Christian Heidel vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Ruf' den Notar an, ich will mein Testament machen!"

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Hatten Sie Gedanken in die Richtung: Wie sieht das denn jetzt öffentlich aus, wenn ich einfach wieder nach Mainz zurückkehre?

Heidel: Nicht eine Sekunde. Das war mir völlig egal. Die Wahrscheinlichkeit, dass es mit damals sechs Punkten auf der Habenseite natürlich nicht mehr reicht und in die 2. Liga geht, war exorbitant größer als die Chance auf den Klassenerhalt - und trotzdem habe ich es gemacht. Mainz ist für mich einfach etwas Besonderes. Ich bin hier geboren, seit fast 50 Jahren Fan und 25 Jahre in der Verantwortung. Ich hatte einfach Bedenken, dass die Situation sich noch weiter zuspitzt - und der Verein zerbricht. Das wollte ich nicht. Ich habe immer gesagt, dass ich irgendwann als Rentner mit dem Stock auf der Tribüne sitzen und Fußballspiele anschauen möchte. Mein damaliger Eindruck war, dass das akut gefährdet ist. Da wollte ich versuchen zu helfen, aber ohne jede Garantie auf Erfolg.

Zwischen 2016 und 2019 arbeiteten Sie für den FC Schalke 04. Einer der großen Unterschiede zum S04 ist das geringere öffentliche Interesse in Mainz. Sind Sie froh, dass jetzt nicht mehr jede Ihrer Aussagen eine solche Tragweite hat?

Heidel: Die beiden Vereine lassen sich in der Hinsicht überhaupt nicht vergleichen. Auf Schalke spielen Medien und Öffentlichkeit eine ganz andere Rolle als bei einem kleineren Klub wie Mainz. Deshalb ist es dort und bei anderen Vereinen dieser Dimension ja auch so problematisch, mit sportlichen Krisen und Misserfolg umgehen zu können. Es besteht oft die Gefahr, regelmäßig einen Neustart zu machen. Kontinuität zu erlangen ist unter solch immensen Druck schwierig. In einem Klub wie Mainz ist all dies ganz anders darstellbar.

Würden Sie sagen, dass Sie die Dimension und Wucht von Schalke, gerade in sportlich schweren Zeiten, manches Mal vielleicht auch unterschätzt haben?

Heidel: Nein. Jeder Mensch hat aber Emotionen. Wenn man dort mittendrin ist, kann es auf der einen Seite überragend sein - im schlechten Fall aber auch sehr unangenehm. Das ist dann eine Erfahrung, die man nicht braucht, die aber einfach dazugehört. Ich habe bis heute noch sehr viele Sympathien für Schalke, weil es einfach ein überragender Klub ist. Ich drücke von Herzen die Daumen, dass der Wiederaufstieg gelingt.

Sie erlitten ein halbes Jahr nach Ihrem Aus auf Schalke während eines Türkei-Urlaubs im August 2019 einen Schlaganfall. Wie wurde Ihnen erklärt, dass es dazu kommen konnte?

Heidel: Ganz einfach: Ich habe mich nicht an das gehalten, was mir empfohlen wurde. Es hatte nichts damit zu tun, dass ich seit vielen Jahren einen Job habe, der ab und zu mal an die Nerven geht. Mein großer Fehler war: Ich hatte über Jahre Herzrhythmusstörungen und die nicht so ernst genommen, wie man es hätte tun sollen.

Inwiefern?

Heidel: Ich habe dann eine Tablette eingeworfen, so ging es wieder weg und ich dachte, mir passiert sowieso nichts. Damit habe ich über einige Jahre gelebt und auch gut gelebt. Was mir nicht ganz so bewusst war ist, dass das Risiko eines Schlaganfalls erheblich größer ist, wenn man ständig Herzrhythmusstörungen hat.

Wie erging es Ihnen sonst körperlich?

Heidel: Ich war fit wie ein Turnschuh. Mir wurde gesagt, ich sei ein Ein-Prozent-Kandidat für einen Schlaganfall gewesen - eben aufgrund der Herzrhythmusstörungen. Doch die kann man auch bekommen, wenn man den ganzen Tag im Bett liegt und keinen stressigen Job hat. Leider sind bei mir dann 100 Prozent daraus geworden. Das kam aus dem kompletten Nichts. Ich bin sehr froh, dass ich alles ohne jegliche Nachwirkungen überstanden habe. Man merkt aber schon, wie schwach man als Mensch in diesem Moment ist. Es hört sich blöd an, aber das ist nun eine Lebenserfahrung für mich, die ich gar nicht missen will. Ich bin auf solche Dinge jetzt mental ganz anders vorbereitet - daher rede ich auch so offen darüber.

Was von dem, was Sie sich damals in der akuten Situation sicherlich vorgenommen haben, setzen Sie nun im Alltag um?

Heidel: Da bin ich leider Gottes wieder ein bisschen in den alten Trott verfallen und schimpfe mit mir selbst. Ich mache jeden Morgen Liegestützen, aber mein Sport-Programm ist mittlerweile doch wieder stark reduziert. Es ist einfach schwierig in diesem Job. Als ich im Krankenhaus lag, nahm ich mir natürlich vor, einiges zu ändern: gesünderer Lebenswandel, mehr Ruhe, mehr Sport. Zu Beginn klappte das auch gut. Ich war auf Mallorca vier Wochen in einer Rehaklinik und habe privat freiwillig um drei Monate verlängert, weil mir das sehr viel gegeben und ein gutes Gefühl vermittelt hat. Doch trotzdem vergisst man anschließend wieder vieles.

Christian Heidel während seiner Zeit beim FC Schalke 04.
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Christian Heidel während seiner Zeit beim FC Schalke 04.

Sie sagten einmal, aufgrund dieser Erfahrung echauffieren Sie sich nun nicht mehr so schnell und ordnen Dinge anders ein. Wieso taten Sie das nicht bereits, als 2016 vier enge Freunde von Ihnen innerhalb eines halben Jahres verstorben sind?

Heidel: Eine gute Frage, die aber sehr schwer zu beantworten ist. Die damalige Tragik hat bei mir eher eine Angst ausgelöst nach dem Motto: Irgendwann bist du auch einmal dran, hast du dein Leben eigentlich gelebt? Mir ging es nach meiner langen Mainzer Vergangenheit vor allem um die Frage, ob es das jetzt wirklich ist oder ich nicht noch einmal etwas anderes machen möchte. Ich hatte da keine Gedanken an Krankheit oder Tod, denn ich fühlte mich sehr fit.