Diadie Samassekou von der TSG Hoffenheim im Interview: "Als der Krieg ausbrach, hatte ich eine Woche lang Albträume"

Von Louis Loeser
Diadie Samassekou wechselte 2019 von Red Bull Salzburg zur TSG 1899 Hoffenheim.
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Ich möchte noch einmal zurück auf Ihre Heimat zurückkommen. In Mali herrscht seit 2012 ein schlimmer Bürgerkrieg, der hunderttausende Menschen zur Flucht zwang. Ihre Familie wohnt weiterhin dort. Inwiefern sind Ihre Freunde und Familie von diesen Geschehnissen betroffen?

Samassekou: Als der Krieg ausbrach, war ich in der Akademie. Ich hatte eine Woche lang Albträume, aber jetzt ist die Situation besser. Die großen Städte, in denen auch meine Eltern wohnen, spüren nicht so viel vom großen Leid, dem die anderen Regionen ausgesetzt sind. Es ist hart zu hören, dass täglich Leute in einem anderen Teil des Landes sterben, aber meine Familie ist nicht direkt betroffen.

Wie versuchen Sie aus der Ferne, in Ihrer Heimat zu helfen?

Samassekou: Wie ich sagte, als wir über das Coronavirus sprachen: Jedes Land hat seine eigenen Probleme. Ich helfe zum Beispiel einer Familie, die einen Vater im Krieg verloren hat und nun nicht genug Geld für Essen hat. Das ist die Realität in meiner Heimat. Die Soldaten lassen ihre Familien zurück und es gibt keine Absicherung dafür.

Hoffenheims Diadie Samassekou: "Fußball ist eine der größten Plattformen für Integration"

Seit 2015 hat Deutschland mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen. Bei der TSG Hoffenheim teilen Sie sich eine Kabine mit Spielern aus 16 Nationen mit unterschiedlichsten religiösen und kulturellen Hintergründen. Welche Rolle kann der Fußball bei der Integration von Flüchtlingen spielen?

Samassekou: Fußball ist eine der größten Plattformen für Integration. In den meisten Teams sind Spieler vieler verschiedener Kulturen, Religionen oder Nationen, aber sie spielen alle zusammen, als hätten sie die gleiche Mutter. So sollte es in der gesamten Gesellschaft sein. Ich habe gehört, wie sich Hoffenheim für Flüchtlinge engagiert. Auch als ich noch bei RB Salzburg unter Vertrag stand, sprach der Klub mit uns darüber und erzählte, dass Flüchtlinge kommen würden. Die Welt ist eine Gemeinschaft und es geht nicht um einzelne Länder. Wir sollten auf die Probleme anderer achten und versuchen, sie gemeinsam zu lösen.

Es sind jedoch nicht alle derart offen und bereit zu helfen. Rechtspopulistische Parteien erfuhren in Europa in den vergangenen Jahren einen Aufschwung und schüren Ressentiments gegenüber Flüchtlingen. Wie sehr beschäftigt Sie diese Entwicklung?

Samassekou: Jeder hat eigene Meinungen, aber als Menschen sollten wir immer bereit sein, unseren Nächsten zu helfen. Ich denke, es gibt keinen Grund, jemandem nicht zu helfen, wenn er in Schwierigkeiten ist. Auch völlig unabhängig von unterschiedlichen Ansichten oder Religionen. Als Moslem würde ich es zum Beispiel niemals akzeptieren, wenn ein Freund jemandem nicht helfen würde, nur weil er Christ ist. Wir sind alle Menschen und das Zusammenleben ist wichtiger als alles andere.

Sie sind, wie Sie erwähnt haben, gläubiger Moslem. Welche Rolle spielt die Religion in Ihrem Leben?

Samassekou: Religion ist sehr wichtig für mich. Ich bete fünfmal am Tag und ich folge den Regeln des Islams. Aber das habe ich für mich entschieden. Ich verurteile niemanden oder sage anderen, was sie zu tun haben. Die Religion hilft mir, weil sie mir sagt, was ich tun darf und was nicht. Ich bin sehr streng zu mir und die Religion gibt mir Orientierung.

Diadie Samassekou über Rassismus: "Instagram-Posts allein werden nichts ändern"

Durch die Anfeindungen gegen Hertha-Verteidiger Jordan Torunarigha und Würzburgs Leroy Kwadwo rückte zuletzt vor allem Rassismus in Fußballstadien in den Fokus. Macht Ihnen diese Entwicklung Angst?

Samassekou: Ich habe keine Angst, sondern bin einfach nur enttäuscht. Das ist ein Problem, das es nicht erst seit heute gibt. Es existiert bereits sehr lange und es geht nicht voran. Die Leute posten dagegen etwas auf Instagram oder Twitter, aber das allein wird nichts ändern. Die richtige Wertevermittlung in frühen Jahren ist der Schlüssel. Denn das meiste kommt aus dem persönlichen Umfeld - das, was solche Leute von ihren Eltern oder Freunden hören. Wir müssen die Wurzeln bekämpfen. Wir leben alle in derselben Welt. Es gibt eigentlich keine Grenzen, aber wir haben sie erschaffen und im Fußball ist es leider teilweise dasselbe. Ich verstehe manche Leute nicht, die denken, sie wären etwas Besseres, oder dass wir nicht verdient haben, hier zu sein. Meine Teamkollegen und Freunde kommen aus verschiedenen Ländern oder haben unterschiedliche Hautfarben. Für mich sind sie alle wie Brüder.

Sie sagen, Posts auf Twitter oder Instagram helfen nicht. Selbst setzen Sie aber trotzdem Ihre Reichweite in den Sozialen Medien dafür ein, um dem Kampf gegen Rassismus Aufmerksamkeit zu schenken. Zuletzt haben Sie zu den Anfeindungen gegen Porto-Stürmer Moussa Marega Stellung bezogen. Sollten mehr Fußballer Ihrem Beispiel folgen?

Samassekou: Natürlich haben viele Spieler etwas zu Moussa Marega gepostet, aber das sollte nicht das Einzige bleiben, das wir tun. Wir sollten bei derartigen Vorfällen reagieren und nicht warten, bis das Spiel vorbei ist. Jeder muss sich solidarisch zeigen. Nur so können wir das Problem bekämpfen, denn es ist ein gesellschaftliches Problem, das nicht nur den Fußball betrifft.

Den Platz zu verlassen, sieht auch das das Drei-Stufen-Protokoll der UEFA vor. Ist das der richtige Ansatz oder wünschen Sie sich sofortige Spielabbrüche?

Samassekou: Ich denke nicht, dass es etwas bringt, das Spiel sofort abzubrechen. Wenn etwas von einer Minderheit von fünf oder zehn Leuten kommt, müssen wir sie aus dem Stadion werfen und dann sollte das Spiel fortgeführt werden. Du kannst nicht alle für das Verhalten von fünf oder zehn Idioten bestrafen. Außerdem können die anderen Fans im Stadion helfen. Wenn du jemanden neben dir siehst, der so etwas macht, solltest du klar ausdrücken, dass das nicht geht, und die Security informieren. Wir sollten nicht alle bestrafen, aber wenn sich nichts bewegt, müssen die Spieler den Platz verlassen.