Kevin Kuranyi im Interview: Schalke 04? "In unserer Kabine hätten die Wände gewackelt"

Gemeinsam eine Bank beim FC Schalke 04: Marcelo Bordon und Kevin Kuranyi.
© imago images / Sven Simon
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Hat auch die Nationalmannschaft nicht genügend Anführer?

Kuranyi: Für eine Nationalmannschaft zu wenige. Spontan fallen mir nur Manuel Neuer, Joshua Kimmich, Toni Kroos und Toni Rüdiger ein. Vielleicht hätte man den einen oder anderen Anführer doch noch nicht aussortieren sollen - auch wenn er fußballerisch schon ein klein wenig über dem Zenit sein sollte.

Wer ist für Sie momentan der beste deutsche Spieler?

Kuranyi: Neuer. Für mich waren seine Paraden der Schlüssel zu Bayerns Champions-League-Sieg.

Glauben Sie, Alexander Nübel kann ihm in München den Stammplatz streitig machen?

Kuranyi: Nübel ist ein großes Talent, aber er wird erst eine reelle Chance in München haben, wenn Neuer aufhört. Ich bin nicht sein Berater, aber wäre ich in seiner Situation, würde ich mich verleihen lassen, um Spielpraxis sammeln. Der Verein kann noch so groß, die Stadt noch so schön sein: Wenn du nicht spielst, macht sich früher oder später Frustration in dir breit. Ich kann aus eigener Erfahrung sprechen.

Kuranyi: "Hatte Angebote von Liverpool, Juve und Besiktas"

Inwiefern?

Kuranyi: Vor meinem Wechsel zu Dynamo Moskau im Sommer 2010 hatte ich Angebote vom FC Liverpool, Juventus Turin und Besiktas. Ich habe sie alle abgelehnt, weil ich bei all diesen Vereinen nur Ergänzungsspieler gewesen wäre. Ich habe mir bei einem Vereinswechsel immer erst die Frage gestellt: Wie viel Spielzeit bietet man mir? Moskau konnte mir neben der Spielpraxis auch noch ein besseres Gehalt bieten als die drei genannten Vereine. Für mich stand an oberster Stelle, eine wichtige Rolle einzunehmen, etwas zu bewegen.

Klang es für Sie nicht verlockend, mit Steven Gerrard an der Anfield Road zusammen zu spielen?

Kuranyi: Klar, aber ich hatte keine Lust darauf, nur Stürmer Nummer zwei, drei oder vier zu sein. Ich bereue nichts.

Auch, dass Sie in Ihrem Geburtsland Brasilien nie als Profi gespielt haben?

Kuranyi: Am Ende meiner Karriere hatte ich ein Angebot von Gremio Porto Alegre. Es wäre schön gewesen, dort aufzuhören, wo alles anfing. Aber die Nähe zu meiner Familie war mir wichtiger. Sie musste schon mit mir nach Russland gehen. Es war an der Zeit, ihr etwas zurückgeben.

Sie sind mit vielen brasilianischen Spielern befreundet, 2018 nahmen Sie an einem Benefizspiel von Ronaldinho in Frankfurt teil. Hätten Sie sich aufgrund Ihrer Herkunft vorstellen können, in der brasilianischen Nationalmannschaft zu spielen?

Kuranyi: Da hätte ich nicht den Hauch einer Chance gehabt. (lacht) Ronaldo und Adriano konnten schon ein bisschen besser kicken als ich.

Kuranyi: Statistiken bei Schalke 04, Stuttgart, Moskau

VereinSpieleToreTorvorlagen
FC Schalke 042098742
Dinamo Moskau1515624
VfB Stuttgart1325726
TSG 1899 Hoffenheim15--

Kuranyi: "Bernd Schneider hat mich am meisten beeindruckt"

Wer war der beste Spieler, mit dem Sie jemals zusammengespielt haben?

Kuranyi: Es klingt vielleicht komisch, weil ich mit Kanten wie Bordon oder Technikern wie Lincoln zusammengespielt habe, aber vom Gesamtpaket her hat mich Bernd Schneider am meisten beeindruckt. Der war total unscheinbar, einer der ruhigsten Spieler, die wir damals in der Nationalmannschaft hatten, aber ein genialer Kicker mit besonderem Spielverständnis. Seine Pässe waren eine Augenweide. Der spielte mir manchmal Dinger in den Fuß, auf den Kopf oder in die Gasse, die sonst keiner gespielt hätte.

Welcher Gegenspieler hat Ihnen am meisten Probleme bereitet?

Kuranyi: Jaap Stam. Ich erinnere mich bis heute an unser Auftaktspiel bei der EM 2004 gegen Holland, als er mich schon zu Beginn ein paar Mal weggecheckt und mich später mit seinem Fuß knapp neben dem Auge touchiert hat. Die Narbe ist noch heute zu sehen, der Typ hat mich im wahrsten Sinne des Wortes gebrandmarkt. (lacht)

Hat er sich danach bei Ihnen entschuldigt?

Kuranyi: Nein, bis heute nicht. Das ist aber auch nicht schlimm. Politische Korrektheit gab es damals nicht. Ich wusste in diesem Spiel von Anfang an, dass er mir das Leben 90 Minuten lang zur Hölle machen wollte.