Leon Goretzkas erste Saison beim FC Bayern: Per Achterbahn zum Gipfel?

Von Dennis Melzer
Leon Goretzka bejubelt den vermeintlichen Siegtreffer in Leipzig. Seinem Tor wurde wegen Abseits die Anerkennung verweigert.
© getty

Fast hätte Leon Goretzka den FC Bayern München in Leipzig zur erneuten Meisterschaft geschossen. Das aberkannte Tor steht sinnbildlich für eine Saison mit Höhen und Tiefen des Ex-Schalkers.

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Der Himmel über Leipzig hatte an diesem Samstag ganztägig seine Pforten geöffnet. Ununterbrochen regnete es auf den Rasen der Red Bull Arena, was Leon Goretzka eine freudige Rutschpartie auf Knien ermöglichte.

Wenige Augenblicke zuvor hatte der Mittelfeldspieler den FC Bayern per sehenswertem Scherenschlag in Führung geschossen. Ein Treffer, der die Tür zur siebten Meisterschaft in Folge ganz weit aufgestoßen hätte.

Hätte. Denn, als sich die beiden Teams längst wieder sortiert hatten, die Roten Bullen in Begriff waren, den Anstoß auszuführen, bekam Schiedsrichter Manuel Gräfe aus dem Videokeller in Köln die Information aufs Ohr, dass Robert Lewandowski bei der Entstehung des Tores im Abseits gestanden haben soll. Die Bilder bewiesen, dass es sich dabei um eine Millimeterentscheidung handelte. Zum Leidwesen Goretzkas.

Leon Goretzka: "... und du stehst wie der letzte Idiot da"

"Bei meinem Tor weiß ich nicht, wie viel Abseits es war, aber das ist natürlich extrem bitter. Da freust du dir einen Ast und dann wird es zurückgepfiffen und du stehst wie der letzte Idiot da", klagte der Nationalspieler im Anschluss an die Partie im Gespräch mit dem Bayrischen Rundfunk und legte später beim ZDF nach: "Das war ein ganz besonderer Moment. Du hast das Gefühl, dass du deine Mannschaft im ersten Jahr zur Meisterschaft schießt, dann wird das Tor aberkannt. Das ist ganz schwer zu verarbeiten."

Eine achterbahnartige Gefühlsfahrt zwischen Freud und Leid, die die Premierenspielzeit des im vergangenen Sommer vom FC Schalke nach München gewechselten 23-Jährigen widerspiegelt.

Neuzugang Leon Goretzka: offen, meinungsstark, selbstkritisch

Trotz der enttäuschenden WM in Russland, die für Goretzka und die deutsche Nationalmannschaft nach der Vorrunde ein frühes Ende gefunden hatte, präsentierte sich der gebürtige Bochumer selbstbewusst in seiner neuen Wahlheimat und machte bei seiner Vorstellung an der Säbener Straße gleich klar, dass er sich in Zukunft als Führungsspieler beim deutschen Rekordmeister sieht.

Eine Rolle, die ihm - so muss man nach einer Spielzeit kolportieren - durchaus zuzutrauen ist.

Obwohl Trainer Niko Kovac in der Hinrunde bis zum Krisen-Herbst recht unregelmäßig auf Goretzka in der Startelf gebaut hatte, ein zwischenzeitliches Linksverteidiger-Experiment gegen den FC Augsburg nach nur einer Halbzeit als gescheitert deklariert wurde: Er scheute den Kontakt zur in München traditionell kritischen Presse nie, gab sich meinungsstark, wenn etwas nicht nach seinem Geschmack lief und präsentierte sich selbstkritisch, sofern er an seiner eigenen Leistung etwas auszusetzen hatte.

Goretzka: Starker Rückrundenstart und Kaum-Berücksichtigung

Der eigentliche Durchbruch bei seinem dekorierten Neu-Arbeitgeber gelang quasi mit Anpfiff der Rückrunde, als er beim 3:1-Erfolg in Hoffenheim seinen ersten Doppelpack im Bayern-Dress beisteuerte und im Laufe der zweiten Saisonhälfte vier weitere Tore nachlegen sollte. Trotz der ansteigenden Formkurve fand sich Goretzka plötzlich aber wieder häufiger auf der Bank wieder.

Im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League, als der FCB gegen Liverpool mutlos agierte, setzte Kovac erst auf ihn, als das Aus nicht mehr abzuwenden war, im wichtigen Duell mit Meisterschaftskonkurrent Borussia Dortmund reichte es nur für wenige Minuten.

Die darauffolgenden Bundesliga-Partien gegen Düsseldorf und Bremen sowie das DFB-Pokal-Halbfinale bei den Hanseaten hielten ebenfalls nur Kurzeinsätze bereit. Viermal in Serie war Goretzka Anfang bis Mitte April gezwungen, seinen Teamkollegen zunächst von draußen zuschauen zu müssen. Weil es seit der Gala gegen den BVB auch ohne ihn reichte.

Bayern-Trainer Kovac: "Mit Leon ist es sehr, sehr schwierig"

Kovac schien beinahe damit zu hadern, dass er so selten auf Goretzka zurückgriff. "Mit Leon ist es sehr, sehr schwierig", sagte der Kroate und ergänzte: "Er hat eine sehr gute Entwicklung genommen und sehr viele, sehr gute Spiele gemacht und Tore erzielt." Besonders mit Hinblick auf den Kantersieg über Dortmund, bei dem neben Goretzka auch James Rodriguez Opfer einer taktischen Umstellung geworden war, führte Kovac aus: "Bei dem Ergebnis fragt man sich schon: 'Warum sollte ich etwas ändern?'"

Das tat er dann aber doch. Beim 1:1 in Nürnberg kam Goretzka über die volle Distanz zum Einsatz, eine Woche später steuerte er gegen Hannover einen Treffer bei. Als wolle er seinem Coach an der Seitenlinie zeigen, dass er auf den Platz und nicht auf die Bank gehört, schlug er sich danach auf die Brust und deutete mit den Fingern aufs Spielfeld.

Eine Geste, die "jeder für sich interpretieren" könne, wie er in der Mixed-Zone der Allianz Arena sagte. Eine Geste, die symbolträchtig daherkam und klare Ansprüche vermitteln sollte. Ein bisschen gesunder Egoismus, Ehrgeiz zeigen.

Leon Goretzka: Bilanz seiner ersten Bayern-Saison

WettbewerbSpieleToreAssistsGelbe KartenMinuten
Bundesliga298531982
DFB-Pokal5121349
Champions League6---325
Super Cup1---26

Kovac: "Er ist ein toller Mensch und hat einen tollen Charakter"

In dem Wissen, dass er bei seinem Übungsleiter - trotz zeitweiliger Spielminuten-Ebbe - hoch im Kurs steht. "Er ist ein toller Mensch und hat einen tollen Charakter", schwärmte Kovac unlängst über Goretzka. "Er ist auf dem Teppich geblieben und stellt sich in den Dienst der Mannschaft. Wann immer er gespielt hat, hat er gute bis sehr gute Leistungen gezeigt. Klar gab es mal eine Phase, in der er nicht von Beginn an gespielt hat, aber er kam immer wieder rein. Nicht, weil er ein netter Mensch, sondern weil er ein guter Fußballer ist."

Auf seine fußballerischen Qualitäten dürfte es auch beim entscheidenden Showdown gegen Eintracht Frankfurt ankommen. Die SGE habe "auch immer ein Messer zwischen den Zähnen", wie Goretzka im Bauch der Leipziger Spielstätte prophezeite, ehe er auf dem Rückweg von Sachsen nach München via Twitter den Nachmittag an der Pleiße mit einem simplen "Hmpf" Revue passieren ließ.

Allzu naserümpfend muss er jedoch nicht auf seine erste Bayern-Saison zurückblicken. Mit acht Pflichtspieltoren sowie fünf Vorlagen belegt er in der internen Topscorer-Liste den dritten Rang. Auch wenn ihm dieser "besondere Moment", Bayern im ersten Jahr zur Schale zu schießen, in Leipzig noch nicht vergönnt war. Kurz vor dem Ende ist Goretzkas persönlicher Achterbahnwagen knapp unter dem Gipfel angelangt. Schafft er auch die letzten Meter?