Freiburgs Entdeckung Ermedin Demirovic im Interview: "Man muss auch mal auf die Schnauze fallen"

Von Stefan Rommel
Ermedin Demirovic mit Coach Christian Streich
© getty
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Freiburg gilt im Vergleich zu anderen Standorten in der Bundesliga immer als eine Art Biotop. Können Sie das nach ein paar Monaten dort bestätigen oder ist das nur ein schönes Klischee?

Demirovic: Ich kenne mich ja nicht so gut aus bei anderen Bundesligisten. Aber ich glaube tatsächlich, dass es anders ist. Freiburg ist so familiär, alles ist sehr eng beieinander. Als ich zum Beispiel zu Beginn der Saison wenig gespielt habe, war ich trotzdem nie außen vor. Ich habe die Wertschätzung und Wichtigkeit immer gespürt, selbst von direkten Konkurrenten auf meiner Spielposition.

Welche Art Trainer passt eigentlich besser zu Ihnen: Der harte Antreiber oder eher der empathische Typ?

Demirovic: Grundsätzlich brauche ich Vertrauen. Aber ich finde es auch gut, wenn der Trainer der Mannschaft auch mal einen Arschtritt mitgibt. Wenn Dinge kritisch, offen und schonungslos angesprochen werden. Das ist alles besser als Schönfärberei. Die bringt nämlich niemanden weiter. Ich mag es direkt und ich mag es, angetrieben zu werden.

Welche Eigenschaft, die Sie von sich aus mitbringen und nicht unbedingt antrainiert ist, hilft Ihnen im Profi-Fußball am meisten?

Demirovic: Der Wille und die Mentalität, nie aufzugeben. Ich bin kein Schönwetter-Fußballer, der nur glänzen will. Ich gehe an meine Grenzen und will auch in scheinbar aussichtslosen Situationen alles versuchen. Dazu gehört auch der Glaube an mich selbst, wenn andere das vielleicht schon nicht mehr tun.

Ihr Spiel wirkt schon erstaunlich variabel: Sie sind Stoßstürmer, bedrohen aber auch die Tiefe. Sie sind zielstrebig vor dem Tor, übersehen aber auch nicht Ihre Mitspieler. Wie würden Sie sich selbst einordnen?

Demirovic: In der Jugend beim HSV habe ich noch hinter den Spitzen gespielt, vielleicht kommt der Rundum-Blick und das Auge für das Spiel noch aus der Zeit. Ich versuche aber schon auch, sehr direkt zu spielen und den Weg zum Tor zu suchen. Ich bin wohl ein Mix aus allem.

Demirovic: "Deswegen habe ich den Boxer-Torjubel gezeigt"

Auffällig ist auch Ihre aggressive Arbeit gegen den Ball und dass Sie sich in keinem Zweikampf schonen, sondern einstecken und austeilen können.

Demirovic: Ich glaube, das hat auch viel mit meiner Jugend zu tun. Wir wurden so erzogen, dass wir immer mehr machen mussten und uns durchbeißen mussten in verschiedenen Situationen. Deswegen habe ich in der Schweiz auch den Boxer-Torjubel gezeigt. Weil ich mich einfach immer wieder durchboxen musste. Ich lebe auf dem Platz viel Aggressivität aus, vielleicht bin ich nicht gerade der angenehmste Gegenspieler.

Darf man sagen, dass Sie eine gewisse Straßenkötermentalität mitbringen?

Demirovic: Das habe ich noch nie gehört. Was soll das sein?

Dass Sie gelernt haben, mit Rückschlägen und Widerständen umzugehen und auch mal hart gegen sich selbst sein können.

Demirovic: Es ist wichtig, dass man Widerstände überwindet und ich würde sogar so weit gehen zu sagen, dass man auch mal auf die Schnauze fallen muss, um zu lernen. Ich war schon ein paar Mal an einem Punkt, an dem es scheinbar nicht mehr weiterging. Und dann ging es doch irgendwie weiter. Das macht einen wohl nur noch stärker.

Ermedin Demirovic mit Coach Christian Streich
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Ermedin Demirovic mit Coach Christian Streich

Demirovic: "Wenn ich jetzt von Europa schwärme ..."

Sie haben einen Vierjahresvertrag in Freiburg unterschrieben. Wie sehen Ihre langfristigen Ziele aus?

Demirovic: Darüber mache ich mir ehrlich gesagt gar keine Gedanken. So weit plane ich nicht im Voraus. Ich will mit der Mannschaft den größtmöglichen Erfolg erreichen und mich zum Stammspieler entwickeln.

Und kurzfristig? Man sieht, dass es wegen Corona eine wilde Saison ist oder wird, den großen Klubs fehlt die Konstanz und womöglich fällt die eine oder andere Mannschaft erst noch in ein Leistungsloch. Freiburg hat zwölf Punkte Vorsprung auf Platz 16, aber nur drei Punkte Rückstand auf Platz sechs und wirkt total stabil. Sie waren mit St. Gallen Vizemeister, Sie wissen wie man Überraschungen schafft. Ist ein internationaler Platz Utopie oder ein realistisches Ziel?

Demirovic: Wenn ich jetzt von Europa schwärme, gibt das wohl Ärger im Klub ... Ich glaube, dass wir mit dem Abstieg wohl nicht mehr viel zu tun haben werden. Wir haben eine super Mannschaft mit allen Spielertypen, die man braucht: Die Beißer, die Kreativen, ein paar Kämpfer - das passt alles zusammen. Alle powern sich so aus in jedem Spiel, dass wir die Punkte einfahren. Das steht im Moment über allem. Wenn wir das weiter so durchziehen wie derzeit, werden wir schon noch ein paar Spiele gewinnen.

Den Traum von der Bundesliga haben Sie sich über ein paar Umwege nun erfüllt. Wie sehen Ihre Ziele mit der bosnischen Nationalmannschaft aus?

Demirovic: Es ist ein Riesen-Traum von mir, mein erstes Spiel bei der A-Nationalmannschaft machen zu dürfen. Dann will ich als Stürmer natürlich irgendwann auch das erste Tor schießen. Und das i-Tüpfelchen wäre aber die erfolgreiche Qualifikation für ein großes Endturnier, eine EM oder WM.

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