SGE-Präsident Peter Fischer im Interview: "Schäme mich für 13 Prozent der Deutschen"

Peter Fischer ist seit 2000 Präsident von Eintracht Frankfurt
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SPOX: In Ihrem Steckbrief auf der Frankfurter Homepage steht unter Hobbies lediglich ein Begriff: Eintracht Frankfurt. Was sind sonst Ihre größten Laster?

Fischer: Mein größtes Laster ist sicherlich das Rauchen, aber darauf bin ich nicht stolz. (lacht) Was ich lieber erwähnen möchte, ist mein Drang nach Verständnis und Bildung. Ich stelle mir schon mal mitten in der Nacht den Wecker und schaue bewusst eine Dokumentation im Fernsehen, weil ich dadurch relativ schnell und komprimiert über ein interessantes Thema informiert werde. Das geht auch mit Hilfe von Büchern. Kürzlich habe ich ein Buch über die Entstehung der Kastensituation in Indien gelesen. Dieses Wissen werde ich vermutlich in meinem ganzen Leben nicht unbedingt brauchen, aber mich interessieren diese Dinge einfach. Dafür muss es nicht immer einen plausiblen Grund geben.

SPOX: Dass die Eintracht als Ihr einziges Hobby angegeben ist, liegt auch am Umstand, dass Sie Anfang der 1970er Jahre Ihre erste Dauerkarte im berühmten G-Block des Waldstadions kauften. Wie sah Ihr Fandasein genau aus?

Fischer: Auslöser war mein Vater, der Eintracht-Fan und 1959 sogar beim Endspiel um die deutsche Meisterschaft zwischen der Eintracht und Kickers Offenbach im Berliner Olympiastadion dabei war. Zehn Jahre später unternahm ich ohne Geld einen Ausflug nach Stuttgart zum Spiel der Eintracht gegen den VfB. Dort kaufte ich mir für drei Mark eine Eintracht-Fahne und stand inmitten von VfB-Fans. Wir haben hoch verloren und mit jedem Gegentor rollte ich die Fahne weiter ein. Das war aber mein Eintracht-Erlebnis schlechthin. Es war der Anfang meiner großen Leidenschaft und Begeisterung. Dazu gehört auch, dass ich einen Kumpel beim Kaufhof hatte, der wusste, wie wir ins Stadion kamen, ohne ein Ticket zu kaufen - und immer wenn ich konnte, war ich mit ihm unterwegs bei den Heimspielen. Mit der Zeit kamen dann auch Auswärtsfahrten in gemieteten Kleinbussen dazu, die Gemeinschaft innerhalb dieser Clique faszinierte mich. Es war ein klassisches Leben als Fan.

SPOX: Aktuell rebellieren die deutschen Fanszenen gegen den DFB, der nun nicht nur zu Gesprächen bereit ist, sondern auch schon ein Umschwenken bei Themen wie Kollektivstrafen ankündigte. Können Sie die Unzufriedenheit in Deutschlands Kurven verstehen?

Fischer: Grundsätzlich schon. Die Kommerzialisierung hat längst gewisse Auswüchse und ja, da gibt es Dinge, die man einfach nicht tun sollte.

SPOX: Heißt?

Fischer: Wenn man so sehr fußballromantisch veranlagt und gegen die Kommerzialisierung ist, dann bleibt heutzutage - und das kann man durchaus bedauern - nur noch der unterklassige Fußball. Im Profifußball wird es nicht mehr die große Fußballromantik geben können. Wir werden in den lukrativen Wettbewerben noch ganz andere Dinge erleben als bisher - und es ist klar, dass darüber natürlich nicht alle glücklich sind.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Fischer: Es gibt in Deutschland drei Gruppen von Vereinen, die wirtschaftlich in einer anderen Liga spielen: Eine bezahlte Gruppe von internationalen Konzernen, eine von reichen Mäzenen und eine von Investoren. Das allein sind schon völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Die Kommerzialisierung hat in diesem Wettbewerb einen Raum eingenommen, der so groß ist, dass man gezwungen ist ihn zu füllen, wenn man sich nicht vom Profifußball abmelden möchte.

SPOX: Das sind Beispiele, die auch die Fans vorbringen. Sie laufen Sturm gegen die Argumentation, man solle sich dem Amateurfußball zuwenden, wenn man die Schnauze voll habe.

Fischer: Man muss Verständnis für die Gedankenwelt dieser meist jungen Fans haben, sie aber gleichzeitig kommunikativ mitnehmen, also ihnen die aktuelle Entwicklung und die Zwänge für die handelnden Personen in einem Verein erklären. Sie müssen verstehen, dass man mittlerweile nur noch unter bestimmten Voraussetzungen gegen die Bayern spielen kann. Das ist natürlich ein längerer Prozess, der Geduld erfordert. Wir müssen aber auch aufpassen, dass der Profifußball nicht zum Event mit Feiercharakter gemacht wird.

SPOX: Wie stehen Sie denn als unmittelbar Betroffener zum Auftritt von Helene Fischer im DFB-Pokalfinale? Ihr Sportvorstand Fredi Bobic hat diesen mit klaren Worten gegeißelt.

Fischer: Es gibt bestimmt Menschen, die solche Events für eine gelungene Idee halten und Gefallen daran finden. Dieses Bild widerspricht jedoch der Idee des ursprünglichen Fußballspiels, dem positiven Fanatismus und dem außergewöhnlichen Engagement, wenn Menschen kreuz und quer durch die Republik fahren und ihr letztes Geld für eine Eintrittskarte hergeben.

SPOX: Dass aber dennoch ein musikalischer Auftritt in der Halbzeitpause eines Fußballspiels durchgewunken wird, empfinden viele Fanszenen nicht nur als Provokation, sondern vor allem als Zeichen des Unverständnisses von Faninteressen. Das erscheint auch nachvollziehbar, oder nicht?

Fischer: Der DFB muss sich den Fragen der Fans stellen und überlegen, was er verändern kann - und das auf einer fairen, sauberen Ebene und in einer langen und offenen Diskussion.

SPOX: Zumal es für beide Seiten ohnehin utopisch ist, nach hundertprozentigen Veränderungen zu streben.

Fischer: Ich bin mir sicher, dass es einen breiten Korridor der Begegnung gibt, in dem geklärt werden kann, was künftig versucht wird, was künftig verändert wird und was weiterhin Bestand haben wird. Diesen Korridor sehe ich als vollkommen problemlos moderierbar an. Wenn diese Gespräche seriös und sachlich geführt werden, halte ich sie für eine große Chance.

SPOX: Ein weiteres Problem, in diesen Tagen umso deutlicher gesellschaftlicher Natur, ist der Rechtsextremismus. Wie viel Sorge macht Ihnen dieser grundsätzliche Rechtsruck, der auch im Fußball eine Schnittmenge findet?

Fischer: Ich schäme mich für rund 13 Prozent der Deutschen, die bei der letzten Bundestagswahl den Rechtspopulisten ihre Stimme gegeben haben. Das Problem des Rechtsextremismus gibt es leider auch in vielen Fanszenen. Leider ist Rechtspopulismus kein Phänomen des Fußballs allein, sondern längst wieder in Teilen unserer Gesellschaft präsent.

SPOX: Es ist einem glücklichen Umstand zu verdanken, dass wir dieses Interview überhaupt führen können. Sie erlebten am 26. Dezember 2004 den Tsunami an der Küste Thailands hautnah mit und konnten Ihre Familie und sich in letzter Sekunde retten. Wie erinnern Sie sich an diesen fatalen Tag?

Fischer: Um acht Uhr Ortszeit hat die Erde gewackelt. Davon wurde ich wach. Ich habe gefrühstückt und ging danach viel früher als üblich an den Strand. Der lag in einer Bucht in Bananenform, an die sich eine Art Berg von 80, 90 Metern Höhe anschließt. Das war der Vorteil dieser kleinen Ecke. Der Druck des Wassers war geringer und wir konnten schnell in die Höhe kommen. Als ich sah, wie das Wasser zurückging, war mir klar, dass es wieder zurückkommen würde.

SPOX: Anschließend engagierten Sie sich für die Opfer und arbeiteten in der Hilfsgemeinschaft "help children of phuket".

Fischer: Ich bin vor Ort geblieben, in unserem Umfeld gab es elf Tote. Wir haben viel Geld gesammelt. Der erste Scheck über 25.000 Euro kam aus der Frankfurter Fankurve. Damit ließen wir zum Beispiel Schulen aufbauen, die fast alle in der Nähe des Meeres standen. Die Tragödie ereignete sich an einem Sonntag, so dass kein Schulbetrieb war. Ich will mir gar nicht ausmalen, was das ansonsten für Ausmaße angenommen hätte.

SPOX: Aus der heutigen Warte heraus betrachtet: Was hat dieser Tag mit Ihnen gemacht?

Fischer: Er hat mich nicht total verändert. Die Endlichkeit des Lebens ist mir in dieser Situation jedoch intensiv wie selten bewusst geworden. Solche Tragödien können jeden von uns irgendwann und irgendwo treffen. Die Bilder der toten Menschen, die bekomme ich nicht mehr aus meinem Kopf, aber ich habe auch ein Stück weit von den Buddhisten und ihrem Umgang mit der Tragödie und der Trauer gelernt.

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