Kasim Adams im Interview: "Wir saßen um den gedeckten Tisch und warteten auf den Mann aus Europa"

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© imago images / Sportfoto Rudel

Vor zwei Jahren wechselte Kasim Adams in die Bundesliga und erfüllte sich damit seinen Lebenstraum. Im Interview mit SPOX und Goal erzählt der 25-jährige ghanaische Innenverteidiger seine bewegende Geschichte vom Viertel Anomangye in Kumasi zur TSG Hoffenheim.

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Als Kind wollte Adams immer wie Samuel Kuffour sein, doch sein Vater verbot ihm das Fußballspielen. Mit 16 verließ er sein Elternhaus und übersiedelte alleine in eine fremde Stadt, wo er bei einem ghanaischen Zweitligisten unter ärmlichen Bedingungen an seiner Fußballerkarriere arbeitete. Bei einem U17-Turnier in Südafrika entdeckte ihn schließlich ein Berater, der ihn nach Spanien zu CD Leganes brachte. Über die Stationen RCD Mallorca und Young Boys Bern landete Adams in der Bundesliga.

Herr Adams, was sind Ihre ersten Fußball-Erinnerungen?

Kasim Adams: Mit sieben Jahren habe ich angefangen, in meiner Heimatstadt Kumasi im Süden Ghanas für die Mannschaft meines Viertels Anomangye zu spielen. Die wichtigsten Spiele waren immer die Derbys gegen das Team aus dem Nachbarviertel. Als ich das erste Mal mitgespielt habe, war ich der Jüngste. Wir haben 2:0 gewonnen und alle haben mich gelobt. Danach hat mir mein Vater aber verboten, weiterzuspielen.

Warum?

Adams: Mein älterer Bruder hat damals schon Fußball gespielt. Mein Vater wollte, dass sich einer von uns auf die Schule konzentriert und einen richtigen Job lernt. Außerdem musste ich jeden Tag meiner Mutter bei der Arbeit helfen. Wir sind immer in kleine Dörfer gefahren, um dort Essen einzukaufen, das wir bei uns in der Stadt weiterverkauft haben.

Wie ging es dann für Sie weiter?

Adams: Ich habe direkt nach der Schule heimlich Fußball gespielt, bin anschließend nach Hause gerannt und habe meine Fußballsachen versteckt. Wenn mich mein Vater erwischt hat, bekam ich als Strafe nichts zum Abendessen und musste hungrig schlafen gehen. Meine Mutter hatte aber immer Verständnis. Sie hat mir dann manchmal heimlich etwas zu Essen gebracht. Mit zwölf habe ich wegen meinem Vater aber ein Jahr lang gar nicht gespielt.

Wie fanden Sie zurück zum Fußball?

Adams: Ein Jahr später kam jemand namens Seidu Al Hassan in unser Viertel, der zu einem Wegbegleiter meiner Karriere werden sollte. Er hat eine neue Mannschaft aufgebaut. Weil er Parma-Fan war, nannte er sie schlicht "Parma". Als er erfahren hat, dass ich ganz gut bin, hat er mich gefragt, ob ich dabei sein will. Natürlich wollte ich gerne dabei sein, also habe ich ihm gesagt, dass er das mit meinem Vater klären muss. Sie haben die Trainingszeiten so ausgemacht, dass ich davor zur Schule gehen kann und danach noch genug Zeit hatte, um meiner Mutter bei der Arbeit zu helfen. Eine Zeit lang hat das ganz gut geklappt.

Und dann?

Adams: Asante Kotoko, ein wichtiger Klub in Ghana, hat während seiner Saisonvorbereitung ein Testspiel gegen uns gemacht. Mein Vater hat mir verboten, mitzuspielen. Aber ich konnte mir das nicht entgehen lassen und habe trotzdem gespielt. Ich war offenbar so gut, dass am nächsten Tag in einigen Zeitungen Berichte über mich zu finden waren. So hat es mein Vater herausgefunden. Als er am Abend heimkam, war er wütend und es hat richtig Ärger gegeben. Ich durfte zwei Monate lang gar nicht trainieren. Dann stand ein wichtiges Turnier an und Al Hassan hat meinen Vater so lange angefleht, dass ich mitspielen darf, bis er nachgegeben hat. Bei dem Turnier waren Scouts des Zweitligisten SC Medeama, die mich danach verpflichten wollten. Der Klub ist aber aus Tarkwa, rund fünf Autostunden von meiner Heimatstadt Kumasi entfernt.

Was haben Sie gemacht?

Adams: Ich habe einen Entschluss gefasst und meiner Mutter und Al Hassan gesagt, dass ich Fußballprofi werden will und diese Chance ergreifen muss. Ich war damals 16 Jahre alt und habe alles riskiert. Es gab keinen Plan B. Al Hassan hat mir Geld für das Busticket gegeben, dann habe ich meine Tasche gepackt und bin allein losgefahren. Mein Vater hat erst nach meiner Abreise davon erfahren. Er war unfassbar wütend, konnte mich aber nicht mehr aufhalten.

Wie sah Ihr Leben in Tarkwa aus?

Adams: Wir Jugendspieler wohnten in Schlafsälen in einer Hütte mitten in den Büschen. Die Bedingungen und die Versorgung waren sehr schlecht. Manchmal bekamen wir nicht genug Geld, um uns richtiges Essen zu kaufen. Dann mischten wir Maniok-Pulver mit Wasser und Zucker und aßen das.

Kasim Adams bestritt bisher acht Länderspiele für die ghanaische Nationalmannschaft.
© imago images / ZUMA Press
Kasim Adams bestritt bisher acht Länderspiele für die ghanaische Nationalmannschaft.

Wie lief es sportlich?

Adams: Ich habe zum ersten Mal halbwegs professionell trainiert und durfte bald bei der ersten Mannschaft mitspielen. Irgendwann wurde ich in die ghanaische U17-Nationalmannschaft berufen, mit der ich im Sommer 2013 bei einem Jugendturnier in Südafrika teilnahm. Das war circa zwei Jahre nachdem ich zu Medeama gekommen war. Bei dem Turnier kam ein Berater auf mich zu und meinte, dass er mich unbedingt zum spanischen Klub CD Leganes bringen will.

Wie lief die Kontaktaufnahme ab?

Adams: Nach einem Spiel ist er mit einem Zettel mit meinem Namen in unser Hotel gekommen und hat einen Mitspieler von mir gefragt, wo er mich finden kann. Ich war gerade in meinem Zimmer, als mich mein Mitspieler anrief und meinte, dass in der Lobby ein Berater auf mich warten würde. Wir beide blödelten aber oft herum, deswegen habe ich ihm das zunächst gar nicht geglaubt und bin auf meinem Zimmer geblieben. Am nächsten Tag war ich gerade auf dem Weg vom Essen in mein Zimmer, da sprach mich jemand an und fragte, ob ich Kasim Adams kenne. Ich habe gesagt, dass ich das bin. Dann meinte er, dass er ein Berater ist, mich gestern schon gesucht hat und sich mit mir unterhalten will. Ich hatte ein bisschen Angst, weil mir so etwas noch nie passiert ist.

Was hat er Ihnen erzählt?

Adams: Er hat wieder und wieder gesagt, dass er mich unbedingt nach Spanien bringen will und ich Karriere in Europa machen werde. Aber ich habe ihm kein Wort geglaubt. Das klang alles zu unglaublich, um wahr zu sein. Am Ende haben wir uns darauf geeinigt, dass ich ihm meine Telefonnummer gebe. Nach dem Turnier war ich zuhause in Kumasi und er wollte einen Videoanruf machen. Das ging aber nicht, weil ich nur ein Tastenhandy ohne Kamera hatte. Stattdessen haben wir normal telefoniert und er hat mir wieder das Gleiche erzählt. Ich hatte keine Ahnung, was ich machen soll und ihm gesagt, dass ich sicher nicht allein nach Spanien fliege und er stattdessen zu mir nach Ghana kommen soll.

Ist er tatsächlich gekommen?

Adams: Ja. An dem Tag, für den er sich angekündigt hatte, waren wir alle nervös. Meine Mutter hat das beste Essen vorbereitet, Al Hassan und mein Vater waren auch da. Wir saßen am gedeckten Tisch und warteten auf den Mann aus Europa. Als er kam, haben wir zuerst gemeinsam gegessen. Ihm hat es geschmeckt, damit war meine Mutter schon mal glücklich. Als er dann gesagt hat, dass er mich nach Spanien bringen will, ist ihm mein Vater ins Wort gefallen und hat gesagt: "Nein, auf keinen Fall." Er war geschockt und ich hatte Tränen in den Augen. Al Hassan hat aber schließlich alle beruhigt und so lange auf meinen Vater eingeredet, bis er doch zugestimmt hat.

Wie ging es weiter?

Adams: Der Berater ist zurückgeflogen und hat sich um alle organisatorischen Dinge gekümmert. Dann hat er mich angerufen und gefragt, ob ich einen guten Stürmer kenne, weil er noch einen brauchte. Ich habe meinen besten Freund Karim Abubakar vorgeschlagen, mit dem ich bei Medeama zusammengespielt und im gleichen Schlafsaal gewohnt habe. Ohne ihn jemals spielen gesehen zu haben, hat er ihn auch eingeladen. Ein paar Tage später hat er uns die Visa und Flugtickets geschickt und wir sind für ein zweiwöchiges Probetraining nach Spanien geflogen. Als wir in Madrid am Flughafen ankamen, war uns beiden unfassbar kalt. Er hat uns abgeholt, Jacken gekauft und dann in ein Apartment gebracht. Dort mussten wir einen Vertrag unterschreiben.

Was stand in dem Vertrag?

Adams: Damals hatte ich keine Ahnung. Der Vertrag war auf Spanisch und wir verstanden beide kein Wort. Wir waren aber so dankbar dafür, dass er uns nach Europa gebracht hat, weshalb wir trotzdem einfach unterschrieben haben. Wir hätten alles unterschrieben. Erst viel später habe ich erfahren, dass er sich dadurch 25 Prozent der Transferrechte an uns beiden gesichert hat. Das war aus seiner Sicht natürlich schlau.

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