BVB - Ex-Dortmund-Talent Dario Scuderi im Interview: "Ich würde sofort wieder den Sprint in Warschau anziehen"

Dario Scuderi verletzte sich bei einem Youth-League-Spiel der U19 des BVB schwer.
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Und es herrschte höchste Alarmbereitschaft?

Scuderi: Doktor Braun sagte, dass wir dringend nach Dortmund müssen, da die Gefahr eines Kompartmentsyndroms bestand, also zu viel Flüssigkeit auf Gewebe, Sehnen und Nerven drückt. Hans-Joachim Watzke bot mir an, einen Privatjet zu nehmen, aber ich bin dann wie ursprünglich geplant mit der Mannschaft zurückgeflogen. Auf dem Weg zum Check-In hat dann noch ein Flughafenmitarbeiter meinen Rollstuhl umgekippt und ich fiel mit ihm und meinem Knie auf dem Boden.

Wie erging es Ihnen auf dem Flug?

Scuderi: Ich lag ganz vorne allein in einer Dreierreihe, unmittelbar vor Tuchel und Michael Zorc. Da die Druckunterschiede in der Luft jedoch so groß sind, wurde alles noch schlimmer. Ich konnte kaum mehr. Es wurde so unerträglich für mich, dass ich noch am Flughafen in einen Krankenwagen verfrachtet wurde und eine Not-Operation durchgeführt werden musste, weil einfach zu viel Druck im Knie war.

Wie sahen denn vor der OP die Prognosen der Ärzte aus?

Scuderi: Es hieß, man würde mein ganzes Bein aufmachen, damit die Flüssigkeit herausläuft. Die Ärztin meinte vor der Narkose: 'Ich kann Ihnen aufgrund des hohen Drucks auf das Knie nicht garantieren, dass Sie Ihr Bein behalten werden. Damit müssen Sie rechnen, die Chancen stehen 50 zu 50.' Ich war komplett schockiert. Als ich wach wurde, habe ich meinen blutdurchtränkten Umhang sofort hochgehoben. Mir sind die Steine nur so vom Herzen gefallen, dass das Bein noch dran war. Da waren zwar Schrauben und jede Menge anderes Zeug drin, ich fühlte mich wie der Terminator. Doch das war mir in dem Moment vollkommen scheißegal.

Sie mussten in der Folge zehn weitere Operationen über sich ergehen lassen. Wie ist man da genau vorgegangen?

Scuderi: Ich war insgesamt drei Wochen lang im Krankenhaus. Jeden zweiten Tag wurde ich operiert, damit die Flüssigkeit weiter hinausläuft. Anschließend bin ich nach München zum renommierten Kniespezialisten Doktor Michael Strobel geflogen. Er meinte, so etwas Schlimmes habe er noch nie gesehen. Ich war nicht in der Lage, meinen Fuß zu heben, da durch den großen Druck ein Nervenschaden in der Wade entstand. Der kostete mich am Ende auch meine Karriere. Es hieß dann, man wolle zehn, elf Monate abwarten, ob sich der Nerv erholt, bevor operiert wird. In der Zwischenzeit humpelte ich mit meinen Krücken durch die Gegend. Ich bekam eine Streckschiene und bin täglich zum BVB in die Reha gefahren. Herr Strobel hat es schließlich aber geschafft, die Bänder im Knie gleichzeitig von vorne, hinten und seitlich zu operieren - das gelingt nicht vielen auf der Welt.

Strobel sagte damals: "Es war die schwerste Knieverletzung, die man sich nur vorstellen kann. Es war so ziemlich alles gerissen, was reißen kann." Fußballspielen im Hochleistungsbereich schloss er für Sie aus. Wie erging es Ihnen da, wie sahen Ihre dunklen Tage aus?

Scuderi: Ich habe natürlich extrem gehadert, dass mir das so kurz vor dem Sprung zu den Profis passiert ist. Mir wurde aber schnell klar, dass ich nicht so viel Zeit mit Was-wäre-wenn-Szenarien verlieren darf. Also habe ich losgelegt. In der Reha tat ich viel für den Oberkörper, es gab Lymphdrainagen für das Knie, teilweise habe ich sogar mit der Streckschiene Klimmzüge gemacht. Ich wurde besessen davon, wieder fit zu werden, weil ich nicht wollte, dass es so endet. Ich wollte trotz der niederschmetternden Prognosen beweisen, dass ich es schaffe. Ich bin zwar auch ein Dickkopf, aber ich war wirklich davon überzeugt, da ich bei meinen Bewegungen und Übungen auch keine Schmerzen hatte.

Im August 2017, also fast ein Jahr nach Ihrer Verletzung, tauchte die Meldung auf, dass der BVB Ihnen ein Sportmanagement-Studium an einer Privat-Universität finanzieren wird. Was steckte dahinter?

Scuderi: Ich habe in der U19 mein Fachabitur begonnen, doch dann kam die Verletzung und ich verlor so viel Stoff, dass es keinen Sinn mehr ergab. Daher habe ich mit Aki Watzke gesprochen, meinen Wunsch bezüglich des Studiums geäußert und wie ich das hinkriegen könnte. Da meinte er gleich: Nichts da, wir bezahlen dir das, du hast schon so viel durchgemacht. Ich nahm dann an der Privat-Uni an einer Weiterbildung zum Fußballmanagement teil, habe aber nebenher weiter trainiert und dabei gemerkt, dass mein Knie immer stabiler wird. Deshalb dachte ich mir: Du hast alles dafür geopfert, dann setze jetzt auch deinen vollen Fokus darauf, wieder dein altes Niveau zu erreichen. Wenn ich das nicht versucht hätte, würde ich es mir mein ganzes Leben lang vorwerfen.

Sie haben damals eine winzige Schiene bekommen, die man wie eine Einlage in Ihre Fußballschuhe einarbeitete, damit die Funktionsstörung Ihrer beschädigten Beinnerven aufgefangen wird. Ein Arzt in Rom soll Ihnen das empfohlen haben. Wie kam es dazu?

Scuderi: Mein Bruder hat sehr viel für mich recherchiert und ist irgendwann auf diesen Arzt gestoßen. Die Schiene hat dafür gesorgt, dass der Fuß gerade im Schuh steckte und nicht mehr hängt, denn ohne sie bin ich leicht gehumpelt. Die Schiene war der Durchbruch, dadurch konnte ich wieder spielen.

Im März 2018 haben Sie wieder mit leichtem Lauftraining begonnen, Anfang April durften Sie das erste Mal joggen. Wie haben Sie sich gefühlt?

Scuderi: Ich habe mich gefreut wie ein kleines Kind, weil ich auch dabei schmerzfrei blieb. Ich wollte allen zurufen: Seht her, ich kann's! Auch wenn viele Leute gesagt haben, das sei eigentlich unmöglich. Anschließend steigerte ich die Läufe: sie wurden häufiger, schneller, dann kamen Sprints und Richtungswechsel hinzu. Es glaubt mir heute kein Mensch, aber ich hatte nach der OP von Doktor Strobel kein einziges Mal mehr Schmerzen.

Sechs Monate nach dessen Operation stiegen Sie Ende Mai nach 623 Tagen Abstinenz wieder ins Mannschaftstraining ein - quasi zwei Jahre nach der gewonnenen U19-Meisterschaft. Zuvor stand die lang erwartete ärztliche Unbedenklichkeitsuntersuchung zum Leistungssport an.

Scuderi: Diesem Tag habe ich sehr entgegengefiebert. Ich bin auch zuversichtlich hingegangen. Zahlreiche Test haben dann bewiesen, dass das Knie stabil ist. Das war der große Moment, an dem mir klar wurde: Der Fleiß und meine Sturheit haben sich gelohnt.

Dario Scuderi feiert den Gewinn der deutschen A-Jugend-Meisterschaft mit der U19 des BVB im Jahr 2016.
© IMAGO / Thomas Bielefeld
Dario Scuderi feiert den Gewinn der deutschen A-Jugend-Meisterschaft mit der U19 des BVB im Jahr 2016.

Im August 2018 wurden Sie dann in einem Testspiel der U23 gegen den Lüner SV eingewechselt. Wie haben Sie damals in die Zukunft geblickt?

Scuderi: Ich war überglücklich und vollen Mutes, dass es jetzt wieder so richtig losgeht. Mir war bewusst, dass ich künftig mehr Stabilisationsübungen machen und besser auf mein Knie aufpassen muss. Ich habe mir aber gesagt: Bevor ich ängstlich spiele, kann ich es gleich sein lassen. Ich habe daher sofort wieder richtig durchgezogen, das entspricht auch meiner Mentalität. Alles andere hätte nur die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass doch noch einmal etwas passiert.

Anschließend standen Sie in keinem Spiel mehr im Kader. Was war passiert?

Scuderi: Das war so abgesprochen. Mir wurde genug Zeit gegeben, um mich allmählich wieder an alles zu gewöhnen. Ich nahm an vielen Trainingseinheiten teil, niemand machte mir Druck. Es ging vor allem darum zu schauen, wie sich das Knie weiter entwickelt.