Ex-Nationalspieler Malik Fathi im Interview: "Du kannst Außenstehenden kaum erklären, wie groß das Thema Druck im Fußball ist"

Neue Rolle: Co-Trainer Malik Fathi (2. von li.) neben seinem Cheftrainer Zecke Neuendorf und zwei Spielern der zweiten Mannschaft von Hertha BSC.
© Imago Images/Matthias Koch
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Wurde am Anfang Ihrer Karriere thematisiert, wie man mit dem Druck umgehen könnte?

Fathi: Überhaupt nicht. Mich persönlich hat das Thema interessiert, daher habe ich mich schon früh damit beschäftigt und viele Bücher gelesen. Wobei mich am Anfang vor allem die Frage bewegt hat, wie es möglich ist, mit einer gewissen Überzeugung, typische 50:50-Situationen zu seinen Gunsten zu beeinflussen. Das klingt so ein bisschen nach Hokuspokus, aber Glück und Pech sind bis zu einem gewissen Grad beeinflussbar. Ich bin beispielsweise nie vors Tor gekommen, dann habe ich mal ein Tor gemacht, und dann kam der Ball bei Standards plötzlich wie magnetisch zu mir. Solche Dinge kann man durch Fokustraining trainieren. Das hat mich früh interessiert und dementsprechend habe ich mich früh damit auseinandergesetzt.

Was haben Sie gemacht?

Fathi: Ich habe früh angefangen, mich in die Thematik einzulesen. Als ich 2008 zu Spartak Moskau gewechselt bin, war ich kurzzeitig auch an der Fernuni Hagen in Sportpsychologie eingeschrieben. Aber da habe ich schnell gemerkt, dass es mir weniger um die klinischen Krankheitsbilder ging, sondern vor allem um das Thema Motivation. Während einer Sommerpause habe ich dann ein Motivationsseminar von Anthony Robins besucht. Das ist ein Motivations- und Mentalguru aus den USA. Das Seminar habe ich bezahlt und mich vier Tage damit auseinandergesetzt, was ich eigentlich erreichen will in meinem Leben und vor allem, warum ich das möchte. Aber man muss sich vor Augen führen, dass auch das ein Training ist und dass es Jahre dauern kann, bis man den richtigen Fokus gesetzt hat. Das vergisst man schnell. Es ist eine Frage der Beharrlichkeit.

Malik Fathi: "Das ist reine Euphorie"

Sie hatten diese Beharrlichkeit?

Fathi: Na ja, ich bin damals ins Seminar, habe dann in der Sommerpause extra Schnelligkeitstraining gemacht, weil ich da gewisse Schwächen hatte, meine Stärke lag ja eher in der Antizipation. Ich bin also hochgradig motiviert und fit zurück nach Moskau - und nach zwei Wochen hat mir der Torwart drei Rippen gebrochen und ich war erst mal raus. Dann fliegst du natürlich erst mal auf die Fresse. Aber da beginnt die Arbeit auch erst richtig.

Pep Guardiola soll von Furcht getrieben sein, er soll seine Mannschaften so offensiv spielen lassen, weil er Angst vor Angriffen des Gegners hat. Er gewinnt also, weil er Angst hat zu verlieren. Unabhängig von der Druck-Thematik. Können Sie damit etwas anfangen?

Fathi: Ich habe gelernt, dass es eine Hin-zu- und eine Weg-von-Motivation gibt. Hin-zu wäre zum Beispiel, dass ich das Spiel gewinnen, ein Tor machen und den Titel gewinnen möchte. Weg-von wäre: Ich möchte kein Loser sein, die Niederlage tut weh, also gewinne ich. Beide Motivationen sind gute Motoren, um erfolgreich zu sein.

Und Sie? Was für ein Typ sind Sie?

Fathi: Ich kann beide Sichtweisen verstehen, Niederlagen tun weh. Gerade, wenn es nicht so gut lief, führte die Erinnerung an den Schmerz der Niederlage zumindest zur Motivation, alles dafür zu tun, um nicht wieder zu verlieren. Aber meine Energie geht noch ein bisschen mehr dahin, dass ich gewinnen will, weil sich der Sieg super anfühlt. Ich bin mehr so der Typ, der es geil findet, anzurennen und zu gewinnen.

Was ist leichter: Zu lernen, mit Niederlagen umzugehen, vielleicht sogar mit Abstiegen, oder mit dem Druck in Spitzenmannschaften wie Bayern oder Barcelona, immer gewinnen zu müssen?

Fathi: Gefühlt hat man bei den Bayern jetzt bei normalen Ligaspielen nicht unbedingt den Eindruck, dass sie großen Druck verspüren würden, gewinnen zu müssen. Sie gewinnen ja eh. (lacht) Im Ernst: Wahrscheinlich ist es ungefähr der selbe Druck und gleich schwer. Ich glaube zum Beispiel auch, dass das Hochgefühl, den Klassenerhalt in der Relegation geschafft zu haben, vergleichbar ist wie mit der Gefühlsexplosion, wenn feststeht, dass man die Meisterschaft gewonnen hat. Beides ist reine Euphorie, glaube ich. Aber mir fehlen da die Erfahrungswerte, ich wurde weder Meister, noch habe ich in der Relegation den Klassenerhalt geschafft.

Gegen welche Spieler haben Sie nicht so gern gespielt?

Fathi: Bochums Paul Freier hat es mir immer schwer gemacht. Schalkes Jefferson Farfan war krass. Der war so schnell und flexibel, in seiner Art, am Gegner vorbeizukommen. Sei es ein Dribbling, ein Doppelpass oder eine Finte: Farfan war ziemlich komplett. Antizipieren war ja mein Ding, das ging bei Farfan aber nicht immer. Ich gehörte eher zu den langsameren Spielern, daher musste ich schneller im Kopf sein als meine Gegenspieler. Gegen David Odonkor bin ich immer drei Sekunden, ehe er selbst wusste, dass er überhaupt losrennen würde, losgelaufen. Nur, um dann zeitgleich am Ball zu sein. (lacht)

Sie waren 2014/2015 sechs Monate arbeitslos, ehe sie nach Mallorca zu Atletico Baleares in die dritte Liga gegangen sind. Wie nah waren Sie davor, was ganz anderes zu machen als Fußball?

Fathi: Es war schon eine merkwürdige Zeit. Ich habe mich damals bei Hertha in der U23 fitgehalten. Am schwierigsten fand ich, dass einfach so wenige Anfragen für mich kamen. Ich war nicht der Spieler, der dieses und jenes verdienen musste oder den Anspruch hatte, nur zu bestimmten Vereinen wechseln zu wollen. Ich hätte natürlich auch ein Probetraining irgendwo gemacht. Dass da so gar kein Interesse an mir da war, das war natürlich nicht schön. Aber in dieser Zeit ist auch mein Sohn geboren, dadurch hatte ich auch viel Ablenkung. Und: Ich hasse es, zu verlieren, aber es war bei mir nie so, dass ich mich als Mensch nur über den Fußball identifiziert hätte. Ich kann mich Gott sei Dank auch für andere Dinge begeistern. Daher fand ich die Phase scheiße, aber ich habe keine Depressionen bekommen.

Malik Fathi: "Ich hatte schon immer ein bisschen Fernweh"

Dann kam doch noch das Angebot aus Mallorca.

Fathi: Zuvor habe ich dann doch noch ein Probetraining bei Sturm Graz gemacht, die auch ganz angetan waren. Dass ich dann zu Atletico Baleares gegangen bin, hatte natürlich auch was mit der Lebensqualität zu tun. Und ich fand die Konstellation spannend. Atletico Baleares hat mit Ingo Volkmann einen Berliner Inhaber, der Klub wollte aufsteigen. Und dann hab ich das gemacht und bin da hin.

Von außen betrachtet sieht es ein bisschen so aus, als ob es in Ihrer Karriere irgendwann einen Bruch gegeben hätte: Sie waren bei der Hertha, wurden Nationalspieler, gingen nach Moskau, waren dann lange in Mainz erfolgreich. Dann kamen zwei sechsmonatige Leihen nach Kayseri in die Türkei und zu 1860 München, dann waren sie arbeitslos, am Ende waren sie in der dritten spanischen Liga ...

Fathi: Grundsätzlich: Ich hatte schon immer ein bisschen Fernweh. Ich war 25 Jahre in Berlin und wollte gerne mal woanders hin. Aber ich war auch zu der Zeit nicht der Megastar mit zig Angeboten. Moskau war schon ein Jahr an mir dran und ich hatte immer wieder abgesagt. Eigentlich hatte Hertha auch gerade die Option auf Verlängerung meines Vertrags gezogen. Aber ich bin dann nach der nächsten Anfrage aus Moskau doch mal hin und habe mir alles angeschaut. Die Mannschaft spielte in der Champions League, und dann habe ich mir gedacht: 'Machste das einfach. Lernste ne neue Kultur kennen, lernst eine neue Sprache.'

Malik Fathi: "Ein Fußballtrainer mit einer Shisha-Bar vielleicht nicht die prickelndste Kombination"

Verdienste ein bisschen Geld ...

Fathi: Klar, finanziell war das auch gut. Aber in diesem Zusammenhang: Ich habe nach meinen ersten anderthalb Jahren in Mainz freiwillig meinen Vertrag in Moskau aufgelöst und habe dann in drei Jahren in Mainz ungefähr so viel verdient, wie ich im letzten dreiviertel Jahr in Moskau verdient hätte. Es ging mir immer vor allem um die Frage, wo ich wachsen könnte. Als Fußballer, als Mensch. Das war in Moskau irgendwann nicht mehr so. Mainz war dann lange sehr gut, aber dann kam die Anfrage aus Kayseri und ich dachte mir, dass ich die Gelegenheit nutzen könnte, um mal richtig türkisch zu lernen. Die Ausleihe hätte ich mir sportlich sparen können und vielleicht war ich dann am Ende ein bisschen zu oft ausgeliehen, aber bereue ich irgendeine Entscheidung? Überhaupt nicht. Ich bin hier, wo ich bin, weil ich die Entscheidungen getroffen habe. Mein Weg gefällt mir, wie er ist. Ich würde manches vielleicht nicht mehr machen, aber ich bereue es nicht.

Haben Sie denn türkisch gelernt?

Fathi: Schon. Vorher hatte ich schon russisch gelernt und Interviews auf russisch gegeben, aber das rostet auch langsam ein. Spanisch spreche ich gut, am wenigsten spreche ich türkisch.

Gibt es Ihre Shisha-Bar auf Mallorca noch?

Fathi: Ja, die gibt es noch. Wegen Corona ist es in den letzten Monaten da natürlich auch schwierig. Ein Kumpel von mir hatte die Idee, sie zu eröffnen, der betreibt sie auch. Das war eine kleine Marktlücke. Ich habe die Bar finanziert, sobald sie abbezahlt ist, übernimmt er sie alleine. Denn obwohl die Bar "Shisha Brothers" in normalen Zeiten super läuft, ist ein Fußballtrainer mit einer Shisha-Bar vielleicht nicht die prickelndste Konstellation.

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