Kevin Kühnert im Interview: "Deutschland braucht auf jeden Fall eine Portion SC Freiburg"

Kevin Kühnert
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Jeder kennt Sie inzwischen als Hardcore-Arminia-Fan, aber Ihr erster Verein war ein anderer. Wie sind Sie fußballerisch groß geworden?

Kühnert: Als ich neun Jahre alt war, hat mich mein Großvater zum ersten Mal mit ins Mommsenstadion genommen. Zu Tennis Borussia Berlin. 0:2 gegen den SSV Ulm am 33. Spieltag in der Saison 1998/99, danach war TeBe aus dem Aufstiegsrennen in der 2. Liga raus. Aber danach wurde TeBe zu meinem Verein, ich habe später sogar einige Jahre die Fanabteilung geleitet, saß im Aufsichtsrat und habe zusammen mit einem Kumpel das Fan-Radio gegründet.

Sie wollten also Marcel Reif nacheifern?

Kühnert: Marcel Reif vielleicht nicht unbedingt, weil man dann ja bei manchen Leuten nicht so die besten Beliebtheitswerte gehabt hätte. (lacht) Aber grundsätzlich war der Sportjournalismus eine Option für mich, ich habe auch nebenbei Beiträge für das Stadionheft geschrieben. Es war einfach klasse, etwas zu machen, wofür man eine so große Leidenschaft besitzt.

Ihre erste Leidenschaft war aber gar nicht der Fußball, Sie haben beim VfL Lichtenrade Handball gespielt. War Ihr erstes großes Idol also ein Handballer?

Kühnert: Ja, mein erster großer Sportheld war Nikolaj Jacobsen, früher einer der besten Linksaußen der Welt beim THW Kiel, später Trainer der Rhein-Neckar Löwen und heute der dänischen Nationalmannschaft. Ihn habe ich sehr verehrt. Im Fußball ging es dann für mich mit den Bayern-Mannschaften um den Jahrtausendwechsel so richtig los. Giovane Elber, Bixente Lizarazu - das waren Stars, mit denen ich mich gut identifizieren konnte.

"Die Beine in die Hand nehmen und rennen, rennen, rennen"

Sie sind mit Handball und Fußball aufgewachsen. Was lieben Sie bis heute besonders am Handball?

Kühnert: Handball hat mich sehr geprägt, weil ich das selbst von klein auf gespielt habe. Ich genieße da in erster Linie die gesunde Härte. Die Kultur im Handball ist einfach kaum weinerlich. Wenn du da einen Ellenbogen in die Seite gerammt bekommst, gibt es vielleicht eine kurze Unterbrechung und dann geht es weiter. Es wird daraus kein Staatsakt gemacht, das ist so unglaublich angenehm. Schade ist es ein bisschen, dass Überraschungen im Handball leider noch unwahrscheinlicher sind als im Fußball. Bei 50, 60, 70 Toren in einem Spiel kommt es sehr selten vor, dass der Außenseiter sich durchsetzen kann. Auf das große Pokalwunder können Sie da lange warten.

Kevin Kühnert ist Dauerkarteninhaber bei Arminia Bielefeld.
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Kevin Kühnert ist Dauerkarteninhaber bei Arminia Bielefeld.

Der Handball war Ihre erste Liebe, aber der Fußball hat eine entscheidende Rolle gespielt, dass Sie heute in der Politik gelandet sind. Warum?

Kühnert: Der Fußball hat geholfen, aus mir einen politischen Menschen zu machen. Der Fußball ist ja Gesellschaft im besten Sinne. Locker die Hälfte der Gesellschaft interessiert sich dafür und im Stadion treffen sich die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen, die sonst nicht unbedingt aufeinandertreffen würden. Gerade im Amateurbereich, wo alles noch bezahlbarer ist, erleben wir das. Mit allen Vor- und Nachteilen. Es entstehen Fan-Freundschaften, klar, aber du bewegst dich mitunter auch nahe am Abgrund. Wir waren mit TeBe an Orten, da dachte ich mir, Halleluja, wenn das Spiel vorbei ist, geht es nur um eins: Die Beine in die Hand nehmen und rennen, rennen, rennen.

Warum war das so extrem?

Kühnert: TeBe stand schon immer sehr klar für gewisse Werte und hat Haltung gezeigt. Im Kampf gegen Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus und Homophobie - und es war auch allen bekannt, was wir verkörpern. Das hat uns manchmal Applaus eingebracht, aber auch brenzlige Situationen. Ich erinnere mich an Momente, als wir in eine vorpommersche Kleinstadt im Regionalexpress eingefahren sind und nicht wussten, ob es im Zweifel dort jemanden geben würde, der auf uns aufpasst, und ob wir wieder heil nach Hause kommen.

Kühnert: "Ich bin aus Trotz Arminia-Fan geworden"

"Juden ins Gas, Kanaken aus Berlin, Lila-Weiß ist schwul" - die Gesänge waren hart. Was geht einem da durch den Kopf?

Kühnert: Die Gesänge waren heftig, aber sie waren nicht das unmittelbare Problem. Du denkst die ganze Zeit daran, dass ja nicht nach dem Spiel Ruhe ist, sondern dass es danach erst losgeht und du schauen musst, so schnell es geht wegzukommen. Ich habe den Eindruck, dass die ganz ordinären Sachen in der Fläche zum Glück weniger geworden sind, man hört nicht mehr ganz so oft Affenlaute, aber dafür ist das Thema Homophobie nach wie vor ein großes. Jemanden als "Schwuchtel" zu beleidigen, scheint für manche Leute doch noch akzeptabler zu sein.

Sie waren noch sehr klein, als TeBe Ende der 90er Jahre nochmal gute Zeiten in der 2. Liga hatte, einmal sogar die Hertha aus dem Pokal warf mit einer Truppe um Francisco Copado. Danach ging es stetig bergab, aber Sie sind TeBe treu geblieben. Was ist das Faszinierende an diesem Verein?

Kühnert: Erst mal finde ich es toll, dass mein Amateurverein nicht irgendein Bolzplatz-Verein unter vielen ist, sondern in den 1970er-Jahren zwei Jahre Bundesliga vorweisen kann. Das ist schon cool. TeBe hatte von Anfang an etwas Besonderes für mich. Alleine der Name und dass du immer gefragt wirst, warum du am Wochenende zum Tennis gehst, ist und bleibt witzig. TeBe war sportlich dann zwar kein attraktiver Verein mehr, als ich großgeworden bin. Schon gar nicht nach der Zeit, in der TeBe einen sehr dubiosen, man muss sogar sagen kriminellen, Investor hatte mit der Göttinger Gruppe. Sportlich mussten wir in der Vergangenheit leben, aber was das Vereinsleben und die Fankultur anging, waren wir im Hier und Jetzt und haben da eine verschworene Gemeinschaft gebildet. Eine Allesfahrer-Saison habe ich zwar nie geschafft, aber ich war einmal sehr nahe dran, die Karte vollzukriegen. 28 oder 29 von 30 Spielen habe ich mal geschafft. Da musste schon die Oma den 70. Geburtstag haben, damit ich das Spiel verpasst habe. Drunter ging es nicht.

Bei TeBe gibt es eine sehr ausgeprägte Zweitvereinskultur, was es Ihnen in der Folge leicht machte, mit der Arminia einen anderen Klub ins Herz zu schließen. Es steht eigentlich überall zu lesen, dass Sie aus Mitleid Bielefeld-Fan geworden sind. Stimmt das wirklich?

Kühnert: Für Außenstehende wirkt das komisch. Als ob es eine total abwägende Entscheidung gewesen wäre. Die war es natürlich nicht. Ein paar Freunde und ich haben uns nach dem Abitur das Tramper-Monatsticket der Bahn gekauft, in erster Linie fürs Groundhopping. Wir waren dann zu einem Montagsspiel auf der Alm und sowohl das Stadion als auch die Atmosphäre haben mich damals beeindruckt. Da war ich aber noch kein Fan. Das hat sich erst geändert, als mir ein Artikel über eine Studie über die Beliebtheit von Profivereinen in die Hand gefallen ist. Dort war die Arminia auf dem letzten Platz, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Ich hätte die Arminia jetzt nicht ganz vorne erwartet, aber Letzter? Da hätte ich, ohne Namen zu nennen, andere gesehen. Ich habe mich dann in die Vereinsgeschichte hineingefuchst und noch mehr verstanden, was die Arminia für ein korrekter Verein mit einem tollen Umfeld ist. Ich bin aus Trotz Arminia-Fan geworden, das trifft es am besten.