Jude Bellingham und sein Start beim BVB: Ein Gedanke an Gündogan

Jude Bellingham wechselte im Sommer 2020 zum BVB.
© imago images / Laci Perenyi

Jude Bellingham hat bei Borussia Dortmund einen Start ohne Anlaufschwierigkeiten hingelegt - und am Donnerstagabend sein Debüt für die englische A-Nationalmannschaft gegeben. Das verdankt der 17-Jährige, der bereits zum jüngsten Pflichtspieltorschützen der BVB-Historie geworden ist, neben seinem großen Talent auch zwei weiteren Faktoren.

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Es gibt viele Dinge, die einen an Jude Bellingham erstaunen können. Sein herausragendes Talent als Fußballspieler natürlich in erster Linie. Doch der bekannte Spruch "Talent allein reicht nicht" hat ja durchaus seine Berechtigung. Gerade in der Branche Profifußball, in der schon im Jugendalter eine Selektion sondergleichen herrscht.

Dass es der 17-Jährige durch allerlei Auswahlverfahren geschafft hat und nun allerhand Altersrekorde bricht, hat aber auch viel mit seiner enormen Anpassungsfähigkeit und Frühreife zu tun. Diese beiden Faktoren sind bei ihm für einen Kerl seines Alters schlicht herausragend.

Man muss ja bedenken: Seit der Youngster für Borussia Dortmund spielt, bewegt er sich aufgrund der Corona-Pandemie in einer Blase. Eine Blase, die aus einer strikten Gleichförmigkeit bestehen muss, aus der auszubrechen auch aufgrund des atemlosen Spielkalenders unmöglich ist. Training, Spiel, Regeneration, Wohnung, Hotel - Kontakt zur Außenwelt ist da nicht. "Das hat mich daran gehindert, alles zu erkunden und mich einzuleben. Ich hatte nicht wirklich die Gelegenheit dazu", sagte Bellingham gegenüber englischen Medien.

Bellingham, der noch dazu bis zuletzt in einer intensiven Championship-Saison eingespannt war, hatte also noch so gut wie keine ausführliche Gelegenheit, sich einmal genauer in seiner neuen Umgebung umzusehen. Schließlich wohnt er mit 17 erstmals in einem fremden Land, spielt für einen neuen Klub, lernt neue Menschen kennen. Immerhin: Seine Mutter lebt mit ihm in Dortmund und greift ihm bei den lästigen Dingen des Alltags unter die Arme.

Jude Bellingham beim BVB: Auf Anhieb eine Verstärkung

Vergegenwärtigt man sich diese für den Mittelfeldspieler durchaus spannende, aber verglichen mit der gewohnten Lebensführung gewiss auch triste Situation, so erstaunt es, wie schnell er sich beim BVB ein- und mit den neuen Lebensumständen abgefunden hat. Denn Bellingham hat die Ankündigung von Michael Zorc nach dessen Verpflichtung problemlos umgesetzt: "Wir sehen in Jude auf Anhieb eine Verstärkung für unseren Profi-Kader."

Zorcs Statement ging damals noch weiter, der Rest scheint auf Bellingham jedoch nicht zuzutreffen. "Wir werden ihm zunächst natürlich aber auch die Zeit zur Gewöhnung an das höhere Niveau geben, die er benötigt", sagte der Sportdirektor.

Nach zwei Monaten in der laufenden Saison liest sich Bellinghams Zwischenbilanz so: Sechs Startelfeinsätze, in elf von zwölf Pflichtspielen auf dem Feld gestanden. Der Engländer erzielte dabei ein Tor und gab zwei Assists, was ihn zum jüngsten Torschützen des BVB in einem Pflichtspiel sowie zum jüngsten Vorlagengeber der Bundesliga-Geschichte machte.

Bellingham-Förderer Clotet: "Sehr, sehr schnell angepasst"

Sich schnell und augenscheinlich ohne viel Aufhebens zu adaptieren, ist eine von Bellinghams großen Gaben. Nur 431 Tage lagen zwischen seinem ersten Spiel für Englands U17-Nationalmannschaft und der Einladung für das Eliteteam der Three Lions, für das er am Donnerstagabend im Test gegen Irland als drittjüngster Nationalspieler hinter Rekordhalter Theo Walcott und Wayne Rooney debütierte. Erst im September hatte er erstmals für die U21-Auswahl gekickt. Nach seinem Tor zum 6:0-Endstand gegen Kosovo war er Englands jüngster U21-Debütant und -Torschütze.

"Als er anfing, mit uns in der ersten Mannschaft zu trainieren, hat er sehr schnell auf dem Niveau der Profis trainiert und sich physisch sehr, sehr schnell angepasst", sagte Pep Clotet bei Sky Sports, unter dem Bellingham bei Birmingham City im August 2019 sein erstes Spiel auf Profiebene machte. "Er war mit seinem Talent in der Lage, den körperlichen Anforderungen eines Profis gerecht zu werden und Leistung zu bringen. Man konnte sofort erkennen, dass er ein großer Spieler werden würde."

Und was für Birmingham galt, gilt nun auch in Dortmund. Das Niveau der Bundesliga stellte Bellingham bislang noch nicht vor unlösbare Probleme, wenngleich auch er wie aktuell Jadon Sancho garantiert noch Dellen in seiner Entwicklung bekommen wird. Für den Moment wirkt Bellingham als Spieler allerdings schon recht komplett. Er bringt in seinen Aktionen neben der beachtlichen Physis eine Mischung aus taktischer Reife und jugendlicher Unersättlichkeit mit, auf die sein Trainer Lucien Favre besonders steht.

Jude Bellingham vom BVB im Trikot der englischen U21-Nationalmannschaft.
© imago images / Cover-Images
Jude Bellingham vom BVB im Trikot der englischen U21-Nationalmannschaft.

Bei Bellingham muss man an Gündogan denken

Sieht man ihn spielen, gerade wie abgeklärt er bereits defensiv wie offensiv zwischen den Strafräumen auftreten kann, ist der Gedanke zu Ilkay Gündogan nicht weit. Zwischen 2011 und 2016 lieferte der deutsche Nationalspieler als Achter teils brillante Leistungen für den BVB ab, seit seinem Abgang ist auf dieser Position kein Dortmunder Spieler mehr Gündogans Qualität nahegekommen.

Hört man Favre über Bellingham reden, könnte auch Gündogans Spielerprofil gemeint sein: "Er greift an, er läuft nach vorne - nicht nur mit Pässen, sondern auch mit dem Ball am Fuß - und er verteidigt auch. Er kommt zurück und verteidigt sehr engagiert. Er kann defensiv und offensiv spielen. Er ist sehr präsent und spürt, wenn er seine Position verlassen muss", sagte der Schweizer, der den 17-Jährigen bislang ausschließlich im zentral-defensiven Mittelfeld einsetzte und abschließend schwärmt: "Bellingham ist hervorragend."

Ex-Coach Clotet, unter dem Bellingham in seiner ersten Profisaison 40 Pflichtspiele abriss (vier Tore, drei Vorlagen), sieht ihn dagegen offensiver: "Seine beste Position ist meiner Meinung nach als offensiver Mittelfeldspieler in einem 4-3-3. Er fühlt sich in der Offensive sehr wohl, in einer Position, in der er den Strafraum attackieren kann. Er verfügt über die Fähigkeit, seine Bewegungen zu verbergen, so dass er aus Situationen herauskommt und den Weg zu einem Schuss oder einer Flanke finden kann. Wenn ein Spieler den Ball treibt, ist er normalerweise sehr auf den Ball konzentriert. Jude ist aber in der Lage zu sehen, was um ihn herum passiert, ohne dass er ständig die Kugel beobachten muss."

Bellingham: "War für den Sprung bereit"

Bereits jetzt dürfte klar sein: Bellinghams genaue Positionierung wird langfristig nicht den finalen Ausschlag geben, ob er seine bislang rasante Entwicklung verstetigen und es zu einem internationalen Top-Spieler schaffen kann. Entscheidender wird vielmehr sein, ob er seinen Arbeitsethos beibehält, wenn er nicht mehr als frühreifer Spieler durchgeht.

Bellingham bringt menschlich wie sportlich sehr viele notwendige Anlagen mit. Um Konstanz zu entwickeln, benötigt er weitere Zeit. An seinem Selbstbewusstsein sollte es jedenfalls nicht scheitern: "Es ist ein Sprung nach oben für mich", sagt er über die aktuelle Phase. "Aber es ist einer, für den ich bereit war."

Jude Bellingham: Diese Rekorde stellte er in dieser Saison bislang auf

RekordAlter
Jüngster Torschütze des BVB in einem Pflichtspiel17 Jahre und 77 Tage
Jüngster Vorlagengeber in der Bundesliga17 Jahre und 82 Tage
Jüngster Engländer in der Startelf eines CL-Spiels17 Jahre und 113 Tage
Jüngster Debütant der englischen U2117 Jahre und 67 Tage
Jüngster Torschütze der englischen U2117 Jahre und 67 Tage