"So viel Scheiß kann ich gar nicht erzählt haben"

Hans Meyer begann seine Trainerkarriere im Jahr 1971 bei Carl Zeiss Jena
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SPOX: Das Spannungsfeld, in dem sich Trainer heutzutage befinden und innerhalb dessen sie arbeiten müssen, hat sich aber doch enorm verändert. Finden Sie nicht?

Meyer: Es kommt letztlich darauf an, welche Bedeutung man als Trainer dieser journalistischen Bewertung durch die umfangreichen Printmedien und dem Internet beimisst. Wenn du ohne Internet nicht leben kannst und dich jede Zeile interessiert, die über dich geschrieben wird, dann arbeite nicht als Trainer. Dort sind mittlerweile derart viel Ungerechtigkeit, Schmutz und Fake News dabei, das steckt man ohne starkes Selbstvertrauen und gute Nerven nicht weg.

SPOX: Sie dagegen waren immer jemand, der sich über die mediale Berichterstattung scheinbar hinwegsetzen konnte. Sie schien das nie wirklich tangiert zu haben.

Meyer: Wegen mir hätte es keinen Boulevard gebraucht, das stimmt. Er hat mir nur die Arbeit erschwert. Trotzdem musste ich mich mit ihnen auseinandersetzen. Mir ging es bei diesen Themen grundsätzlich nur darum, informiert zu sein, was über meine Spieler oder deren Äußerungen geschrieben wurde. Denn diese Polemiken gingen und gehen ja auch durch ihre Köpfe.

SPOX: Als Sie 1999 nach drei Jahren bei Twente Enschede zu Mönchengladbach kamen, lagen Sie schnell mit dem Boulevard über Kreuz.

Meyer: Sagt man das so? Wenn man im Fußball arbeitet, muss man generell Pfiffe und Medienkritik aushalten können. Kommst du aber aus Holland, wo fast jede Fußball-Kritik fachlich nachvollziehbar war, und triffst dann auf zwei bis drei Journalisten, die nach drei Wochen mit der Art ihrer Berichterstattung über "ihre Borussia" auch meine Bereitschaft zur Zusammenarbeit weitgehend negativ beeinflusst haben, sind die Weichen zeitig gestellt. Zum Glück hat mich damals unser fantastisches Publikum großartig unterstützt.

SPOX: Heutzutage hat sich in der Medienwelt vieles multipliziert, alles ist schneller und transparenter geworden. Wie viel Verständnis haben Sie für das Zeitalter der gesellschaftlichen Digitalisierung?

Meyer: Da bin ich wieder Realist. Ich kann mich in meinem Metier nicht ausschließen von den Segnungen der modernen Kommunikation, die ja auch bei kritischer Betrachtung genügend Vorteile parat hält. Solange bei der Arbeit das persönliche Gespräch und der entsprechende Umgangston das Entscheidende bleiben, kann es drum herum nicht modern genug zugehen.

SPOX: Viele Fans sehen im Fußball die Tradition gefährdet und stehen dem Kommerz kritisch gegenüber. Was raten Sie denen?

Meyer: Die positiven Traditionen und ihre Pflege sind ein wichtiges Element in der Fußballgeschichte. Die damit versorgten Klubs können stolz darauf und sicher sein, dass ihnen niemand die Erfolgschronik nehmen kann. Aber dass ausgerechnet der Kommerzialisierungsprozess etwas mit den momentanen Schwierigkeiten dieser Vereine im wirtschaftlichen und sportlichen Bereich zu tun haben soll, diesen kausalen Zusammenhang kann ich nicht erkennen. Kommerz an sich kann man natürlich ablehnen. Ist man dabei konsequent, muss man zu einer Amateurmannschaft gehen, deren Spieler studieren oder arbeiten. Aber auch in der Kreisliga A sollten sie sich erkundigen, ob das vom Dorfmetzger gesponserte Schwein für den Aufstieg als geldwerter Vorteil in der Steuererklärung angegeben ist.

SPOX: Welche Lösung schlagen Sie also vor?

Meyer: Entweder das System akzeptieren und weiterhin mit 70.000 Menschen Bayern oder Dortmund im Stadion schauen oder das Fußballinteresse konsequent auf Amateurmannschaften reduzieren.

SPOX: Was ist Ihnen am Geschäft Profifußball am meisten suspekt?

Meyer: Dass wir ein gewachsenes System inklusive der Erfolge und Entwicklungen der letzten Jahre im deutschen und internationalem Fußball auf der einen Seite genießen und ausnutzen und auf der anderen Seite mit halbseidenen Argumenten das Erreichte ständig in Frage stellen. Ein Beispiel gefällig?

SPOX: Logo.

Meyer: Warum muss der Transfer von Gareth Bale zu Real Madrid wochenlang thematisiert werden?

SPOX: Weil die Fußball-Interessierten diese surrealen Summen beschäftigen.

Meyer: Sie beschäftigen sich damit, weil sie permanent von der Presse darauf angesprochen werden. Die Beträge sind doch sowieso fiktiv. Sie haben natürlich keinen Bezug zur Wertigkeit eines Menschen und seiner Leistung. Aber: Real Madrid überweist diese 100 Millionen nach England. Zur selben Zeit erhalten sie fast 60 Millionen für Mesut Özil und 30 Millionen für Gonzalo Higuain. Also reden wir nur noch über zehn Millionen. Bale verdient aber weniger als Özil und Higuain zusammen, von ihm verkauft man jedoch weltweit wegen der Transfersumme extrem viele Trikots - und dann sind wieder einige Millionen kompensiert. Am Ende reden wir also über Summen, die bei den Vermarktungsmöglichkeiten im Leistungsfußball unbedeutend sind. Und genau deshalb kann ich die allgemeine Aufregung darum nicht verstehen. Wenn wir uns darüber aufregen, dann müssten wir wiederum auch hier das gesamte System in Zweifel ziehen. Übrigens dann auch den mittlerweile riesengroßen Aufwand an Medienvertretern.