Kommentar zum Rücktritt von Benedikt Höwedes: Ein Armutszeugnis für Schalke

Von Martin Volkmar
Dezember 2018: Benedikt Höwedes kehrt in der Champions League mit Lokomotive Moskau nach Gelsenkirchen zurück - und ist sichtlich angefasst.
© imago images / team2

Das Karriereende von Benedikt Höwedes hängt sicher nicht nur, aber auch mit Schalke 04 zusammen. Und das ist kein gutes Zeichen für die Königsblauen. Ein Kommentar.

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Zwischen den Zeilen seines Abschieds-Interviews im Spiegel machte Höwedes relativ deutlich, dass er gerne noch einmal zu seinem Herzensverein zurückgekehrt wäre. An ein Comeback "habe ich immer wieder gedacht", berichtete der 32-Jährige. "Ich hatte auch einige Anfragen von Vereinen aus dem In- und Ausland, aber ich wollte mich nicht mehr abhängig machen von den Entscheidungen anderer. Ich wollte jetzt einen Schlussstrich ziehen."

Mit anderen Worten: Die Bereitschaft war auf Schalker Seite nicht vorhanden. Teammanager Sascha Riether hatte das kürzlich bereits angedeutet, als er meinte, die Mannschaft habe genug Abwehrspieler und Höwedes passe auch nicht ins angedachte Konzept der Verjüngung. Beides ist falsch. Dazu reicht ein Blick auf den Kader.

Schalke: Drei Innenverteidiger vor dem Absprung, einer verletzt

Die hoch verschuldeten Knappen brauchen bekanntlich Geld, so dass ein Abgang von drei der sechs Innenverteidiger der abgelaufenen Saison im Raum steht: Ozan Kabak wird von Topklubs wie dem FC Liverpool umworben und würde am meisten Ablöse bringen. Benjamin Stambouli und Matija Nastasic sind zu teuer, so dass der ausgelaufene Vertrag des Ersten nur zu deutlich reduzierten Bezügen verlängert werden könnte und der Letztgenannte von der Gehaltsliste gestrichen werden soll. Zudem fällt Salif Sane nach einer Knieoperation noch mehrere Wochen aus, so dass gerade mal die Youngster Timo Becker (23) und Malick Thiaw (18) übrigbleiben. Darüber hinaus hat Schalke derzeit nach dem Weggang von Jonjoe Kenny auch keinen etatmäßigen Rechtsverteidiger im Aufgebot.

Platz genug wäre also für einen flexibel einsetzbaren Defensivspieler wie Höwedes, der trotz zunehmender körperlicher Probleme sicherlich noch mithalten könnte, als Rechtsverteidiger einst sein Profi-Debüt auf Schalke gab und als Linksverteidiger 2014 Weltmeister wurde. Außerdem wäre der Routinier gerade wegen der notwendigen Verjüngung ein starker Anker für die Talente, die wie er vor knapp 13 Jahren aus der Knappenschmiede in die erste Mannschaft integriert werden sollen.

Benedikt Höwedes: Nur Schalke kam in Frage

Vor allem aber wäre der frühere Publikumsliebling das dringend nötige Gesicht gewesen, dass der Mannschaft und dem gesamten Verein derzeit so schmerzhaft abgeht. Andere Angebote kamen für Höwedes nicht in Frage, weil er nie für einen anderen Klub als Schalke in der Bundesliga spielen wollte und ein erneuter Wechsel ins Ausland für den gebürtigen Halterner aus familiären Gründen ausgeschlossen war. Doch für die Königsblauen wäre Höwedes sicher bereit gewesen, als Teamplayer seinen Anteil zum Neuanfang beizutragen.

"Ich hatte die Vision, etwas Großes mit Schalke zu erreichen. Mein großes Ziel war es, auf Schalke Deutscher Meister zu werden oder zumindest noch einmal den Pokal zu holen. Angebote von anderen Klubs waren mir wirklich egal. Ich war und bin der festen Überzeugung, dass ein Titel mit Schalke viel mehr wert ist als ein Titel mit Bayern München. Dafür habe ich gelebt und hart gearbeitet - leider ist es nicht mehr Realität geworden", sagte er vergangenen Dezember im Gespräch mit SPOX und Goal.

Höwedes hatte nach WM-Sieg lukrative Angebote abgelehnt

Deshalb lehnte Höwedes nach dem WM-Sieg auch lukrative Offerten aus den Topligen ab, unter anderem von Tottenham, und bekannte sich zu Schalke. Dennoch wurde er drei Jahre später vom gerade neu gekommenen Domenico Tedesco als Kapitän abgesetzt und auf die Bank gesetzt, so dass er sich mangels Perspektiven zum Abschied gedrängt fühlte. "Es tat richtig weh, ich war sehr enttäuscht. Vor allem die Art und Weise, wie die Trennung abgelaufen ist, hat mich gekränkt", erzählte er in dem Interview.

Völlig unnötig hat Schalke damals seine Identifikationsfigur vergrault und steht mittlerweile in der sportlichen und finanziellen Krise ohne echten Anführer da. Selbst verschuldet, findet Höwedes: "Schalke 04 ist für viele Menschen immer noch ein Lebensinhalt, einen solchen Verein muss man anders führen als einen Retortenklub."

Das kann man durchaus als Seitenhieb auf den bei den Fans unbeliebten Marketingvorstand Alexander Jobst und vielleicht sogar auf den von RB Leipzig gekommenen Sportchef Jochen Schneider werten. Offenbar besteht in der Vereinsführung derzeit weder Interesse an einer Rückkehr von Höwedes als Spieler noch als Sportdirektor, obwohl der Posten schon seit längerer Zeit vakant ist. Vielleicht wird sich an dieser Ablehnung in den nächsten Monaten etwas ändern, doch für den Moment hat Schalke klar gemacht, dass es den einstigen Kapitän nicht zurückhaben will. Ein Fehler, denn ein Höwedes-Comeback wäre eine Chance und kein Risiko gewesen.

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