BVB - Kommentar zu Lucien Favre: Cheftrainer mangels Alternativen

Lucien Favre steht beim BVB mit dem Rücken zur Wand.
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Bei Borussia Dortmund haben Führung, Mannschaft und Fans offenbar den Glauben an eine Wende unter Lucien Favre verloren. Gründe dafür gibt es genug. Ein Kommentar.

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Wie man es schafft, seinem Trainer das Vertrauen und gleichzeitig das Misstrauen auszusprechen, hat BVB-Boss Hans-Joachim Watzke auf der Mitgliederversammlung am Sonntag meisterlich demonstriert. "Lieber Lucien, du hast weiter unser Vertrauen", sagte Watzke in Richtung von Lucien Favre, um jedoch sogleich einzuschränken: "Aber: Am Ende ist Fußball immer über Ergebnisse definiert."

Mit anderen Worten: Gelingt den Dortmundern in der Champions League in Barcelona und vor allem danach in der Bundesliga bei Hertha BSC nicht die Wende, ist eine Trennung von Favre alles andere als unwahrscheinlich.

Zwar ist allen Beteiligten klar, dass der Schweizer nicht alleinverantwortlich für die spielerische Krise des Vorjahreszweiten ist. Dass die Dortmunder beim 3:3 gegen Paderborn fünf Kilometer weniger liefen als der Aufsteiger und eine deutlich schlechtere Zweikampfquote aufwiesen, kann man dem Coach kaum zum Vorwurf machen. Doch die miserable Form zahlreicher Leistungsträger der vergangenen Saison - allen voran Marco Reus, Jadon Sancho und Julian Weigl sind hier zu nennen - hilft Favre aktuell genauso wenig wie die Tatsache, dass man sowohl in der Liga (fünf Punkte Rückstand auf Platz eins) als auch in der Champions League und im DFB-Pokal nach wie vor im Rennen ist.

Lucien Favre hat Kredit bei den Fans verspielt

Denn nicht nur bei der Führung, sondern auch bei Spielern und Fans sind die Zweifel in den letzten Wochen massiv gewachsen, ob der 61-Jährige noch der richtige Mann für diesen Kader ist. Beim treuen Anhang hat der BVB durch die anhaltend schwachen Vorstellungen unglaublich viel Kredit verspielt, wie die Pfiffe sowohl gegen Paderborn als auch bei der Mitgliederversammlung zeigten.

Bei der Mannschaft wird man den Eindruck nicht los, dass sie mit Favres eher passiven, vorrangig auf Sicherheit und Kontrolle fokussierten Spielidee merklich fremdelt und deshalb unter anderem beim FC Bayern (0:4) und bei Inter Mailand (0:2) chancenlos war. Die jüngsten Aussagen von Reus und Mats Hummels zur Taktik kann man so interpretieren. Zudem wird man den Eindruck nicht los, dass die Dortmunder ausgerechnet dann am besten spielten, wenn sie nichts mehr zu verlieren hatten und deshalb Favres Vorgaben mehr oder weniger ignorierten: Bei den Aufholjagden nach der Pause gegen Inter (3:2 nach 0:2) und Paderborn (3:3 nach 0:3).

Hinzu kommen die offensichtlichen Probleme des zurückhaltenden, teilweise zaudernden Favre, sich offensiv hinter die hoch gesetzten Ansprüche der Führung zu stellen: Dem erklärten Angriff auf die Meisterschaft. Auch deshalb sah sich Watzke vermutlich genötigt, diese Zielsetzung am Sonntag noch einmal zu bekräftigen. Sportlich ambitioniert gegen den wirtschaftlich enteilten FC Bayern, aber nach dem knapp verpassten Titel im Vorjahr und angesichts von Investitionen von rund 130 Millionen Euro in die Mannschaft berechtigt und angesichts der Hoffnungen der Fans nachvollziehbar.

BVB: Keine Weiterentwicklung - kein Glaube an Favre

Dennoch ist es nicht gelungen, das Team individuell und als Kollektiv in dieser Spielzeit weiterzuentwickeln, das Gegenteil ist der Fall. Und so hat der BVB allem Anschein nach den Glauben an Favre verloren. Im Amt hält ihn vor allem die Tatsache, dass die BVB-Bosse nach den glorreichen Zeiten unter Jürgen Klopp zu oft bei der Trainerauswahl daneben lagen und auch jetzt keine Garantie haben, dass es mit einem neuen Mann besser wird.

Zumal der Markt wenig hergibt. Roger Schmidt wäre ein Risiko, Ralf Rangnick ist als Ex-Schalker, -Leipziger und - Hoffenheimer nicht vermittelbar und der einstige Meistercoach Matthias Sammer schließt eine auch nur kurzzeitige Rückkehr auf die Bank kategorisch aus. Am ehesten passen würde von seinem Ansatz her wohl Mauricio Pochettino, doch selbst wenn der ehemalige Tottenham-Coach Interesse hätte, wäre das wohl frühestens zur nächsten Saison ein Thema.

Nicht ausgeschlossen ist daher sogar, dass Favre noch bis Saisonende durchhält, wenn sich die Borussen etwas fangen und zumindest für die Champions League qualifizieren. Doch schon jetzt ist er vor allem ein Cheftrainer mangels Alternativen.

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