Trainer Mirko Slomka im Interview: "Den netten Herrn Slomka gibt's bis heute noch"

Mirko Slomka war zuletzt Trainer beim Karlsruher SC.
© getty
Cookie-Einstellungen

SPOX: Wie sieht es mit dem Verfolgen von Eigeninteressen in der geringen Freizeit aus?

Slomka: Ich nahm mir beispielsweise immer vor, mindestens eine Nachrichtensendung am Tag zu schauen, damit man wenigstens einigermaßen Bescheid weiß, was abseits des grünen Rasens noch in der Welt passiert. Man braucht ein gewisses Programm, das für einen gut funktioniert. Bei mir war das vor allem der Sport. Ich bin viel geschwommen und war joggen. Das half mir abzuschalten und mich gleichzeitig wieder mit Energie aufzuladen. Andererseits: Wenn man sich Freiräume schafft, denkt man oft auch, dass dies eigentlich gute Gelegenheiten wären, sich mal mit dem Busfahrer, Zeugwart oder Koch zusammenzusetzen und über deren Befindlichkeiten zu sprechen.

SPOX: Jörg Schmadtke hat gesagt, ein Job als Verantwortlicher eines Bundesligaklubs ist Horror für die eigene Gesundheit. Können Sie das nachempfinden?

Slomka: Ja. Es kann passieren, dass man seine eigene Gesundheit hinten anstellt oder für eine zügige Besserung zu Medikamenten greift. Ich weiß noch, wie wir mittwochs vor meiner Entlassung auf Schalke in Barcelona gespielt haben und es mir die vorherige Nacht über ziemlich dreckig ging. Ich wollte das Spiel natürlich auf keinen Fall verpassen und habe mir ein paar Tabletten eingeworfen, doch das macht den nächsten Tag ja nicht grundlegend besser. Komischerweise war ich aber seltener krank, wenn ich gearbeitet habe. Es ist eher vorgekommen, dass dann in den paar Wochen Urlaub alles herauskam und der Körper gestreikt hat.

SPOX: Ralf Rangnick nennt nach seinem Burnout drei regelmäßige Mahlzeiten am Tag als die größte Veränderung.

Slomka: Häufig isst man tatsächlich mit dem Handy oder einer Zeitung an der Seite. Ich finde, dass man sich da wirklich schützen muss. Lieber eine halbe Stunde früher aufstehen, in Ruhe frühstücken und gedanklich durchgehen, was am heutigen Tag ansteht und besonders wichtig ist. Zeitmanagement eben, es braucht eine Struktur für den Tag.

SPOX: 2006 erreichten Sie mit Schalke das Halbfinale des UEFA-Cups, 2008 das Viertelfinale der Champions League, wurden fast Meister und 2011 führten Sie Hannover auf Platz vier und ins Viertelfinale der Europa League. Zuletzt war in Hamburg und Karlsruhe Abstiegskampf angesagt. Gibt es etwas, dass Sie heute rückblickend anders machen würden?

Slomka: Klar, hinterher ist man meistens schlauer. Dass ich etwa nicht länger in Hannover blieb, war meine eigene Schuld, da ich plötzlich anfing, mit anderen Klubs zu kokettieren. Das sind Lern- und Erfahrungsprozesse, die man einfach durchleben muss. Jetzt empfehle ich jedem jungen Trainer, sich auf den Auftrag im Hier und Jetzt zu konzentrieren, denn der ist immer am wichtigsten.

SPOX: Wie blicken Sie auf das Ende auf Schalke zurück?

Slomka: Die Entlassung kam für die Mannschaft und mich sehr überraschend. Ich wäre gerne noch länger geblieben. Das hat mich auch getroffen, denn wir waren alle gemeinsam auf einem sehr guten Weg. Ich bin nach wie vor überzeugt davon, dass ich überwiegend gute Entscheidungen getroffen habe, was den Umgang mit meinen Mannschaften angeht. Es gibt aber Dinge, die ich heute mit meiner größeren Erfahrung anders machen würde.

SPOX: Welche?

Slomka: Es gibt Stimmen die sagen, wir hätten 2007 Meister werden müssen. In der Trainingswoche vor dem entscheidenden Spiel in Dortmund entschied ich mich, nicht öffentlich zu trainieren. Heute würde ich die Leute mitnehmen und lieber vor 10.000 Fans in der Arena trainieren, die uns richtig heiß machen. Das würde ich mittlerweile als Fehler bezeichnen, denn es ging zu diesem Zeitpunkt nicht mehr um bestimmte Trainingsinhalte, sondern um Motivation, Emotion, Leidenschaft. Dieser Situation trauere ich bis heute etwas hinterher, denn ich wollte mit Schalke unbedingt die Schale holen.

SPOX: Inwiefern beschäftigt es Sie, dass Sie nach über zwei Jahren ohne Job nur drei Monate im Amt waren: Ist das schlecht für den eigenen Ruf?

Slomka: Das ist eine Interpretations- und Betrachtungsfrage. Man kann sagen, dass ich nicht nur das schöne Leben in der Bundesliga suche, sondern mir auch der Gang in die 2. Liga Freude an der Arbeit bereitet, obwohl dort vielleicht schwierige Bedingungen herrschen. Oder man sieht es ausschließlich negativ a la: Jetzt muss er schon 2. Liga machen. Davon lasse ich mich aber kein Stück beeindrucken.

SPOX: Grundsätzlich wird ja eher gerne negativ als positiv interpretiert. Hat das Ihrem Ruf in der Öffentlichkeit geschadet?

Slomka: Mit kritischer Berichterstattung müssen wir als Trainer in diesem Geschäft alle leben, das gehört dazu. Wer sich aber fundiert mit einer Person beschäftigt, bewertet das große Ganze. Da werden ebenso die positiven Aspekte und Leistungen einer gesamten Karriere nicht vergessen. Ich erfahre innerhalb der Branche eine hohe Wertschätzung, auch bei meinen ehemaligen Vereinen. Diese zwischenmenschlichen Beziehungen sind mir auch sehr wichtig.

SPOX: Man beschrieb Sie schon als selbstbewusst, hinzu kommt noch der Ausspruch "Der nette Herr Slomka". Ärgert Sie es, dass die Worte "selbstbewusst" und "nett" so negativ konnotiert zu sein scheinen?

Slomka: Das sollte man alles nicht überbewerten und sich auch nicht ärgern. Den netten Herr Slomka gibt's bis heute noch, aber das ist auch gar nicht schlimm. (lacht) Das kommt noch von meinem ersten Jahr als Cheftrainer auf Schalke, als ich mich von den Spielern duzen ließ. Das war schwierig, denn ich war zuvor eben Assistent und der Großteil der Jungs hatte mich schon geduzt. Damals waren noch eher die härteren Trainer angesagt, so dass es für manche Medien offenbar besonders speziell gewesen sein muss, wenn sich ein Trainer duzen lässt. Das habe ich in der zweiten Saison in "Trainer" oder "Sie" geändert, weil es einfach auch eine gewisse Distanz beinhaltet.

SPOX: Glauben Sie, dass diese Attribute auch einer der Gründe gewesen sein könnte, weshalb sich manche Vereine gegen Sie entschieden haben?

Slomka: Nein. Ich habe in Hannover nach dem Tod von Robert Enke und auch in Hamburg den Klassenerhalt geschafft. Stressresistent bin ich auf jeden Fall. Auch in Karlsruhe hatte ich keine Angst, die Aufgabe nicht bewältigen zu können. Dort waren die Strömungen innerhalb des Vereins aber komplizierter als zum Beispiel beim HSV.

SPOX: Inwiefern?

Slomka: Der HSV ist wie ein schwer beweglicher Tanker, der im Hafen liegt: Alleine kriegt man das nicht hin, sondern braucht ganz viele Leute, die mit anpacken. Beim KSC waren Oliver Kreuzer und ich eher die Einzelkämpfer, die - um im Bild zu bleiben - das Boot justieren und neu ausrichten wollten. Es hatte aber Ecken und Kanten und es wurde aus verschiedenen Richtungen dagegen gerudert. Das hat es damals schwer gemacht, schnell voranzukommen.

SPOX: Es könnte sein, dass die 50+1-Regel gefallen ist oder zumindest modifiziert wurde, wenn Sie Ihren nächsten Verein übernehmen. Würden Sie das begrüßen?

Slomka: Ich finde, dass Martin Kind einen wesentlichen Aspekt angeregt hat, über den man diskutieren muss. Die meisten Vereine haben das auch wohlwollend kommentiert - auch solche, die zuvor meist dagegen waren. Die Vorsicht vor gewissen Investoren ist sicherlich angebracht, allerdings bin ich der Meinung, dass wir künftig die Möglichkeit schaffen sollten, uns zumindest ein bisschen zu öffnen. Ohne die Investitionen von Unternehmen, weniger von Einzelpersonen, werden wir in Deutschland die Top-Spieler möglicherweise nicht mehr bekommen.

Inhalt:
Artikel und Videos zum Thema