Uli Hoeneß verabschiedet sich nach über 40 Jahren als Bayern-Boss: Verhasst, verehrt, verurteilt

Von Dennis Melzer
Uli Hoeneß ist mittlerweile Präsident des FC Bayern München.
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Je mehr sich die finanzielle Situation bei den Münchnern verbessert, desto polarisierender wird der Klub in der Bundesrepublik wahrgenommen. Entweder man ist Bayern-Fan oder man hasst die Bayern. Stellvertretend für die Abneigung gegen den Klub steht Hoeneß. Erfolgsmensch und Macher für die einen, der Inbegriff des bösen Fußball-Bonzen für die anderen. Bei einem Gastspiel der Bayern Ende der 1980er in St. Pauli, der antikapitalistischen Bastion, bewerfen Fans der Kiezmannschaft Hoeneß beispielsweise mit Münzen, um ihrer Verachtung Ausdruck zu verleihen. Die Botschaft: Wir, die Kleinen, gehen wegen der voranschreitenden Kommerzialisierung des Fußballs unter, während Ihr, die Großen, immer reicher und mächtiger werdet.

Tatsächlich stehen die Hamburger einige Jahre später, 2003, vor dem Bankrott, vor dem Absturz ins Bodenlose. 1,9 Millionen Euro müssen die ohnehin schon hoch verschuldeten Braun-Weißen für die Erlangung der Drittligalizenz aufbringen. Eine T-Shirt-Kampagne spült zwar unerwartet viel Geld in die klammen Kassen, die Existenz ist allerdings weiterhin bedroht. Wie das Schicksal so spielt, springt ausgerechnet Hoeneß den Hanseaten zur Seite, sagt sofort zu, als Pauli-Boss Corny Littmann ihn um ein Benefizspiel bittet. 200.000 Euro spielt die Begegnung am Millerntor ein. Im Anschluss, als Hoeneß im Kampagnen-Shirt mit der Aufschrift "Retter" winkend seine Stadionrunde dreht, fliegen ihm keine Münzen, sondern die Herzen der Zuschauer entgegen. Hoeneß, der Aufrichtige, Hoeneß, der Gütige, gefeiert vom "Klassenfeind".

"Er kommt aus einer Metzgerfamilie, er war immer sehr bodenständig, ein Familienmensch", weiß Augenthaler. Hoeneß' wohltätige Ader, die immer wieder pulsiert, wenn es darum geht einen taumelnden Klub zu unterstützen oder einem gefallenen Spieler unter die Arme zu greifen, fußt nicht auf Kalkül. Sie zeigt schlicht die andere Seite des Managers, der während seiner Karriere so häufig aneckt.

Allseits bekannt ist die Fehde zwischen ihm und Christoph Daum, die früh ihren Anfang nimmt und eskaliert, als Hoeneß dem designierten Bundestrainer Kokain-Missbrauch vorwirft. Anfeindungen aus ganz Fußball-Deutschland und am Ende die Gewissheit, dass es sich nicht um haltlose Vorwürfe, sondern um die Wahrheit handelt. Ein anderer, jahrelanger Lieblingsfeind ist Bremen-Manager Willi Lemke, der immer wieder Spitzen in Richtung Deutschlands Süden richtet. Durch diesen habe Hoeneß "hassen gelernt", Lemke sei "der Erste, der nachher die Hand aufhält. Nur die Prügel, die lässt er gerne den Hoeneß einstecken, das Geld, das steckt er ein. Der ist nicht ernstzunehmen."

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Hoeneß' legendäre Wutrede

Doch Hoeneß legt sich nicht nur mit Verantwortlichen anderer Vereine an, auch in den eigenen vier Wänden weht bisweilen ein rauer Wind, wenn er in Fahrt kommt. Auf den Vorwurf eines Mitgliedes bei der Jahreshauptversammlung 2007, in der Allianz Arena herrsche maue Stimmung, weil man sich im Verein mehr um die hummerverzehrenden VIPs in den Logen kümmere als um die Basis, hält Hoeneß seine legendäre Wutrede: "Für die Scheiß-Stimmung seid Ihr doch verantwortlich, nicht wir", brüllt er ins prallgefüllte Paulaner am Nockherberg und führt aus: "Wir reißen uns für Euch den Arsch auf. Dafür lassen wir uns nicht an die Wand stellen. Was glaubt Ihr eigentlich, wer Euch das alles finanziert? Die Leute aus den Logen, denen wir die Gelder aus der Tasche ziehen. Das Stadion hat 350 Millionen gekostet, das ist mit sieben Euro Eintritt nicht zu finanzieren. Ihr wollt Ribery und Toni, aber keinen Champagner in den Logen."

Worte, die beim viel zitierten kleinen Mann auf Unverständnis stoßen und nicht wenige Empfänger dazu veranlassen, Hoeneß Arroganz und Ignoranz vorzuwerfen. Andererseits auch eine Emotionalität, die kaum jemand im Business vorzuweisen vermag. Ein weiteres Beispiel für die vielleicht beispiellose Polarisierung. Genau deshalb seien die Bayern eben auch interessanter als andere Vereine. "Es gab viele Klubs in großen Städten, die Möglichkeiten hatten wie der FC Bayern", sagt Hoeneß. "Ich denke da an Hamburg, Köln, Stuttgart, Frankfurt, Berlin. Oder an 1860! In der 60er Jahren war Sechzig in München der große Verein."

Ähnlich sieht es auch Junghans: "Eigentlich hatten viele Vereine damals den gleichen Grundstock und ähnliche Voraussetzungen, um erfolgreich zu sein. Aber Uli Hoeneß hat es mit dem FC Bayern geschafft, weil er ihn immer wieder neu belebt und angekurbelt hat. Es gab bei den Bayern keinen Stillstand, deshalb hat sich der Klub so gut entwickelt." Nein, Stillstand gibt es dort nicht. Den gibt es auch um Uli Hoeneß nicht.

Uli Hoeneß, der Steuersünder

Ein Stern-Bericht zu Beginn des Jahres 2013 wird ihm, mittlerweile nicht mehr Manager, sondern Präsident, zum Verhängnis. "Ein Spitzenvertreter der deutschen Fußball-Bundesliga" habe bei der Schweizer Privatbank Vontobel ein Nummernkonto. Darauf befände sich ein dreistelliger Millionenbetrag. Versteckt. Besagter "Spitzenvertreter" ist Hoeneß. Der zeigt sich daraufhin selbst an und tritt eine mediale sowie juristische Lawine los, die ihresgleichen sucht.

Mehr und mehr verdichten sich die Hinweise darauf, dass ausgerechnet er, der sich nicht selten als Moralapostel aufgespielt hat, der stets für Ehrlichkeit eingetreten war, wissentlich Steuern hinterzogen und somit alle hinters Licht geführt hat. Es wird das Bild eines krankhaften Börsenzockers gezeichnet, der Geldbeträge jenseits aller Vorstellungskraft hin und her manövriert.

"Es war der Kick, pures Adrenalin", gibt er damals in einem umfangreichen Interview mit der Zeit zu. Er habe "all die Jahre ein schlechtes Gewissen wegen dieses Kontos in der Schweiz" gehabt. Hoeneß gibt sich reumütig, berichtet von schlaflosen Nächten und der "Hölle", als plötzlich eine Delegation der Polizei vor seinem Haus am Tegernsee aufschlägt und selbiges mittels richterlichem Bescheid durchsucht, dabei Handys und Computer einkassiert.

"Bis zu diesem Morgen dachte ich, ich habe ein Steuerproblem, aber kein strafrechtliches Problem. Ich war in keiner Weise darauf vorbereitet. Ich war mir todsicher, dass ich das irgendwie alleine hinkriege." Der Haftbefehl ist mit Fluchtgefahr begründet und wird gegen eine Kaution von fünf Millionen Euro außer Vollzug gesetzt. Hoeneß ist zunächst auf freiem Fuß, darf Anfang Juni den größten Erfolg der Geschichte "seines" Klubs miterleben, als die Bayern in London die Champions League holen. Einen Tag später steht er stolz auf dem Marienplatz, viele würden ihn lieber hinter Gittern sehen.

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Tränen, Rücktritt, Gefängnis, Freilassung

Im November jenen Jahres bricht er auf der Jahreshauptversammlung in Tränen aus, gerührt von dem Zuspruch, den er im eigenen Lager erfährt. "Uli Hoeneß, Du bist der beste Mann", schallt es durch den Audi Dome im Münchner Westen. "Ich habe einen großen Fehler gemacht, zu dem ich stehe", sagt er und prophezeit mit Hinblick auf den bevorstehenden Prozess gegen ihn: "Ich möchte Ihnen das Recht geben zu entscheiden, ob ich noch der richtige Präsident für diesen Verein bin."

Die Frage beantwortet er einige Monate später selbst: Er tritt zurück, nachdem er vom Landgericht München wegen Steuerhinterziehung von mindestens 28,5 Millionen Euro zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Am 2. Juni, ironischerweise exakt ein Jahr nach der Triple-Ekstase auf dem Marienplatz, tritt er seine Haft im Gefängnis von Landsberg am Lech an.

Schon zu Beginn des darauffolgenden Jahres ist Hoeneß Freigänger, muss nur noch zum Übernachten in die JVA. Tagsüber arbeitet er in der Jugendabteilung des FC Bayern. 2016 wird er vorzeitig aus der Haft entlassen, mit einer Bewährungszeit von drei Jahren, die im März 2019 fristgerecht erlassen wird. In der Zwischenzeit war er mit 98,5 Prozent der Mitgliederstimmen erneut zum Präsidenten des FC Bayern gewählt worden.

Uli Hoeneß wäre aber nicht Uli Hoeneß, wenn er es dabei belassen, sich demütig in Schweigen bezüglich seiner Verurteilung gehüllt hätte. Stattdessen sorgt er 2017 bei einem Vortrag in einem Liechtensteiner Restaurant mit einigen Aussagen für Furore. "Ich bin der einzige Deutsche, der Selbstanzeige gemacht hat und trotzdem im Gefängnis war", wettert er. "Ein Freispruch wäre völlig normal gewesen. Aber in diesem Spiel habe ich klar gegen die Medien verloren."

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Uli Hoeneß: Der König der Presseschelten

Die Medien, die er im Oktober 2018 abermals angreift, gemeinsam mit Rummenigge, der Artikel 1 des Grundgesetzes zitiert, die angeblich fehlende Medien-Ethik in Verbindung mit der Berichterstattung rund um seinen FC Bayern anprangert. Eine insgesamt groteske Veranstaltung, die Wellen schlägt, aber nicht Hoeneß' letzter Rundumschlag gegen die Presse bleibt. Vor wenigen Wochen, nach einem handelsüblichen Champions-League-Gruppenspiel gegen Belgrad, bemängelt er die fehlende Unterstützung der "süddeutschen Presse" für Torhüter Manuel Neuer. Dieser hatte sich zuvor einen eigentlich recht harmlosen Schlagabtausch mit seinem Konkurrenten ums DFB-Tor, Marc-Andre ter Stegen, geliefert.

Zu jenem Zeitpunkt ist bereits klar, dass Hoeneß' Regentschaft nach über 40 Jahren endet. Im Sommer hatte er bekanntgegeben, bei der Jahreshauptversammlung am Freitag nicht erneut als Präsident kandidieren zu wollen. Auch auf das Amt als Aufsichtsratvorsitzender verzichtet er fortan, bleibt dem Kontrollorgan lediglich als Mitglied bis mindestens 2023 erhalten.

Der Abschied durchs "große Tor"

"Durchs große Tor" wolle er seinen Herzensklub verlassen, prophezeit Hoeneß auf seiner letzten großen Pressekonferenz Ende August. Um das zu ermöglichen, verlegt der FC Bayern das alljährliche Großereignis aus dem Audi Dome in die Münchner Olympiahalle. "Ich habe gehört, dass die Olympiahalle auseinanderplatzen wird", sagt er im Anschluss ans 4:0 gegen Dortmund am vergangenen Samstag. "Es werden 10.000 Mitglieder erwartet. Da wird einiges zu erwarten sein."

Dessen darf man sich gewiss sein. Wenn Hoeneß, der ankündigt, am Freitag eine freie Rede zu halten, deren Vorbereitung sicherlich "schlaflose Nächte" koste, seine beispiellose Karriere ein letztes Mal vor der Mitgliedern Revue passieren lässt. Er, der aus zwölf Millionen Mark 750 Millionen Euro machte. Er, der während seiner mit kurzer Unterbrechung 40 Jahre andauernder Funktion als Boss über 50 Titel einheimste, er, ohne den der deutsche Rekordmeister heute vielleicht nicht FC Bayern München heißen würde.

Augenthaler dazu: "Das ist einzig und alleine Uli Hoeneß' Verdienst. Der Weg, den die Bayern eingeschlagen haben, fußte auf seinen Ideen. Immer schon."

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