Werder Bremens ehemaliger Co-Trainer Wolfgang Rolff im Interview: "Mesut Özil konnte im Schatten von Diego viel lernen"

Von Stanislav Schupp
Verbrachten viele Jahre gemeinsam in der Bundesliga bei Hannover 96, Eintracht Frankfurt und Werder Bremen: Thomas Schaaf und Assistent Wolfgang Rolff.
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Im Anschluss engagierte Sie Vogts als Co-Trainer der kuwaitischen Nationalmannschaft. Wie entstand diese Idee?

Rolff: Er fragte mich, ob ich die Reise mitmachen möchte, nachdem wir in Leverkusen bereits zusammengearbeitet haben. Wir haben uns dann die Mannschaft angeschaut und eine gute Mischung aus erfahrenen Spielern und jungen Talenten vorgefunden. Dementsprechend waren die Voraussetzungen gut. Wir wurden Dritter im Golf-Pokal, von daher lief alles gut.

Mit welchen Erwartungen gingen Sie diese Aufgabe an?

Rolff: Ähnlich wie in Deutschland - Talente entwickeln und erfolgreich sein. Der ein oder andere junge Spieler hätte sicherlich nach Europa gehen können, was dann aber vielleicht an Bequemlichkeit gescheitert ist. Sie waren auch so zufrieden mit ihrem Leben.

Mit welchen Herausforderungen mussten Sie bei dieser Station umgehen?

Rolff: Ich musste mich natürlich umstellen. Wenn man im Ausland arbeitet, muss man unter anderem religiöse Aspekte beachten. Es gibt beispielsweise bestimmte Gebetszeiten. Wenn man trainieren möchte, muss man den Plan dementsprechend anpassen, sonst steht man allein auf dem Platz. Die ersten zwei, drei Trainingseinheiten kam es schon vor, dass ich eine Viertelstunde warten musste, bis die Spieler da waren. Das gleiche gilt auch für die Fastenzeit, die unterschiedlich ausgelegt ist. Wenn ein Spieler drei Tage länger nicht isst, muss man einfach Fingerspitzengefühl haben und in die Spieler reinhören. Wenn man das eine gewisse Zeit lang gemacht hat, entwickelt man ein Gespür dafür, wie man die Spieler führen muss.

Warum war Ihr Engagement nach knapp einem Jahr zu Ende?

Rolff: Vogts ist dann nach Schottland gegangen und der Verband wollte mich behalten. Ich habe zunächst auch beschlossen in Kuwait zu bleiben, allerdings kam dann 2001 die zweite Kriegswelle, weshalb ich nach Deutschland zurückgekehrt bin.

Rolff über Werder-Krise: "Vielleicht von ihrer Spielkultur abgekommen"

2004 heuerten Sie als Co-Trainer von Thomas Schaaf bei Werder Bremen an. Wie entstand der Kontakt zwischen Ihnen?

Rolff: Der Kontakt entstand durch Klaus Allofs. Der damalige Co-Trainer Karl-Heinz Kamp hatte Hüftprobleme, weshalb Werder einen zusätzlichen Co-Trainer dazu holen wollte. Am Ende bin ich knapp neun Jahre geblieben.

Werder hatte in der Saison zuvor das Double geholt. Wie haben Sie die Stimmung innerhalb der Mannschaft wahrgenommen?

Rolff: Die Stimmung war großartig, die Mannschaft war super. Trotzdem wird man gejagt und muss sich neu beweisen. Die Herausforderung war, die nächsten Jahre oben zu bleiben, und das mit einem wesentlich kleineren Budget als das von Bayern München oder Borussia Dortmund.

Die ersten sechs Saisons Ihrer Amtszeit beendete Werder bis auf 2008/09 immer auf einem Europapokal-Platz. Ab der Saison 2010/2011 ging es dann bergab. Wie erklären Sie sich diesen plötzlichen Einbruch, der bis heute anhält?

Rolff: Ich glaube, wir hatten in den letzten Jahren Probleme mit der Transferpolitik. Wir konnten die Spieler nicht mehr eins zu eins ersetzen, wie es uns zuvor gelungen war. Wir mussten Spieler verkaufen, um ein gewisses Budget aufrechtzuerhalten, da wir verglichen mit Bayern oder dem BVB nicht diese Anzahl an Sponsoren hatten. Daher war es immer ein harter Kampf, eine Top-Mannschaft zu haben und auf hohem Niveau zu spielen. Wir haben super Talente verpflichtet, wie zum Beispiel Naldo oder Petri Pasanen, die bereits im Ausland Erfahrung gesammelt hatten und bei uns eingeschlagen haben. Natürlich haben wir auch etablierte Nationalspieler wie Marko Arnautovic oder Eljero Elia geholt. Allerdings konnten wir in der Kürze der Zeit das nicht wie gewünscht umsetzen, weil die jungen Talente von Null auf Hundert in der Bundesliga Fuß fassen mussten. Am Ende ist es schwer, wenn man zu viele Spieler aufgrund von Verletzungen oder Abgängen ersetzen muss und die jungen Spieler konnten das nicht auffangen in der Saison.

Wie bewerten Sie die aktuelle Situation an der Weser?

Rolff: Mit Blick auf die Namen und das Gehaltsgefüge hat Werder eine gute Mannschaft, kann es aber aktuell nicht auf dem Platz umsetzen, weil sie vielleicht von Ihrer Spielkultur abgekommen sind.

Inwiefern?

Rolff: Ich glaube, dass diese Mannschaft wesentlich offensiver spielen kann und dadurch auch erfolgreicher wäre. Das hat sie in den ersten Jahren unter Florian Kohfeldt bereits unter Beweis gestellt.

Woran liegt diese Umstellung?

Rolff: Sie haben im Augenblick vielleicht nicht den Mut, das nötige Risiko zu gehen. Um den Klassenerhalt zu schaffen, muss die Mannschaft diesen Mut allerdings wiedererlangen. Sie muss der Konkurrenz zeigen, dass Sie Chancen kreieren kann, vorne pressen und aggressiv sein kann - das habe ich bislang in dieser Saison nicht gesehen. Ich vermisse diesen Biss, wieder Herr im Haus sein zu wollen. Vielleicht hat Kohfeldt momentan eine andere Denkweise und meint, mit einer verhaltenen Spielweise wieder zum Erfolg zu gelangen.

Der Trend spricht nicht gerade für Kohfeldt.

Rolff: Er genießt weiterhin die Rückendeckung des Vereins und die Verantwortlichen sind sogar bereit, mit ihm in die zweite Liga zu gehen. Von daher kann er ruhig den offensiven Stil, der der Mannschaft besser liegt, spielen lassen. Ich bin davon überzeugt, wenn diese Mannschaft offensiver und näher am Strafraum spielen würde, würde auch ein Claudio Pizarro wieder mehr Tore schießen, als wenn er sich in der Nähe der Mittellinie bewegen muss.

Wolfgang Rolff trainierte bei Werder den jungen Mesut Özil.
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Wolfgang Rolff trainierte bei Werder den jungen Mesut Özil.

Rolff: Özil? "Konnte im Schatten von Diego viel lernen"

Sie waren insgesamt neun Jahre lang bei Werder an der Seite von Schaaf. Bestand zwischendurch die Möglichkeit, einen anderen Weg einzuschlagen und Cheftrainer zu werden?

Rolff: Ich hatte ein Angebot von einer Mannschaft aus Ägypten. Die Arbeit in Bremen hat so viel Spaß gemacht, dass ich abgelehnt habe. Zudem gab es später Anfragen aus der dritten Liga und Regionalliga, aber nicht aus der Bundesliga. Da waren keine Top-Mannschaften dabei, bei denen man sagen konnte, dass man von heute auf morgen Erfolg haben wird. Wir waren mit Bremen so erfolgreich, dass ich es vorgezogen habe, Champions League zu spielen und Spieler zu Nationalspielern zu formen, anstatt einen Cheftrainerposten zu übernehmen.

Bereuen Sie die Entscheidung im Nachhinein?

Rolff: Absolut nicht. Die Mannschaft hat offensivstarken Fußball gespielt und selbst bei einem 0:3-Rückstand immer an daran geglaubt, das Spiel zu drehen. Wenn man Teil davon sein darf, vergisst man manchmal seine eigene Karriere und hat Freude am Erfolg des Teams. Natürlich hätte ich das ein oder andere Jahr länger Cheftrainer sein können, aber ich war als Co-Trainer immer erfolgreich und habe immer mit erfahrenen Trainern, und heutigen Freunden, zusammengearbeitet - das war für mich das i-Tüpfelchen auf meiner Karriere.

Welcher Moment hat sich bei Ihnen während Ihrer Zeit in Bremen besonders eingeprägt?

Rolff: Vielmehr als ein einzelner Moment hat sich bei mir die Art und Weise eingeprägt, wie wir versucht haben Spiele zu drehen, selbst zu gestalten und an unserer offensiven Philosophie festzuhalten. Auch wenn die letzten zwei Jahre nicht mehr so erfolgreich waren, haben wir immer unser System beibehalten und das Risiko gesucht.

Sie durften eine Vielzahl an Spielern coachen. Wer hat Sie am meisten überrascht?

Rolff: Mir würden einige Spieler einfallen, aber ich sage Özil. Er war ein großes Talent, hatte aber sicherlich körperliche Defizite mit 18 Jahren. Er hat super daran gearbeitet und konnte im Schatten von Diego damals viel lernen. Dank seines Talents, seiner Schnelligkeit und seinem Passspiel hat er unheimlich viel dazugewonnen und eine tolle Karriere hingelegt. Die Voraussetzungen hatte er schon immer, die Umsetzung später bei Real Madrid und auch bei Arsenal war stark.

Auch Kevin de Bruyne nahmen Sie eine Saison lang unter Ihre Fittiche. Wie erinnern Sie sich an seine Anfangszeit in Bremen?

Rolff: Kevin kam damals von Chelsea zu uns. In Deutschland ist es gang und gäbe, dass man mehr laufen muss als in England oder in Belgien. Er meinte: 'Es ist super mit Ball zu trainieren, aber ihr trainiert so viel ohne' (lacht). Obwohl wir bei Werder immer viel mit Ball trainiert haben. Er hat das aber gut angenommen und was er jetzt daraus macht, ist natürlich traumhaft. Er war schon immer ein großartiges Talent mit unheimlichen Fähigkeiten - schnell, beidfüßig, gefährliche Standards.

De Bruyne galt damals schon als vielversprechendes Talent und war unter anderem auch beim BVB im Gespräch. Waren Sie überrascht, dass er sich für Bremen entschieden hatte?

Rolff: Ich glaube, Klaus Allofs und Thomas Schaaf haben ihm in den Gesprächen gut aufgezeigt, welche Spieler bei Werder einen großen Karrieresprung gemacht haben, sei es Johan Micoud oder auch Diego. Dadurch hat er auch daran geglaubt und gesehen, dass er bei uns den nächsten Schritt machen kann.

2013 endete die Ära Schaaf nach 14 Jahren. Wie haben Sie das Aus in Erinnerung?

Rolff: Wir haben damals die Klasse gehalten, dementsprechend war es schade, dass man nicht mehr mit uns weitermachen konnte oder wollte. Es wäre schön gewesen, wenn man den Neuanfang gemeinsam hätte angehen können. Ansonsten habe ich tolle neun Jahre in Bremen erlebt. Das hat man nicht überall, wenn man sieht, wie schnelllebig das Trainergeschäft heutzutage ist.

Anschließend arbeiteten Sie erneut mit Vogts zusammen - diesmal bei der aserbaidschanischen Nationalmannschaft, ehe Sie 2014 gemeinsam mit Thomas Schaaf zu Eintracht Frankfurt wechselten. War es für Sie im Voraus immer klar, dass Sie wieder zusammenarbeiten möchten?

Rolff: Als ich mit Vogts in Aserbaidschan war, war die Voraussetzung für die Stelle in Frankfurt, dass ich beide Jobs machen konnte. In der Länderspielpause konnte ich dann die Nationalmannschaft betreuen und gleichzeitig bei der Eintracht arbeiten.