Hitzlsperger: Eher wie in einer schlechten Ehe

Wie sich jetzt herausstellt, war es eher wie in einer schlechten Ehe - zumindest bei einem Partner. Als "Ende der Scheinheiligkeit" bezeichnete die Stuttgarter Zeitung daher den Rückzug. Denn Hitzlsperger entschuldigte sich zwar mehrfach für seine Vorwürfe Richtung Vogt, zu echter Empathie gegenüber seinem nominellen Vorgesetzten reichte es aber nicht mehr. Gleichzeitig wurde die Zahl der Skeptiker immer größer, nachdem Hitzlsperger bereits durch seine Kampfkandidatur sehr viele Anhänger nachhaltig vergrätzt hatte.

Die Kritiker werfen ihm bis heute vor, erst durch die nun endlich vertriebenen alten Seilschaften beim VfB auf der Karriereleiter empor geklettert zu sein, zum Vorstandsvorsitzenden machte ihn Anfang 2019 ja der später mit Schimpf und Schande verjagte Vogt-Vorgänger und ehemalige Stuttgart21-Sprecher Wolfgang Dietrich. Aus falsch verstandener Loyalität habe sich Hitzlsperger auch in der Datenaffäre vom "alten VfB" gegen Vogt instrumentalisieren lassen und sei damit gescheitert, heißt es.

Thomas Hitzlsperger wird seinen Vertrag beim VfB Stuttgart nicht verlängern.
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Thomas Hitzlsperger wird seinen Vertrag beim VfB Stuttgart nicht verlängern.

"Der VfB bringt noch aus jedem Klubboss das Schlechteste hervor"

"Am Ende steht auch Hitzlsperger in der Tradition unglücklich agierender Chefs bei dem schwäbischen Verein. Der VfB bringt noch aus jedem Klubboss das Schlechteste hervor. Selbst aus Thomas Hitzlsperger", kommentierte der Berliner Tagesspiegel den angekündigten Rückzug.

Die Stuttgarter verlieren damit ein Aushängeschild, das wegen seines modernen, kommunikativen Auftretens und seines gesellschaftlichen Engagements, unter anderem für die Rechte homosexueller Menschen, ein nahezu perfekter Markenbotschafter ist. Und sie müssen sich einen neuen sportlich Verantwortlichen suchen, den fünften in den vergangenen fünf Jahren. Ein Zeichen für die endlich erhoffte Kontinuität ist das sicher nicht.

Vorwürfe gegen Hitzlsperger: Anfänger, Selbstdarsteller, überfordert

Wie groß der tatsächliche Verlust im operativen Geschäft ist, darüber gibt es dennoch widersprüchliche Aussagen. Als "Anfänger" bezeichnete Zeit Online Hitzlsperger vor wenigen Monaten, der Tagesspiegel nannte ihn einen Berufsanfänger, dem "ein paar Lehrjahre im Vereinsmanagement offenkundig gut getan" hätten.

Noch drastischer äußern sich andere hinter vorgehaltener Hand. Der 39-Jährige sei "hoffnungslos mit dem Amt überfordert", meint ein ehemaliger leitender Angestellter. Ein anderer VfB-Insider beschreibt den Vorstandsvorsitzenden als "Selbstdarsteller, dem alle auf den Leim gegangen sind".

Diejenigen, die Hitzlsperger wohl gesonnen sind, nennen dagegen Präsident Vogt einen Intriganten und Egomanen, mit dem eine konstruktive Zusammenarbeit auf Dauer nicht mehr möglich gewesen wäre. Einig sind sich aber beide Seiten: Der Job habe Hitzlsperger letztlich keinen Spaß mehr gemacht. Denn natürlich haben sich die Bedingungen für den Seiteneinsteiger durch die neuen Machtverhältnisse in Bad Cannstatt erschwert.

Hitzlsperger: Ohne Unterstützung und Rückendeckung beim VfB?

Ohne seine einstigen Helfer an der Seite fehlte ihm die Unterstützung im Tagesgeschäft und vielleicht auch perspektivisch die Rückendeckung durch die Gremien. Gleichzeitig haben die Probleme im Zuge der Corona-Krise zugenommen. Führungspositionen müssen mit kompetenten Leuten nachbesetzt, Millionen-Lücken im Etat eingespart werden und selbst die gemeinsame Zukunft mit Anker-Investor Daimler ist angesichts dessen Abwendung vom Fußball nicht auf ewig gesichert.

So bleibt die Frage, ob Hitzlsperger seine Ankündigung tatsächlich umsetzen kann, den bis Oktober 2022 laufenden Vertrag zu erfüllen. "In der Wirtschaft haben wir mit solchen Situationen schlechte Erfahrungen gemacht, da der Amtsinhaber fortan die sogenannte Lame-Duck-Position einnimmt. Das könnte jetzt auch beim VfB passieren", warnte Ehrenpräsident Erwin Staudt bereits.

Hitzlsperger-Nachfolger: Kölns Alexander Wehrle und Sven Mislintat gehandelt

Vermutlich wird der Führungswechsel davon abhängen, wie schnell der fünfmalige deutsche Meister einen neuen Vorstandsboss findet. Der gebürtige Schwabe Alexander Wehrle, aktuell Finanz-Geschäftsführer beim 1. FC Köln, wird wie schon mehrfach in den vergangenen Jahren hoch gehandelt, diesmal allerdings als Vorsitzender. Und daneben könnte Sportdirektor Sven Mislintat, der seinen Verbleib explizit nicht an Hitzlspergers Zukunft geknüpft hat, zum Sportvorstand aufrücken.

Und was wird aus dem einstigen Hoffnungsträger? Naheliegend wäre eine Kandidatur für die vakante Position des DFB-Präsidenten. "Von mir aus gibt es diese Ambitionen nicht", sagte Hitzlsperger am Mittwoch. Allerdings könnte in dieser für den gesamten deutschen Fußball so wichtigen Führungsfrage bis zum Bundestag im März noch eine ziemliche Dynamik reinkommen.

Denn der bisher mangels Alternativen als Favorit gehandelte Interimspräsident Peter Peters gilt einer Mehrheit bei Profis und vor allem Amateuren nach wie vor als nicht vermittelbar. Hitzlsperger könnte also die Lichtgestalt sein, die der DFB so dringend braucht. Vermutlich würde ihm eine solche Rolle sogar mehr liegen als die aktuelle beim VfB Stuttgart.

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