Peter Bosz von Bayer Leverkusen im Interview: "Ich habe mir die Sinnfrage gestellt"

Peter Bosz ist seit Januar 2019 Trainer bei Bayer Leverkusen.
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Sie haben einmal gesagt, medial wird häufig die Phrase "fehlende Mentalität" benutzt, wenn ein Spiel verloren geht. Wird Ihnen da zu wenig in die Tiefe gegangen?

Bosz: Wenn das Schlagwort 'Mentalität' gebraucht wird, muss mir derjenige auch erklären: Was ist Mentalität? Ist das fehlender Fokus, fehlender Wille? Mentalität ist ein Oberbegriff, der nicht in die Tiefe geht. Doch dann muss man Ahnung vom Fußball haben. Hat man das nicht, ist es einfach: Mentalität.

Ist Ihnen das zu wenig Analysefähigkeit auf Seiten der Medien?

Bosz: Es gibt einige, die zu wenig Qualität haben. Es ist auch nicht einfach, wenn man kein Training sieht und nicht weiß, wie der Plan vor dem Spiel aussah. Man muss auch sehen, wer oftmals die Analysten sind: Ehemalige Spieler, die aber noch nie Trainer waren. Oder erfolglose Trainer, die nun Experten sind. Oder welche, die nie Fußball gespielt haben. Meistens sind die aber noch besser als ehemalige Spieler oder Trainer. (lacht)

Sind das auch Faktoren, die das Misstrauen in Ihre Spielweise wohl niemals enden lassen werden?

Bosz: Das weiß ich nicht und es interessiert mich auch nicht mehr. Wir haben einen Plan und wollen diesen immer entwickeln. Was dieser oder jener sagt, ist für mich nicht mehr wichtig.

War Cruyff eigentlich in Ihren Wechsel von Tel Aviv nach Amsterdam involviert?

Bosz: Er war bei Ajax ja immer auch Berater und hatte dann wohl seine Zustimmung gegeben. Bei Ajax war es immer wichtig, dass Cruyff sein Okay gibt.

Bei Ajax standen Sie in Ihrer ersten und schließlich letzten Saison im Finale der Europa League. Das Endspiel gegen Manchester United ging damals verloren. Wie erinnern Sie sich daran?

Bosz: Das war ein Clash der Philosophien und ein Kampf Jung gegen Alt. Unser Durchschnittsalter war 21,7 Jahre. Wir hatten 16- und 17-jährige Spieler im Finale dabei. Der Altersdurchschnitt bei United war um die 28 Jahre. Man muss lernen, Endspiele zu gewinnen, deshalb war das ein großer Unterschied.

Bei Ajax hat Ihr Co-Trainer "innerhalb des relativen großen Trainerstabs von Anfang an eine Distanz uns gegenüber gespürt", wie er im SPOX-Interview sagte. Wie traurig waren Sie, dass es dort nicht weiterging?

Bosz: Ich wäre gerne dortgeblieben, aber das war leider nicht möglich. Wir haben die Probleme angesprochen, sie wurden aber nicht angegangen. Ajax hatte eine sehr gute Mannschaft mit jungen Spielern. So etwas passiert eben im Fußball.

Sie wechselten anschließend zu Borussia Dortmund, hatten aber auch eine Offerte von Bayer Leverkusen. Hätten Sie im Nachhinein betrachtet lieber das Leverkusener Angebot annehmen sollen?

Bosz: Es ergibt keinen Sinn, darüber nachzudenken. Ich hatte eine sehr gute Zeit in Dortmund. Man sammelt Erfahrungen und dadurch wird man ein besserer Trainer.

Nach Ihrer Zeit beim BVB haben Sie eine Pause von rund einem Jahr eingelegt. Inwiefern waren Sie auch psychisch ausgelaugt von der intensiven Zeit zuvor?

Bosz: Der Trainerberuf ist sehr anstrengend, man ist immer im Tunnel. Zwei Spiele die Woche, rein ins Hotel, wieder raus, immer weiter. Man kann keinen Abstand gewinnen. Man muss sich deshalb vielleicht mal eine Auszeit nehmen, Ruhe gönnen und in den Phasen ohne Job bei Kollegen schauen, was die so machen. Das hat mir gutgetan.

Haben Sie sich damals auch die Sinnfrage gestellt?

Bosz: Ja. Ich habe Kinder, Enkelkinder, eine Frau. Ich will etwas von meinem Leben haben. Nach sechs Monaten fing das Kribbeln aber wieder an und nach sieben oder acht Monaten wollte ich wieder arbeiten.

Sie arbeiten seit 2003 mit einem Sportpsychologen zusammen. Wie wichtig ist das für Sie?

Bosz: Es ist sehr befruchtend. Ich habe zu ihm eine sehr gute Verbindung. Bei anderen Klubs arbeitet der Psychologe mit den Spielern, das will ich nicht. Ich bin derjenige, der mit den Spielern arbeiten muss. Der Psychologe soll dagegen mein Coach sein und mir helfen, mit den Spielern umzugehen oder Probleme zu lösen. Das halte ich für wichtig, einmal pro Monat sehen wir uns.

Sie gelten als großer Musik-Fan. Welche Rolle spielte dies in Ihrer Auszeit?

Bosz: Mein Problem ist: Ich bin nicht musikalisch. Ich habe versucht, Gitarre zu spielen, aber das hat nicht funktioniert. Immerhin spiele ich ein wenig Schlagzeug, hatte zwei Jahre lang Unterricht bei einem Freund. Der hat auch eine DJ-Schule und hat mir das ein bisschen beigebracht. Das geht und das liebe ich. Es steht bei mir zu Hause in Holland.

Welche Art Musik hören Sie gerne - wohl eher nicht die der Spieler?

Bosz: Nein, aber dadurch bleibe ich auch ein bisschen jung. Ich mag RnB, aber das hängt bei mir auch immer von der Stimmung ab. Einmal im Jahr gehe ich mit meinen früheren Fußballkumpels zu einem Dance-Festival oder auch zum Pinkpop-Festival. Es ist mir wichtig, auch mal vom Fußball wegzukommen und diese Kontakte zu halten und zu pflegen.

Herr Bosz, wenn Sie es sich wünschen könnten: Wie sollen Ihre Spieler Sie in Erinnerung behalten?

Bosz: Als ehrlichen Trainer mit einer klaren Idee, der ihnen geholfen hat, bessere Fußballspieler zu werden. Als junger Trainer hatte ich keine Ahnung. Ich habe alles aus dem Bauch heraus gemacht, nur nach Gefühl. Erst später habe ich mich entwickelt, auch durch meinen Sportpsychologen. Ich habe versucht, von Spitzenkräften aus unterschiedlichen Bereichen zu lernen. Das hat mir geholfen. Der Fußball hat sich so rasant entwickelt. Ich bin 1980 Profi geworden, mein Trainer hatte noch einen Masseur und einen Zeugwart. Die drei haben den gesamten Laden geschmissen.

Mit den Erfahrungswerten und dem Wissen von heute: Welchen Tipp würden Sie einem jungen Trainer geben?

Bosz: Sei du selbst! Versuche, deinen eigenen Stil zu entwickeln und nicht, andere zu kopieren. Sei kein Guardiola oder Klopp. Spieler durchschauen sofort, wenn man nur eine Rolle spielt. Entwickle eine Philosophie und bleibe dabei. Man muss dazulernen, aber man muss auch auf seinem Weg bleiben - und Spaß haben. Ohne Spaß? Vergiss es!

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