Fußballgott in the making

Von Christoph Sahler
Marc Stendera ist zurück auf dem Platz
© getty

Marc Stendera ist bei Eintracht Frankfurt zurück auf dem Platz. Nachdem der 21-Jährige auch seinen zweiten Kreuzbandriss überstanden hat, stand er zuletzt wieder zweimal in Folge in der Startelf und schreckt nicht davor zurück, künftig noch mehr Verantwortung zu übernehmen.

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Das Rückspiel der Relegation 2016 zwischen dem 1. FC Nürnberg und Eintracht Frankfurt war erst zehn Minuten alt, da blieb Marc Stendera im Rasen hängen. Nach dem 1:1 im Hinspiel in Frankfurt hatte Stendera den Vorzug vor Marco Fabian erhalten und sollte den drohenden Abstieg der SGE verhindern.

In der 11. Minute musste Niko Kovac aber bereits zum ersten Mal wechseln und für die restliche Spielzeit wieder auf Fabian als Spielmacher setzen. Stendera blieb im Stadion, sah den erlösenden 1:0-Siegtreffer seiner Eintracht von der Bank aus und feierte nach Spielende auf Krücken mit den Fans den Klassenerhalt.

Am nächsten Tag kehrte in Frankfurt schnell Ernüchterung ein. Stendera hatte sich das Kreuzband gerissen, das Jahr 2016 war gelaufen. Und wäre die Verletzung nicht schon schlimm genug, für Stendera war es schon der zweite Kreuzbandriss. Drei Jahre zuvor, in einem Testspiel gegen den VfR Aalen, erwischte es den damals 17-Jährigen in der buchstäblich letzten Sekunde, er musste vom Platz getragen werden. Es war die letzte Szene der Partie.

Vier Monate zuvor hatte Stendera als zweitjüngster Spieler der Bundesligageschichte sein Profidebüt für die Eintracht gegeben, war bei Trainer Armin Veh für die neue Saison fest eingeplant. "Das ist ganz bitter, das tut sehr weh", sagte Veh damals. "Für uns, weil er ein Riesentalent ist, aber natürlich in erster Linie für den Spieler. Er liegt mir sehr am Herzen."

Europameister 2014 nach Kreuzbandriss

Nicht bloß die Tatsache, dass nur Julian Draxler bei seinem ersten Ligaspiel einen einzigen Tag jünger war als Stendera, lässt erahnen, wie weit der Frankfurter heute in seiner fußballerischen Entwicklung bereits sein könnte.

Auch ein Blick auf die DFB-Auswahl bei der U19-EM 2014 zeigt, welches Potenzial schon früh in ihm steckte. Im Finale gegen Portugal stand Stendera gemeinsam mit Julian Brandt und Joshua Kimmich in der Startelf und bereitete den 1:0-Siegtreffer vor.

Damals, im Juli 2014, war Stenderas erstes Comeback nach Kreuzbandriss erst drei Monate her.

"Bitte nicht wie bei Sonny Kittel"

In den darauffolgenden zwei Spielzeiten reifte Stendera zu einem wichtigen Spieler bei der Eintracht und hatte sich sowohl unter Thomas Schaaf als auch unter Niko Kovac durchgesetzt.

Nach seinem zweiten Kreuzbandriss wurden bei vielen Fans der Hessen direkt Erinnerungen an die Leidensgeschichte von Sonny Kittel wach. Kittel galt lange als eines der ganz großen Talente im deutschen Fußball und debütierte 2010 im Trikot der Eintracht in der Bundesliga. Doch am Ende seiner ersten Profisaison riss sich der damals 18-Jährige ebenfalls das Kreuzband.

Bis zu Kittels Wechsel zum FC Ingolstadt kamen zwei Knorpelschäden und ein weiterer Kreuzbandriss hinzu. Zwischen 2010 und 2016 bestritt Kittel lediglich 54 Pflichtspiele, 16 davon gemeinsam mit Stendera.

Stendera: Keine Probleme mit dem Knie

Stendera brauchte lange, um nach der Verletzung aus dem Relegationsspiel zurückzukommen. Knapp ein Jahr nachdem er zum letzten Mal durchgespielt hatte, gab er sein Comeback. Doch Frankfurts Hoffnungsträger musste nach einem Meniskuseinriss im Mai 2017 schon wieder operiert werden und verpasste das DFB-Pokal-Finale gegen Borussia Dortmund (1:2).

In der Vorbereitung auf die Saison 2017/18 musste Stendera mit zwei weiteren Rückschlägen fertig werden: Erst kugelte er sich die Schulter aus, dann zwang ihn eine Sprunggelenksverletzung zu einer Pause. Mit dem Knie habe er keinerlei Probleme mehr, erzählte Stendera der Frankfurter Neuen Presse im Oktober.

Auch der Trainingsrückstand auf seine Teamkollegen wird von Woche zu Woche geringer. "Nach einer Situation, in der man lange verletzt war, den Anschluss verloren hat und sich wieder reinkämpfen muss, weil die anderen Spieler auch einen kleinen Vorteil haben, freut man sich umso mehr. Ich musste jede Woche dafür kämpfen, um wieder dabei sein zu können."

Gegen den VfB Stuttgart feierte Stendera am siebten Spieltag schließlich zum zweiten Mal in diesem Jahr sein Comeback und nach nur 42 Minuten kam er zu seinem ersten Erfolgserlebnis, als sein Pass Ante Rebic fand, der die Eintracht mit 1:0 in Führung brachte.

Es folgten, nach kurzer Pause wegen Erkältung, eine Einwechslung im DFB-Pokal sowie zwei weitere Startelfeinsätze gegen Mainz und Bremen. Im Rhein-Main-Derby stand er sogar 88 Minuten auf dem Platz. Fast wäre es sein erstes Spiel über die vollen 90 Minuten seit April 2016 gewesen.

Eintracht Frankfurt: Identifikationsfigur gesucht

In Frankfurts Kader tummeln sich Spieler aus insgesamt 20 verschiedenen Nationen. Die Fluktuation in den vergangenen Jahren war hoch am Main, wodurch Stendera schon zu den Dienstältesten zählt.

Der Traditionsverein Eintracht Frankfurt lebt von Klublegenden und Publikumslieblingen, doch derzeit werden immer öfter Stimmen laut, nach denen die Anhänger der SGE solche Charaktere vermissen. Eine immer größer werdende Anzahl der Fans hat außerdem Schwierigkeiten damit, bis zum Saisonstart die Namen aller Neuzugänge auswendig zu lernen.

Der bisherige Publikumsliebling, "Fußballgott" Alex Meier, blickt mit 34 Jahren und aufgrund anhaltender Verletzungsprobleme wohl dem Ende seiner langen Eintracht-Karriere entgegen. Kapitän Marco Russ, der wie Stendera aus der eigenen Jugend stammt, ist nach überstandener Krebserkrankung nur noch Ersatz.

Ein gesunder Stendera könnte das Vakuum füllen und zum neuen Fußballgott am Main aufsteigen. "Ich habe immer gesagt, dass ich mich hier sehr wohl fühle. Mir macht es große Freude, vor den tollen Fans zu spielen. Ob ich eine Identifikationsfigur bin, vermag ich nicht zu beurteilen. Es gibt noch Spieler, bei denen man sich etwas abschauen kann. Die sollen das mal übernehmen", sagt Stendera. Mit knapp 22 Jahren hat er aber genug Zeit, in diese Rolle hineinzuwachsen.

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