Axel Witsel vom BVB im Interview: "Ich habe oft geweint, weil mein Vater so hart zu mir war"

Von David Binder
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Während dieser Zeit haben Sie eine unschöne Geschichte mit Ihrer Tochter erlebt.

Witsel: Ja, leider. Mai-Li hatte plötzlich Schmerzen im Bauchbereich, deshalb bin ich mit ihr ins internationale Krankenhaus von Tianjin gefahren. Sie hatte eine Blockade, dem Krankenhaus fehlten aber die zur Behandlung notwendigen Geräte. Ich hatte zwei Optionen: ins chinesische Krankenhaus in Tianjin zu fahren oder zum internationalen nach Peking, das zwei Autostunden entfernt war. Dazu fehlte aber die Zeit, weil es sehr gefährlich hätte werden können. Also bin ich zu dem kleinen chinesischen Krankenhaus. Es waren unvorstellbar viele Menschen dort. Man musste ein Ticket ziehen und warten wie auf dem Amt. Für mich war das völlig verrückt. Es dauerte zwei, drei Stunden, bis es zwei oder drei Uhr in der Nacht war. Mai-Li hatte starke Schmerzen und hat geweint, ich hatte währenddessen unsere jüngere Tochter Evy im Arm. Um drei Uhr bin ich mit der Kleinen nach Hause gefahren und meine Frau ist mit Mai-Li im Krankenhaus geblieben. Am nächsten Tag hatten wir ein Auswärtsspiel und ich hätte eigentlich zusammen mit dem Team dorthin fliegen müssen.

Axel Witsel: "Geld ist zwar wichtig, aber nicht alles"

Wie ging es weiter?

Witsel: Irgendwann ist meine Tochter endlich drangekommen, meine Frau musste während der Behandlung draußen bleiben. Am Ende hatten die Ärzte glücklicherweise die benötigten Geräte und Mai-Li ist am nächsten Tag wieder nach Hause gekommen. Ich habe dem Trainer noch in der Nacht eine Nachricht geschrieben, er hatte Verständnis. Nach diesem Erlebnis habe ich zu meiner Frau gesagt, dass ich noch die WM spiele und dass wir dann nach Europa zurückkehren. Geld ist zwar wichtig, aber nicht alles. Es bringt dir nicht immer Glück und Freude.

Ist Ihre Tochter wieder gesund?

Witsel: Ja. Vor der WM hat sich die Nationalmannschaft in Belgien getroffen. Da haben wir Mai-Li noch einmal durchchecken lassen und Gott sei Dank war alles in Ordnung. Wir mussten danach nur ein Jahr lang ihre Körpertemperatur beobachten. Für meine Familie würde ich alles tun. Wenn wir in Belgien sind, laden wir immer meine Eltern und Schwiegereltern ein, die ganze Familie. Ich habe während der Saison nicht so viel Zeit, aber wenn die Möglichkeit da ist, sind wir alle zusammen in unserem Haus, mit 40, 50 Menschen. Ich liebe diese Momente mit meiner Familie.

Axel Witsel erklärt seinen Wechsel zum BVB

Durch den Wechsel nach Dortmund sind Sie wieder deutlich näher an Ihrer Heimat. Wie kam es, dass Sie beim BVB landeten?

Witsel: Zuerst ist Michael Zorc auf mich zugekommen, danach hat mich Lucien Favre angerufen. Ich hatte auch andere Angebote, hätte vielleicht nach Paris oder Manchester gehen können, aber ich wollte nicht abwarten. Ich hatte das Gefühl, dass ich für Dortmund die erste Wahl war. Es ist wichtig, dass man ein gutes Gefühl hat, wenn man zu einem neuen Verein geht. Nach Gesprächen mit Zorc, Favre und Hans-Joachim Watzke habe ich mich entschieden. Dortmund ist ein Top-Klub und ich wollte unbedingt zu einem europäischen Top-Klub, weil es mit 29 Jahren vielleicht meine letzte Chance war. Die Verhandlungen mit Tianjin waren nicht einfach, aber am Ende hat alles funktioniert.

Inwieweit war Ihre Karriere geplant?

Witsel: Man kann eine Karriere nicht planen. Ich hätte mir auch vorstellen können, fünf Jahre bei Benfica zu bleiben, war aber nur ein Jahr dort. Als ich nach Dortmund ging, hatte ich allerdings schon einen Plan. Ich habe für vier Jahre unterschrieben und möchte diese vier Jahre auch beim BVB bleiben, vielleicht sogar länger. Ich bin viel herumgekommen. Deshalb ist es jetzt gut für mich und meine Familie, hier zu bleiben. Dortmund ist nicht die schönste Stadt der Welt, für uns aber der perfekte Ort, weil es nur zwei Autostunden von Belgien entfernt ist. Von China aus waren es noch elf Stunden mit dem Flugzeug.

Axel Witsel spielt seine zweite Saison bei Borussia Dortmund.
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Axel Witsel spielt seine zweite Saison bei Borussia Dortmund.

Witsel über seine erste BVB-Saison, Hummels und Ballverluste

Wie blicken Sie mittlerweile auf die vergangene Saison zurück?

Witsel: Es war eine Top-Saison, wir waren nah dran. Natürlich ist es schade, dass es mit der Meisterschaft nicht geklappt hat, trotzdem müssen wir einfach das Positive aus dieser Zeit mitnehmen. Ich war noch nie in einer Mannschaft mit so vielen jungen, talentierten Spielern. Am Ende eines Meisterschaftsrennens ist Erfahrung sehr wichtig - und davon hatte Bayern einfach mehr. Nun sind wir dank der Neuzugänge noch stärker.

Mit Mats Hummels ist ein Führungsspieler hinzugekommen.

Witsel: Ich bin froh, dass er da ist und davon überzeugt, dass er sehr wichtig für uns sein wird. Mats hat viel Erfahrung und bereits viele Titel gewonnen. Ein Verein wie Dortmund muss Titel gewinnen. Mats ist ein super Typ und ein weiterer Leader. Einen Typen wie ihn haben wir gebraucht.

Was wollen Sie persönlich in der aktuellen Saison besser machen?

Witsel: Ich hasse Ballverluste. Wenn ich den Ball in einem Spiel zwei oder drei Mal verliere, ist mir das zu viel. Da mache ich mich im Nachgang verrückt und frage mich, warum mir das passiert ist. So war ich schon immer. Während des Spiels versuche ich aber, cool und ruhig zu bleiben. Das ist meine Art.

Witsel: "Sie würden mich als Schlaftablette beschreiben"

Cool und ruhig - würden Ihre Freunde Sie so auch als Person abseits des Platzes beschreiben?

Witsel: Die würden mich wahrscheinlich als Schlaftablette beschreiben. Ich bin sehr ruhig, brauche für viele Dinge ein bisschen länger. Ich bin immer relaxed, ein Familienmensch. Ich wüsste nicht, warum ich nervös oder angespannt sein sollte.

Sie engagieren sich für Action Damien, eine belgische Stiftung, die sich für den Kampf gegen Lepra und Tuberkulose einsetzt. Warum tun Sie das?

Witsel: Weil ich in meinem Leben viel Glück hatte und mir Gott viel geschenkt hat. Wenn du viel bekommst, musst du auch viel zurückgeben. Das ist mir sehr wichtig und das mache ich bei mehreren Organisationen. Ich verstehe nicht, wie Menschen, die viel bekommen haben, nichts zurückgeben können. Das ist für mich ein Unding. Ich sehe das als meine Pflicht an. Ich kann vielen Leuten helfen - und es brauchen viele Leute Hilfe, weil sie zum Beispiel eine Krankheit haben. Ich bin froh, dass ich helfen kann.

Müssten mehr Personen des öffentlichen Lebens ihrer sozialen Verantwortung nachkommen?

Witsel: Jeder kann mit seinem Leben, Image oder Geld machen, was er will. Das ist eine individuelle Entscheidung. Ich persönlich sehe es so, dass man nicht nur nehmen kann, sondern auch geben muss. Ich sage ja nicht, dass man übertreiben muss. Wenn man jedoch die Möglichkeiten hat, zu helfen - sei es mit Geld oder dadurch, dass man selbst nach Afrika reist und Menschen in Not hilft -, dann sollte man sie wahrnehmen. Entscheidend ist die Geste. Wenn man Menschen eine helfende Hand reichen kann, muss man das auch tun.