Marcel Daum von Bayer Leverkusen im Interview: "Warum sollten wir das Vizekusen nicht komplett vergessen machen?"

Marcel Daum wechselte 2018 von Eintracht Frankfurt ins Trainerteam von Bayer Leverkusen.
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Inwiefern ändert man nach solchen Überlegungen dann seine bisherige Herangehensweise - oder bleibt die stets unberührt?

Daum: Wir trainieren die Dinge nicht nach dem Motto: Das wird zu 100 Prozent so kommen. Wir haben eine Spielphilosophie, deren Kern immer gleich bleiben wird. Was schwerer zu erkennen ist, ist der Rahmen, in dem wir uns bewegen können. Innerhalb dessen können sich Inhalte verändern oder angepasst werden. Und diesbezüglich sind viele Vereine mittlerweile sicherlich flexibler geworden.

Wie sehen denn im Detail die Sitzungen mit der Mannschaft aus?

Daum: Der Zeitrahmen ist unterschiedlich, verglichen mit der reinen Anzahl an Pflichtspielen finden sie aber überproportional statt. Wir schauen dabei im Schnitt zu 80 Prozent auf uns und zu 20 Prozent auf den Gegner. Es wird zudem zwischen Gruppen- und Mannschaftstaktik unterschieden - also Sitzungen mit allen und mit einzelnen Mannschaftsteilen. Wir nennen dies Gruppensitzungen in Linien, quasi wie im Football mit Offensive und Defensive Line.

Marcel Daum: "Visualisierung findet immer statt"

Wird dann vor allem ein zusammengeschnittenes Video gezeigt oder auch einmal gänzlich ohne Visualisierung gearbeitet?

Daum: Nein. Visualisierung ist wichtig. Sie findet immer statt, allerdings divers. Es geht darum, mit dem richtigen Bild das richtige Verhalten zu schaffen. Das geht auch über eine taktische Grafik oder eine Übersicht einer Datenauswertung, es muss kein Video sein.

2011 sagten Sie im SPOX-Interview, nach einem Samstagsspiel gingen der komplette Sonntag und Montag drauf, bis es vollständig ausgewertet ist. Hat sich das mittlerweile geändert?

Daum: Es ist vor allem die Effektivität gestiegen. Wir schauen erst auf die Daten und am Ende wird das Video hinzugezogen. So kann man schon von Beginn an Dinge ausschließen.

Inwiefern kann man mit der Analyse und Auswertung von Datenmaterial die Wahrscheinlichkeit eines Sieges erhöhen?

Daum: Datenqualität ist das A und O. Wir haben unsere Key Performance Indikatoren, die wir anhand der Daten für jedes Spiel abfragen - bezogen auf uns und auf den Gegner. Dies hilft, praxisrelevante Entscheidungen zu gewissen Prozentpunkten zu erleichtern, zu verstärken oder sie vielleicht auch überhaupt erst zu treffen. Es beginnt bei uns jedoch wie gesagt immer mit einem Blick auf die Daten. Erst dann entscheide ich: Was benutze ich zur weiteren Vorbereitung, welches Video wäre dazu interessant? Das sind alles sehr inhaltliche Dinge.

Mit welchen Daten arbeiten Sie genau?

Daum: Die Bundesliga stellt allen Vereinen Rohdaten zur Verfügung. Das sind X-, Y- und Z-Koordinaten aller Spieler und des Balls. Diese sogenannten qualitativen Positionsdaten werden in den Stadien mit 16 Tracking-Kameras aufgenommen. Alle Spieler und der Ball werden pro Sekunde in mehrfachen Frames gescannt. Wir wissen also zu jedem Zeitpunkt, wer wo ist und wo sich zur Orientierung der Ball befindet. Das muss man sich wie eine Matrix vorstellen. Es braucht einen Programmierer, der diese Daten dann mittels eines bestimmten Tools nach unseren inhaltlichen Vorgaben veredelt. Es werden aus Zahlen Visualisierungen gemacht, aus denen wir unsere eigenen Dinge interpretieren und kreieren. Mit dem Ziel, die Benchmark in diesem Bereich zu werden.

Wird es zukünftig immer mehr in Richtung dieser Form von Datenanalyse gehen?

Daum: Ja, in allen Bereichen des Sports. Das Spiel auf dem Platz bleibt aber die Wahrheit. Was zudem noch an Einfluss gewinnen wird, ist meiner Meinung nach das Thema Chip im Ball.

Marcel Daum über die Bedeutung des Chips im Spielball

Dort ist Bayer Leverkusen gar Vorreiter und weltweit der erste Fußballverein, der im Training den offiziellen Spielball mit Chip benutzt.

Daum: Genau. Das ist ein Innovationsprojekt mit der Firma Kinexon aus München. Die haben die Exklusivrechte erworben, um im offiziellen Bundesligaball einen Chip implementieren zu dürfen. Ihn benutzen wir auf unserem volldigitalisierten Trainingsplatz.

Welche Erkenntnisse versprechen Sie sich davon?

Daum: Da wir eine Ballbesitzmannschaft sind, wollen wir lernen, was wir aus Balldaten herausziehen können. Da geht es zum Beispiel um Passgeschwindigkeiten oder Ballkontaktzeiten.

Abschließend noch eine persönliche Frage: Ihr Vater schrieb Anfang Februar ungewollt Schlagzeilen, als im Netz ein Video auftauchte, wie er im Zug sitzend von singenden Frankfurter Fans verhöhnt wurde. Wie gehen Sie mit einer solchen Episode heute um?

Daum: Ich weiß genau, dass Christoph total gelassen damit umgeht. Klar, diese Leute haben sicherlich etwas getrunken und waren dann womöglich extrovertierter als sonst, um deren Verhalten einmal so gut es geht zu relativieren. Heute weiß ich: Es geht vor allem darum, eine zweite Chance zu bekommen und als Gesellschaft sensibel zu bleiben. Denn wir machen alle regelmäßig Fehler und müssen lernen, damit umzugehen.

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