Schalke 04 in der Krise: Armutszeugnisse, wohin man schaut

Von Stefan Petri
Schalke-Trainer David Wagner steckt mit Königsblau in einer sportlichen Krise. Aber auch finanziell steht der Traditionsklub am Abgrund.
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Schalkes finanzielle Krise: Immer höhere Schulden dank Corona

Was keiner der Beteiligten an diesem Tag ansprach: Dass so ziemlich jeder Spieler in Königsblau gegen den BVB so wirkte, als schleppe er einen schweren Rucksack mit sich herum, könnte auch daran liegen, dass der gesamte Verein einen Rucksack mit sich herumträgt. Dieser ist 198 Millionen Euro schwer - auf diese Summe belaufen sich die Verbindlichkeiten des Vereins - und wird in Zeiten der Corona-Krise von Tag zu Tag schwerer.

Die sportliche Talfahrt sieht im Vergleich zur finanziellen Misere des Klubs dieser Tage nämlich fast harmlos aus. Obwohl Schalke in Sachen Umsatz zu den 20 größten Klubs in Europa gehört, drohte aufgrund der Corona-Zwangspause die Insolvenz.

Woche für Woche gab es aus Gelsenkirchen nur Hiobsbotschaften zu hören: "Existenzbedrohend" sei die Lage, sagte Vostand Alexander Jobst, "finanziell prekär" nannte sie Tönnies. Sportvorstand Jochen Schneider sprach von "gewissen Vorerkrankungen", aufgrund derer die Krise Königsblau "einen Tick härter als alle anderen Klubs" treffe. Von Krediten war da zu lesen, verpfändeten TV-Geldern, Steuerstundungen und vielem mehr. Die Spieler verzichten auf Gehalt und Prämien, auch die Fans flehte man an, sie mögen auf das Geld für die bereits bezahlten Tickets verzichten.

198 Millionen Euro Schulden: Schalke 04 hat viele Fehler gemacht

Die Gründe für den Schuldenberg sind vielschichtig. Eine verfehlte Transferpolitik wäre zu nennen, mit teuren Flops und ablösefrei abwandernden Topspielern, dazu ein kostspieliger Kader und die zahlreichen Wechsel auf dem Trainerstuhl und in der Chefetage. Trotz der Verbindlichkeiten lebt Schalke auf vergleichsweise großem Fuß - und wenn man, wie im vergangenen Jahr, das europäische Geschäft verpasst, schmerzen die fehlenden finanziellen Rücklagen gleich doppelt. In der letzten Bilanz wies der Klub einen Verlust von über 26 Millionen Euro aus, diesmal könnte es noch schlimmer kommen. Die Schulden, sie türmen sich immer höher.

Nun ist durch den Bundesliga-Neustart und die gezahlte letzte TV-Rate der Saison das Schlimmste erst einmal abgewendet. Doch, um beim Titanic-Vergleich zu bleiben: Dass das größte Leck gestopft ist, heißt nicht, dass die Decks nicht weiterhin unter Wasser stehen.

Schließlich steht die verbleibende Bundesliga-Saison trotz erfolgreichen ersten Wochenendes auf wackligen Füßen, und sie wird auf diesen stehen, bis der 34. Spieltag absolviert ist. Zu viel kann noch immer schiefgehen, mit potenziell katastrophalen Folgen. Auch wenn die Spieler es nach der BVB-Pleite nicht als Ausrede gelten lassen würden: "Wenn ich mich mit Corona infiziere, könnte das am Ende sogar den Ruin meines Vereins bedeuten" - diesen Gedanken muss man erst einmal aus dem Kopf bekommen.

Und so legte Tönnies nach dem Spiel bei Sky erstmals sogar die Hände an die Heilige Kuh der Fans: den eingetragenen Verein.

Tönnies bringt Ausgliederung der Schalke-Profis ins Spiel - ein Plan mit Risiko

Als einer von wenigen verbleibenden Klubs hat Schalke seine Profi-Abteilung noch nicht ausgegliedert, worauf man sich beim Anhang und den Verantwortlichen stets stolz zeigte. In Corona-Zeiten, das haben die letzten Wochen gezeigt, ist kein Platz mehr für Romantik. "Wir diskutieren seit Jahren, ob wir einen traditionellen Fußballverein halten können", erklärte Tönnies. Parallel zu den nächsten Spielen werde man Konzepte erarbeiten: "Dann schauen wir mal."

Für Schalke könnte die Ausgliederung der letzte verbleibende Rettungsanker sein. So bestünde die Möglichkeit, Investoren anzulocken, Eigenkapital auf- und Schulden abzubauen. "So wie wir aufgestellt sind, können wir dauerhaft nicht mithalten", meint auch Rekordtorschütze Klaus Fischer. Doch vielen Fans sind fremde Investoren ein Dorn im Auge - und sie müssten auf einer Mitgliederversammlung mit einer Dreiviertelmehrheit für Tönnies' Vorschlag stimmen.

Ein offensives Anstreben der Ausgliederung hätte das Potenzial, die Fangemeinde zu spalten und die leidenschaftlichsten Anhänger gegen den Klub - und damit auch gegen die Mannschaft - aufzubringen. Dass Tönnies das Thema inmitten der sportlichen Krise auf die Agenda setzt, zeigt, dass dem Klub das Wasser bis zum Hals steht.

So oder so werden auf Schalke andere Zeiten anbrechen: keine teuren Transfers mehr, ein abgespeckter Kader, noch mehr Fokus auf die Talente aus der Knappenschmiede. Viele Fans könnten sich mit einer solchen Zukunft sicherlich anfreunden, auch wenn die ganz großen sportlichen Ziele erst mittel- oder langfristig wieder in Reichweite kommen.

Zunächst gilt es jedoch, die aktuelle Krise irgendwie zu überstehen. Denn wenn der Ofen erst einmal aus ist, lassen sich auch keine kleineren Brötchen mehr backen.

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