Sandro Schwarz vom 1. FSV Mainz 05 im Interview: "Ein Trainer sollte auch die Journalisten mitnehmen"

Sandro Schwarz ist seit Mai 2017 Trainer beim 1. FSV Mainz 05.
© getty

Sandro Schwarz ist gebürtiger Mainzer, spielte sieben Jahre Profifußball für den FSV und kehrte 2013 als Trainer wieder zu seinem Heimatverein zurück. Seit Ende Mai 2017 ist Schwarz Chefcoach der ersten Mannschaft der 05er, kürzlich wurde der Vertrag des 40-Jährigen um zwei Jahre bis Juni 2022 verlängert.

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Im Interview mit SPOX und Goal spricht Schwarz über das Stahlbad, durch das er als Trainer in seinem ersten Bundesligajahr gehen musste und erklärt, weshalb die Kritik an ihm berechtigt war. Zudem äußert sich Schwarz detailliert über das veränderte Mainzer Spiel, seine Beschwerde hinsichtlich Pressekonferenzen und erklärt, wie unterschiedlich ein Trainer denkt.

Herr Schwarz, im Vorjahr erlebten Sie Ihre erste Saison als Bundesligatrainer - und die war für den 1. FSV Mainz 05 äußerst intensiv: der unruhige Wechsel in der Führungsebene, der Kampf gegen den Abstieg, die dauerhafte Kritik an Ihnen. Wie wichtig war es, dieses Stahlbad überstanden zu haben?

Sandro Schwarz: Wenn mir jemand vorab gesagt hätte, dass es so steinig, aber am Ende auch so erfolgreich werden würde, hätte ich sofort unterschrieben. Das war die beste Erfahrung, die ich machen konnte - gerade mit der Umstrukturierung als Verein, gemeinsam die Dinge zu meistern und die richtigen Schlüsse daraus abzuleiten. Es war ein außergewöhnliches Jahr mit dem krönenden Abschluss, erstmals als Mainz 05 in Dortmund zu gewinnen und dort den Klassenerhalt zu feiern.

Zwischenzeitlich wäre es aufgrund der bedrohlichen Lage nicht überraschend gekommen, wenn man Sie entlassen hätte. Wie kurz waren Sie selbst davor hinzuwerfen?

Schwarz: Es ging mir nie um mich. Ich wollte nicht aufgeben und bin nicht ein einziges Mal nach Hause gefahren mit dem Gefühl, von Fans oder Journalisten ungerecht behandelt worden zu sein. Es war doch absolut berechtigt, dass ich in der Kritik stehe, wenn wir zwei emotionale Derbys wie gegen Frankfurt derart verhauen.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich im Trainingslager in Spanien mit Sandro Schwarz.
© spox
SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich im Trainingslager in Spanien mit Sandro Schwarz.

Hat Sie also nichts an dieser Situation geärgert?

Schwarz: Doch. Ganz besonders, dass wir unsere Spielweise nicht auf den Platz bekommen haben. Das ist mir sehr wichtig: Ich will, dass wir unsere Spielweise total verinnerlichen und dass man uns das ansieht. Die ersten Schritte dahin haben wir nun in dieser Saison gemacht.

Mitten im Abstiegskampf gab es Ende März 2018 einen Schulterschluss mit den Fans, es kam zu einer Aussprache vor über 600 Leuten. Sie sind dabei sehr emotional geworden - und haben die Anhänger letztlich genau deshalb von sich überzeugt. Wieso hatten die von Ihnen zuvor ein anderes Bild?

Schwarz: Keine Ahnung. Natürlich haben uns und mir einfach die Ergebnisse gefehlt. Auch die Art und Weise, wie wir manche Spiele verloren haben, hat die Kritik an mir forciert. Ein wesentlicher Punkt war sicherlich auch, dass ich mit unserer U23 im Jahr zuvor abgestiegen bin. Die Fan-Veranstaltung war letztlich der Schlüssel: Dort konnten mich die Leute so kennenlernen, wie ich bin. Es war die beste Plattform, sich zu stellen. Wir haben es am Ende alle gemeinsam geschafft, dass die Stimmung in die richtigen Bahnen gekippt ist.

Hätten Sie rückblickend betrachtet früher Imagepflege für sich betreiben müssen?

Schwarz: Weiß ich nicht. Es war auf jeden Fall in diesem Moment wichtig, dass die Menschen wissen, wie ich als Person und Trainer ticke. Ich konnte dort auch ausführlich erklären, weshalb ich die eine oder andere Entscheidung so getroffen habe. Mittlerweile dürfte jedem klar sein, wie emotional ich sein kann. (lacht)

Wie haben Sie die vergangene Saison, in der Sie auch Vater eines Sohns geworden sind, für sich in der Sommerpause letztlich reflektiert?

Schwarz: Es gab für mich nicht den einen klaren Punkt, den ich zwingend an mir als Trainer verändern wollte. Die Quintessenz der Reflektion, vor allem natürlich auch der gemeinsamen im Trainerteam und mit unserem Sportvorstand Rouven Schröder, war die Kaderplanung. Wir wollten bestimmte Spielerprofile finden und den Kader auch ganz präzise so ausrichten, dass am Ende auch dank der inhaltlichen Trainingsarbeit alle sicher sind: So spielt Mainz 05.

Sandro Schwarz: Seine Trainerkarriere im Überblick

VereinAmtszeit
SV Wehen Wiesbaden (Teamchef)2009
SV Wehen Wiesbaden (Co-Trainer)2009-2010
1. FC Eschborn2011-2013
1. FSV Mainz 05 (U19)2013-2015
1. FSV Mainz 05 (zweite Mannschaft)2015-2017
1. FSV Mainz 05seit 2017

Welche Rolle spielte dabei die Tatsache, dass Sie im Sommer quasi Ihre erste gemeinsame Transferperiode mit Schröder bestritten?

Schwarz: Das weiß ich nicht, auch wenn dieser Prozess natürlich sehr positiv lief. Ich weiß nur, dass auch ich da schon noch viel präziser geworden bin. Ich war mir sehr sicher, was wir beispielsweise auf bestimmten Positionen oder im gruppentaktischen Verhalten wollen und brauchen. In der letzten Saison haben wir alle gemeinsam vielleicht zu sehr auf die Eigenverantwortung der Spieler gesetzt, weil wir dachten, für Bundesligaspieler sind viele dieser spezifischen Dinge ohnehin klar.

So konnten Sie auch die Spielweise Ihres Teams verbessern. Mainz fokussiert sich wieder stärker auf Ballbesitz und Spielentwicklung. Das ist durchaus ungewöhnlich für eine Mannschaft, die antrat, um gegen den Abstieg zu kämpfen.

Schwarz: Unser Anspruch ist auch nicht, Außenseiter-Fußball zu spielen. Wir wollen vielmehr alle Phasen des Spiels abdecken und dafür mit Hilfe unserer Spielprinzipien Lösungsmöglichkeiten entwickeln. Da geht es um die Umschaltmomente nach Ballgewinn und -verlust, den Spielaufbau oder die Standardsituationen. Es ist deshalb nicht so, dass es bei uns nur noch um Ballbesitz und Spielauslösung geht, weil es auch nicht entscheidend ist, ob unsere Ballbesitzwerte immer dieselben sind oder nicht. Der Mut in unserer Spielweise besteht darin, dass wir für jede mögliche Spielphase eine Antwort haben wollen.

Sind diese Spielprinzipien für Sie alle gleichwertig?

Schwarz: Die Basis wird immer die Arbeit gegen den Ball sein: geordnetes Anlauf- und Defensivverhalten, Vorwärtsverteidigen, solche Dinge. Daraus resultiert für uns alles. Wenn wir das Gefühl haben, aktiv drin zu sein im Spiel, aktiv vorwärts zu verteidigen, dann haben wir mit Ball auch gleich eine bessere Dynamik und Intensität in unserem Spiel. Das war unter Wolfgang Frank so, unter Jürgen Klopp und unter Thomas Tuchel - und das ist Mainz 05. Würde eines der Prinzipien lauten, gegen den Ball nur tief zu stehen und Passwege zu schließen, hätten wir in der Umschaltbewegung eine deutlich geringere Dynamik und das entspräche nicht unserer DNA.

Frank, Klopp und Tuchel waren allesamt Weggefährten von Ihnen. Was haben Sie mitgenommen?

Schwarz: Ich habe Wolfgang Frank als junger Spieler mit 17, 18 Jahren erlebt. Das war für mich als Mensch und auch als Trainer sehr prägend. Er war wie eine Vaterfigur und hat mich in jeglicher Hinsicht total weitergebracht. Dass er die Viererkette eingeführt und sie auch funktioniert hat, zeigte uns, dass wir durch kluge Taktik auch mit weniger Talent mehr erreichen können. Und er hat uns auch dieselben Videos von Arrigo Sacchi und Ajax Amsterdam bis zum Erbrechen anschauen lassen wie später Kloppo. (lacht) Unter ihm zu trainieren, war ein Schlüsselerlebnis für mich.

Dem FSV ist mit sieben Punkten aus den ersten drei Bundesligaspielen ein hervorragender Start gelungen, doch dann folgten fünf Partien ohne eigenen Treffer und anschließend eine Systemumstellung. Wie kamen Sie als Trainer zu dieser Entscheidung?

Schwarz: Man analysiert wie verrückt. Wir haben versucht, besonders zwischen den Linien mehr Torgefahr zu erzeugen und haben von einem 4-3-3 auf ein 4-4-2 mit Raute, einem Zehner und zwei Stürmern gewechselt. Durch den zweiten Stürmer und den Zehner wurden wir im letzten Drittel gefährlicher, wir wollten aber mit den zwei Achtern und dem Sechser zeitgleich die Physis im Zentrum behalten. Das heißt aber nicht, dass wir nun nur noch in der Raute spielen. Es geht vor allem darum, dass unsere glasklar definierten Prinzipien auch unabhängig von Grundordnungen gelten müssen. Im Hinspiel gegen Dortmund haben wir beispielsweise ein 5-3-2 gespielt, sind aber sehr aktiv geblieben und haben stark vorwärts verteidigt.

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