Kasim Adams im Interview: "Wir saßen um den gedeckten Tisch und warteten auf den Mann aus Europa"

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© imago images / Sportfoto Rudel
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Wie lief die Anfangszeit in Spanien?

Adams: Nach vier Tagen bekamen wir die Info, dass wir das Probetraining bestanden haben. Unser erstes Monatsgehalt von 200 Euro haben wir für warme Kleidung ausgegeben. Ein paar Tage später rief mein Vater an und überbrachte mir die Nachricht, dass meine Mutter gestorben ist. Ich war völlig am Ende und lag zwei Wochen weinend im Bett. Dann wurde mir klar, dass das ein Wendepunkt sein könnte. Ich beschloss, fortan ein Mann sein zu müssen. Ich begann wie verrückt zu trainieren, habe jeden Tag vor dem Mannschaftstraining auch individuelle Einheiten gemacht. Das half mir dabei, mit dieser Situation klarzukommen.

Wie haben Sie und Ihr Freund die Freizeit verbracht?

Adams: Wir hatten keine Ahnung, was wir machen sollen. Alles war so anders. Abgesehen vom Training waren wir nur zuhause, hin und wieder haben wir uns einfach vor das Haus gesetzt. Irgendwann hat uns der Berater ein Samsung-Smartphone und ein Streaming-Abo geschenkt, ab dem Zeitpunkt schauten wir stundenlang Filme. Mit den anderen Spielern hatten wir wenig Kontakt, weil wir beide kein Wort Spanisch sprachen und die anderen Jungs kein Englisch konnten.

Sind Sie zur Schule gegangen?

Adams: Nein, aber die Tochter des Beraters hat uns jeden Abend zwei Stunden lang Spanisch-Unterricht gegeben.

Wie lief Ihr erstes Spiel?

Adams: Nach ungefähr einem Monat waren alle organisatorischen Dinge geklärt und wir bekamen unsere Spielerpässe. Mein erstes Spiel war gegen die Jugendmannschaft von Real Madrid. Ich fing im Mittelfeld an, aber nach 25 Minuten sah unser Innenverteidiger die Rote Karte und ich musste nach hinten rücken. Seitdem habe ich diese Position nicht mehr verlassen.

In der Winter-Transferphase sind Sie zu RCD Mallorca gewechselt, wo Sie zunächst in der zweiten Mannschaft spielten.

Adams: Wir hatten eine super Mannschaft, unter anderem mit Marco Asensio und Brandon, der mittlerweile bei Osasuna spielt. In der Rückrunde legten wir eine Siegesserie hin. Zur neuen Saison durfte ich mit der ersten Mannschaft trainieren, Ende September stand ich zum ersten Mal im Kader - und direkt in der Startelf. Es ging gegen Barcelona B, ich schoss zwei Tore und wir holten ein 3:3. Ab diesem Zeitpunkt hatte ich einen Stammplatz. Im Winter gab es allerdings einen Trainerwechsel und der neue Trainer schickte mich wieder zur zweiten Mannschaft. In der darauffolgenden Saison war ich zwar wieder bei der ersten Mannschaft, habe aber kaum gespielt. Das war die schwierigste Zeit meiner Karriere. In Leganes war mein Kumpel und Mitspieler Karim immer für mich da. Aber diesmal war ich ganz allein.

Kasim Adams 2015 im Trikot von RCD Mallorca.
© imago images / Revierfoto
Kasim Adams 2015 im Trikot von RCD Mallorca.

Was hat ihnen geholfen?

Adams: Al Hassan hat mich in dieser Zeit oft angerufen, aufgebaut und motiviert. Er wollte immer, dass ich vor dem Mannschaftstraining Laufen gehe und wir uns währenddessen unterhalten. Auch mit Karim habe ich jeden Tag telefoniert.

Wie oft waren Sie zu der Zeit zuhause in Ghana?

Adams: Ich bin erst nach zweieinhalb Jahren zum ersten Mal heimgeflogen. Alle im Viertel waren so stolz auf mich, dass ich es zu einem europäischen Profiklub geschafft habe. Das war ein unfassbar schönes Gefühl. Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut, wenn ich mich daran zurückerinnere.

Sind Sie mittlerweile regelmäßiger in der Heimat?

Adams: Ja, zweimal im Jahr. Ich könnte in meiner freien Zeit auch nach Miami oder sonst wohin fliegen und teure Sachen kaufen, aber ich reise lieber nach Hause und gebe meinem Viertel etwas zurück. Immer wenn ich komme, organisiere ich mit Al Hassan ein Fußballturnier und verteile Schuhe, Hosen und Trikots an die Kinder. Derzeit versuche ich, einen Kunstrasen für den Fußballplatz zu organisieren. Ich liebe es, mit den Kindern auf meinem alten Platz zu spielen und ihnen Tipps zu geben.

Lebt Ihr Vater immer noch in dem Viertel?

Adams: Ja. Ich habe ihm angeboten, ein Haus in einer besseren Gegend kaufen. Aber er ist sehr verwurzelt und wollte unbedingt dort bleiben.

Wie steht Ihr Vater mittlerweile zu Ihrer Fußballer-Karriere?

Adams: Ich weiß, dass er mittlerweile sehr stolz auf mich ist. Trotzdem hat er sich aber bis heute noch kein Spiel von mir im Stadion angeschaut.

Im Sommer 2016 sind Sie zu den Young Boys Bern gewechselt. Zunächst per Leihe, dann fest. Zu diesem Zeitpunkt hielten der Berater, der Sie nach Europa geholt hat, und Leganes immer noch Rechte an Ihnen. Wann haben Sie das herausgefunden?

Adams: Während meiner Zeit bei Mallorca gab es einen Besitzerwechsel. Die neue Klubführung hat sich alle Verträge angeschaut und dabei ist aufgefallen, dass Mallorca nur 50 Prozent der Rechte an mir hat. Sie haben mich gefragt, ob ich das weiß, aber ich hatte keine Ahnung. 25 Prozent lagen bei Leganes und 25 Prozent bei dem Berater. Erst als ich von Bern nach Hoffenheim gewechselt bin, haben sie ihre Rechte verkauft.

Waren Sie wütend, als Sie das erfahren haben?

Adams: Nein, gar nicht. Der Berater hat mich nach Europa gebracht und mir damit meinen Traum erfüllt. Ich bin ihm sehr dankbar und stehe trotz meines kürzlichen Beraterwechsels zu Rogon mit ihm Kontakt.

In Bern spielten Sie zwei Jahre unter Trainer Adi Hütter. Wie haben Sie diese Zeit in Erinnerung?

Adams: Das war die schönste Zeit meiner bisherigen Karriere. Ich hatte das Leben in Europa endlich verstanden und mich bereit gefühlt, auch in der Freizeit Dinge allein zu unternehmen. Mit Adi kam ich super gut aus, er war wie ein Vater für mich. Er hat viele Einzelgespräche geführt und es geschafft, dass sich jeder wichtig fühlt. Wir waren eine ganz junge Mannschaft mit einem richtig guten Spirit. Alle haben Extraschichten geschoben, das war sehr inspirierend. In der ersten Saison war ich noch Rotationsspieler, zur zweiten habe ich mir aber einen Stammplatz erkämpft und wir sind nach 32 Jahren erstmals wieder Meister geworden.

"Sein taktisches Wissen ist der Wahnsinn, er kann seine Idee perfekt erklären": Kasim Adams schwärmt von Trainer Julian Nagelsmann.
© imago images / Sven Simon
"Sein taktisches Wissen ist der Wahnsinn, er kann seine Idee perfekt erklären": Kasim Adams schwärmt von Trainer Julian Nagelsmann.

Anschließend wechselten Sie zur TSG Hoffenheim.

Adams: Es war immer schon mein Traum, in der Bundesliga zu spielen. Als Kind war ich wegen Samuel Kuffour Bayern-Fan. Wenn ich mit Freunden gespielt habe, war ich immer Kuffour. In jenem Sommer hatte ich Angebote von einigen Bundesligisten, aber die Wahl für Hoffenheim ist mir nicht schwergefallen.

Warum?

Adams: Als ich in Bern spielte, habe ich im Fernsehen viele Bundesligaspiele geschaut und bei den Spielen von Hoffenheim immer Julian Nagelsmann beobachtet. Es hat mich beeindruckt, wie er an der Seitenlinie wild herumgeschrien und gejubelt hat. Ich war fasziniert von Nagelsmann und wollte unbedingt für Hoffenheim spielen.

Können Sie sich an Ihr erstes Treffen mit ihm erinnern?

Adams: Rund um das Saisonende mit Bern hat er mich nach Hoffenheim eingeladen und über das Klubgelände geführt. Er hat mir persönlich alle Räume gezeigt, das war beeindruckend. Weil der Wechsel damals noch nicht fix war, musste aber alles geheim bleiben. Obwohl ich so aufgeregt war, durfte ich keinem davon erzählen.

Wie war die alltägliche Arbeit mit Nagelsmann?

Adams: Er zählt zurecht zu den besten Trainern der Welt. Sein taktisches Wissen ist der Wahnsinn, er kann seine Idee perfekt erklären. Während eines Spiels lässt er drei verschiedene Systeme spielen und trotzdem weiß jeder genau, was er wann zu tun hat.

Wirklich durchsetzen konnten Sie sich bisher aber noch nicht, weder in Hoffenheim noch bei der einjährigen Leihe zu Fortuna Düsseldorf. Woran lag es?

Adams: Während meiner ersten Vorbereitung mit Hoffenheim stand ich immer in der Startelf, brach mir beim zweiten Bundesligaspiel gegen den SC Freiburg aber den Knöchel und musste zwei Monate pausieren. Danach habe ich mal gespielt und mal nicht. Zur neuen Saison kam Trainer Alfred Schreuder, mit ihm hatte ich aber leider keinen großen Befürworter. Schließlich schien eine Leihe nach Düsseldorf am meisten Sinn zu machen, doch auch dort war es ein Auf und Ab. Ich habe mich jetzt aber kritisch hinterfragt und will in Hoffenheim unter dem neuen Trainer durchstarten.

Kasim Adams Leistungsdaten in den nationalen Ligen

SaisonKlubWettbewerbSpieleToreAssists
2014/15RCD MallorcaLa Liga 22021
2015/16RCD MallorcaLa Liga 26--
2016/17Young Boys BernSuper League18--
2017/18Young Boys BernSuper League3222
2018/19TSG HoffenheimBundesliga13-1
2019/20Fortuna DüsseldorfBundesliga131-
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