Ex-BVB-Manager Michael Meier im Interview: "Borussia Dortmund finanziell nicht auf Erling Haaland angewiesen"

Von Stanislav Schupp
Leroy Sane wechselte 2020 von Manchester City zum FC Bayern.
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Am Samstag trifft Borussia Dortmund im Rennen um die Champions-League-Plätze auf Tabellennachbar Eintracht Frankfurt (15.30 Uhr im Liveticker). Im Vorfeld der Partie sprach Ex-BVB-Manager Michael Meier (von 1989 bis 2005 bei der Borussia tätig) mit SPOX und Goal über die aktuelle sportliche Lage der Westfalen, den Unterschied zur Konkurrenz und über die Vorbildfunktion des FC Bayern München.

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Außerdem erklärte der 71-Jährige, der mit dem Verein unter anderem den Champions-League-Titel 1997 feierte, aber auch die Finanzkrise in den frühen 2000er Jahren erlebte, welche Auswirkungen die Coronakrise auf den Vizemeister haben wird und was die aktuelle Situation für die Zukunft von Leistungsträgern wie Erling Haaland oder Jadon Sancho bedeutet.

Herr Meier, wie beurteilen Sie die aktuelle sportliche Lage beim BVB?

Michael Meier: Derzeit hinkt man den Zielen hinterher. Der Verein wird natürlich in der Öffentlichkeit an seinen eigenen Erwartungen gemessen. Man hatte in den vergangenen Jahren den Mut, die Meisterschaft als klares Ziel auszugeben, was ich persönlich richtig fand. Wenn man diesem Ziel alles unterordnet, wird man es auch erreichen. Allerdings stand das nicht im Einklang mit dem Trainer, der sich dagegen gewehrt hat, das offensiv zu formulieren. Das wirkte dann natürlich, als torpediere er die Strategie der Verantwortlichen. Am Beispiel des FC Bayern München sieht man jedoch, was absoluter Wille und Gier in der Mannschaft auslöst. Wenn man das einmal verinnerlicht hat und weiß, dass man die nötigen Mittel dafür besitzt, über die der BVB genauso verfügt, dann kann man es auch schaffen.

Was fehlt dem BVB zum Erreichen dieses Ziels?

Meier: Dortmund hat gegenüber den Bayern natürlich den Nachteil, dass die Mannschaft sehr jung ist und in dieser Konstellation noch nicht lange zusammenspielt. Das ist auch eine Folge der Transferpolitik, die gelobt wird und die ich auch sehr schätze. Nur gestaltet es sich dann schwierig, einen Geist zu entwickeln wie ihn die Münchner haben. Dort gibt es mit Manuel Neuer, David Alaba, Thomas Müller, Joshua Kimmich oder Robert Lewandowski Spieler, die bereits über fünf Jahre im Verein sind. Diese Spieler übertragen den Geist auf die nächste Generation wie Leon Goretzka, Serge Gnabry oder Leroy Sane. Vor allem Letzteren dahingehend zu integrieren, ist nicht einfach.

Meier: "Bewundere den BVB, dass er immer wieder aufsteht"

Inwiefern?

Meier: Sane ist ein filigraner Techniker, der ein sehr starker Individualist ist. Bei solchen Spielern ist das Gemeinschaftsgefühl nicht so stark ausgeprägt. Ein Verein wie Bayern München schafft es dennoch.

Was müsste Dortmund dahingehend ändern?

Meier: Eigentlich gar nichts. Man kann es trotzdem schaffen, nur wird es natürlich schwieriger. Der Verein hat diesen Weg gewählt, weil die finanzielle Basis nicht mit Bayern zu vergleichen ist. Das Konzept des BVB ist bislang fantastisch aufgegangen. Die beiden Klubs unterscheiden sich lediglich in Nuancen, die letztlich den Erfolg ausmachen. Dortmund hat natürlich auch Leistungsträger verloren, die man ersetzen musste.

Kann der BVB in den kommenden Jahren ernsthaft um den Titel mitspielen?

Meier: Die Bayern sind aktuell die beste Mannschaft auf der Welt, aber das ist nicht in Stein gemeißelt. Ich bewundere den BVB dafür, dass er immer wieder aufsteht und alles daran setzt, die Bayern vom Thron zu stoßen. Dazu gehört auch eine gewisse Mentalität.

Der frühere BVB-Manager Michael Meier während der Mitgliederversammlung 2004 am Rednerpult.
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Der frühere BVB-Manager Michael Meier während der Mitgliederversammlung 2004 am Rednerpult.

Meier: BVB vs. Frankfurt "ein vorentscheidendes Duell"

In dieser Saison ist Dortmund jedenfalls kein Anwärter auf den Titel, sondern kämpft vielmehr um den Einzug in die Champions League. Am Samstag kommt es zum wichtigen Duell mit Eintracht Frankfurt. Wie groß sehen Sie die Chancen auf eine Qualifikation für die Königsklasse?

Meier: Das ist definitiv ein vorentscheidendes Duell. Ich bin kein Prophet, aber der BVB wird alles daran setzen, in entscheidenden Spielen das Maximum rauszuholen. Das hat in der laufenden Saison bislang gut funktioniert.

Was haben die Mannschaften, die aktuell vor der Borussia stehen, dem Klub voraus?

Meier: Zunächst einmal die Punkte. (lacht) RB Leipzig spielt einen erfrischenden Fußball und hat den Vorteil, dass sie nicht so stark von einem einzigen Spieler abhängig sind. Der VfL Wolfsburg überrascht durch mannschaftliche Geschlossenheit. Dort machen das Management und das Trainerteam einen herausragenden Job. Frankfurt hat aktuell einen sehr guten Lauf und das Momentum auf seiner Seite. In Dortmund ist die fehlende Gier, die den Klub 2011 und 2012 zur Meisterschaft geführt hat, erkannt worden und daran arbeitet man seit dem Trainerwechsel.

Ist Cheftrainer Edin Terzic der Umschwung geglückt?

Meier: Er hat diese Dinge erkannt und angepackt. Terzic hatte den Vorteil, dass er vorher als Co-Trainer tätig war. Dadurch wusste er bereits, wo er ansetzen musste. Man hört ja auch aus der Mannschaft, dass seine Art im Team gut ankommt.

Michael Meiers Stationen im Profifußball:

ZeitraumVereinFunktion
1981 - 19871. FC KölnSportlicher Leiter
1987 - 1989Bayer LeverkusenSportlicher Leiter
1989 - 2000Borussia DortmundVorstandsmitglied
2000 - 2005Borussia DortmundGeschäftsführer
2005 - 20101. FC KölnGeschäftsführer Sport

Meier: "Verein wird die Pandemie überstehen"

Der BVB vermeldete jüngst, dass die finanziellen Folgen der Coronakrise den Verein im laufenden Jahr deutlich stärker treffen würden als zunächst angenommen. Die Rede war von Verlusten jenseits von 75 Millionen Euro. Wäre der Verein selbst bei einer erfolgreichen CL-Qualifikation auf Spielerverkäufe angewiesen?

Meier: Das glaube ich nicht. Das Eigenkapital des Vereins ist nach wie vor sehr hoch. Die Tatsache, dass sie in den vergangenen Jahren ihre Liquidität aufgestockt haben, kann auch Verluste dieser Größenordnung decken. Dank der erfolgreichen Ausgliederung 1999 und des Börsengangs 2000 kann sich der BVB jederzeit einer Kapitalerhöhung bedienen. Somit wird ein Verein dieser Größenordnung diese Pandemie überstehen. Dennoch ist das eine Zäsur, mit der man nicht rechnen konnte.

Wäre im Notfall ein erneuter Gehaltsverzicht der BVB-Profis vorstellbar?

Meier: Durchaus. Inwieweit das durchsetzbar ist, weiß ich allerdings nicht. Die Spieler müssen ihr Ego hinten anstellen und sich darüber im Klaren sein, dass man mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs unter den aktuellen Bedingungen dem Tod von der Schippe gesprungen ist und sie so weiter ihrem Beruf nachgehen können. Die TV-Einnahmen können den Betrieb größtenteils aufrecht erhalten, alles andere steht auf dem Prüfstand.

Meier: "Würde einen Spieler wie Haaland nicht abgeben wollen"

Ungeachtet der finanziellen Absicherung des BVB - was bedeutet diese Situation für die Zukunft von Leistungsträgern wie Erling Haaland oder Jadon Sancho?

Meier: Aus finanzieller Sicht ist BVB auf einen Verbleib der beiden nicht angewiesen, sportlich dagegen schon. Ich denke, dass diese Top-Spieler nach wie vor ihren Preis haben werden, sodass Dortmund sie unter Umständen auch zu den gehandelten Preisen verkaufen könnte. Vereine wie Real Madrid oder der FC Barcelona haben Bedarf an solchen Spielern. Im Fall von Barcelona ist es angesichts der Verbindlichkeiten in Milliardenhöhe schwer vorstellbar, dass sie einen Transfer dieser Größenordnung tätigen werden. Der Verein ist durch seine DNA allerdings zum Erfolg verpflichtet. Sowohl Barca als auch Real wären in der Lage, eine große Summe aufzubringen, weil sie es aus sportlicher Sicht müssen. In England könnte womöglich nur das Financial Fairplay die Klubs von solchen Deals abhalten.

Wäre demnach ein Haaland-Abschied bereits nach dieser Spielzeit denkbar?

Meier: Das kann ich nicht beurteilen. Ich würde so einen Spieler nicht abgeben wollen. Er hat in der laufenden Saison erneut bewiesen, wie bedeutend er für den Verein ist. Das ist einer, in den man sich verlieben kann. Um es in den Worten von Jens Lehmann zu sagen: So einen habe ich noch nie gesehen.

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