"Und so einer will Christ sein"

Heiko Herrlich ist seit Juli neuer Trainer von Bayer Leverkusen
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SPOX: Es bleibt die Frage, ob das wirklich ankommt bei denjenigen, für die eine solche Erfahrung fremd ist.

Herrlich: In Regensburg hatte ich es leichter, das zu transportieren. Ich galt zwar als erfolgreicher Ex-Profi, saß dort aber mit meinem Trainerteam zu fünft in einer Kabine von der Größe einer Garage, Schimmel an der Wand, daneben eine permanent kaputte Dusche mit kaltem Wasser, draußen ein ab Herbst nicht mehr zu benutzender, unebener Trainingsplatz. Da hätte man durchaus meckern können, aber so würde man sich nur runterziehen.

SPOX: Wie sind Sie also vorgegangen?

Herrlich: Ich habe meinen Leuten gesagt: Wir können hier jetzt noch Glasscherben auf den Platz schmeißen und dann sagen: Auch das macht uns nichts aus. Weil wir einfach so motiviert sind, dass wir trotzdem das erste Saisonspiel gewinnen und es uns auch nicht juckt, sollte es nächste Woche noch zehn Grad kälter werden.

SPOX: Die Rahmenbedingungen in Leverkusen müssten Sie demnach begeistern, oder?

Herrlich: Das ist das totale Gegenprogramm. Die meisten kennen es gar nicht anders, als dass ein eigener Koch mitreist und einem die Tasche abgenommen wird. Was ich lehren will ist: Es kann trotzdem denselben Spaß machen, egal ob in Regensburg oder in Leverkusen. Das Ursprüngliche, das die Leidenschaft am Fußball ausmacht, ist nicht der tolle Wellnessbereich. Es ist das Gefühl, sich nach einer Partie in die Augen zu schauen und gemeinsam alles gegeben zu haben. Das ist etwas ganz Besonderes, doch dafür hat man eben auch etwas zu leisten.

SPOX: Aufgrund Ihrer Invalidität gelten Sie für den Rest Ihres Lebens zumindest für die Versicherung und Mediziner offiziell als chronisch krank. Wie sehr beschäftigt Sie das Thema noch?

Herrlich: Alle drei, vier Jahre kommt irgendeiner auf die Idee, ich könnte doch mal wieder ein MRT von meinem Kopf machen lassen. Man gilt nach fünf gesunden Jahren zwar als geheilt, aber ich darf zum Beispiel kein Blut mehr spenden. Ansonsten ist das Thema durch.

SPOX: Halten Sie eigentlich noch Kontakt zu Jorginho, der Sie Anfang der 1990er Jahre in Leverkusen zum ersten Mal in von ihm organisierte Bibelkreise einlud?

Herrlich: Ja. Wenn er in Deutschland ist, meldet er sich immer. Ansonsten schreiben wir uns gelegentlich bei WhatsApp.

SPOX: Können Sie sich noch an Ihre Gedanken erinnern, als Sie Ihren allerersten Bibelkreis verließen?

Herrlich: Ich war zuvor schon ein gläubiger Mensch. Ich war Ministrant und habe als Kind zu Gott gebetet, damit meine Bauch- oder Kopfschmerzen verschwinden. Beim Bibelkreis waren mehrere Leute dabei, die wie Jorginho eine innere Zufriedenheit und ein Gottvertrauen ausstrahlten. Die haben sich allen Mitmenschen gegenüber gleich verhalten. Das hat mich damals schwer beeindruckt, denn ich hatte diese Eigenschaften nicht.

SPOX: Spüren Sie aktuell dieses Gottvertrauen?

Herrlich: Ja, zurzeit spüre ich es sehr und glaube, dass alles seine Richtigkeit hat. Manchmal ist das natürlich weniger ausgeprägt, dann hat man auch Zweifel - gerade wenn einem mitgeteilt wird, dass man als Leistungssportler einen Tumor im Hirn hat. Damals habe ich mir trotzdem gesagt: Lieber Gott, wenn das dein Weg für mich ist, dann ist es halt so - auch wenn er mir nicht gerade gefällt. In manchen Situationen versteht man auch erst im Nachhinein, warum das richtig war oder ist.

SPOX: Sie arbeiten seit zwölf Jahren als Trainer und damit zusammen mit einer Spielergeneration, die sich bisweilen als eigene Marke inszeniert oder ein auffälliges Äußeres zur Schau trägt. Wie gläubig schätzen Sie die heutige Spielergeneration ein?

Herrlich: Sehr, mehr als meine Generation. Sie suchen nach Werten. In Regensburg hatten wir vier, fünf Christen, die regelmäßig in die Kirche gehen oder Bibelkreise besuchen. Bei anderen hat man gemerkt, dass sie sich für den Glauben interessieren und spüren, dass es etwas Höheres und Wichtigeres als einen selbst gibt. Ab und zu habe ich dann auch vor der Mannschaft aus der Bibel vorgelesen. Auch hier in Leverkusen gibt es Spieler, die Bibelkreise besuchen und ihren Glauben leben.

SPOX: Gibt es etwas, das Sie problematisch in der Beurteilung von Christen finden, die ihren Glauben offen leben?

Herrlich: Nein, nur wird man an mancher Stelle belächelt. Wir sind ja aber auch nicht fehlerfrei. Ich bete zwar jeden Tag dafür, dass ich mich verbessere und bitte um Vergebung für alles, was ich gesagt oder getan habe und mich von Gott trennt. Ich weiß aber auch, dass der Schiedsrichter, den ich aufgrund einer Entscheidung im Spiel anschreie, nicht mit Absicht falsch entschieden hat. Nichtgläubige stecken einen dann oftmals schnell in eine Schublade und sagen: Und so einer will Christ sein.

SPOX: Sie sind als Trainer dafür verantwortlich, aber auch darauf angewiesen, dass in der Zusammenarbeit alle Rädchen ineinander greifen und Zufriedenheit herrscht. Wenn das nicht funktioniert, ist meist der Trainer derjenige, der gehen muss. Beschäftigt Sie so etwas oder wäre selbst ein vorzeitiges Aus in Leverkusen unproblematisch?

Herrlich: Diese Analogie akzeptiere ich so, aber eine Freistellung wäre nie unproblematisch für mich. Ich identifiziere mich mit dem Verein und möchte das Vertrauen in mich zurückzahlen. Sollte es eines Tages zu einer solchen Entscheidung kommen, weiß ich aber auch, dass ein Verein immer über einem Trainer stehen wird - und das ist auch absolut richtig.

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