"Ich stand als Protz-Profi in der Presse"

Ist ein Jahr vom Hamburger SV nach Darmstadt ausgeliehen: Sven Schipplock
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SPOX: Sie besuchten in der Jugend nie ein Nachwuchsleistungszentrum oder waren auf einem Fußball-Internat und haben es dennoch in die Bundesliga geschafft. Erzählen Sie doch einmal von Ihrem Weg zum Profi-Fußballer.

Schipplock: Dazu muss ich aber ein wenig ausholen.

SPOX: Nur zu.

Schipplock: Ich wechselte erst im zweiten A-Jugendjahr aus Pfullingen zum SSV Reutlingen und schaffte dort durch glückliche Umstände und viele Kuriositäten letztlich doch den Sprung in die 1. Mannschaft, die in der Regionalliga spielte. Das war damals die dritthöchste Spielklasse. Ich kam anfangs zunächst als Joker zum Zug, ehe ich irgendwann die Chance von Anfang an bekam und dann meine Tore erzielte, so dass mich diverse Zweit- und Erstligisten auf dem Zettel hatten und ich Angebote bekam.

SPOX: Die Cinderella-Story also?

Schipplock: So habe ich mich im ersten Moment auch gefühlt. (lacht) Ein halbes Jahr zuvor war Fußball eigentlich nur mein Hobby und auf einmal rufen dich Leute wie Felix Magath an, der damals beim VfL Wolfsburg war oder Christoph Daum, der die Kölner trainierte. Mit Nürnbergs damaligen Trainer Hans Meyer habe ich mich dann getroffen und war anschließend eigentlich mit dem Club für den nächsten Sommer einig. Doch dann spielten wir mit dem SSV gegen Stuttgart in der Wintervorbereitung. Anschließend wollten mich Horst Heldt und Armin Veh unbedingt noch im Winter holen, so dass ich wenige Tage später in der VfB-Kabine neben Mario Gomez, Cacau und Fernando Meira saß.

SPOX: Eine ziemlich rasante Entwicklung.

Schipplock: Das war der Wahnsinn, ich konnte das als 19-Jähriger überhaupt nicht fassen, aber es wurde noch - wie ich es damals empfand - verrückter. An meinem ersten Tag hatten wir zwei Mal Training und ich wusste überhaupt nicht, was ich zwischen den Einheiten machen sollte, als auf einmal Gomez vor mir stand und mich fragte, ob ich mit ihm Mittagessen gehen möchte.

SPOX: Von Stuttgart ging es nach Hoffenheim, weil Sie beim VfB keine Chancen mehr gesehen haben. Bei der TSG spielten damals aber auch Spieler wie Ryan Babel, Vedad Ibisevic oder Chinedu Obasi im Sturm. Die Konkurrenz war also nur unwesentlich kleiner.

Schipplock: Mir wurden damals Versprechungen gemacht, über die ich heute lachen würde. Damals hatte ich auch noch gar nicht das Niveau, um solche Spieler zu verdrängen, aber mit solchen Dingen wurde ich gelockt. Es war doch klar, dass ich mit 22 und den Referenzen, die ich vorzuweisen hatte, gar keine so große Rolle bei der TSG spielen konnte, wie mir eigentlich versprochen wurde. Aber wenn du jung bist, glaubst du sowas halt. (lacht)

SPOX: Wie gelang Ihnen trotzdem der Durchbruch?

Schipplock: In Hoffenheim gab es dann eine turbulente Zeit mit Markus Babbel, Marco Kurz und Frank Kramer als Trainer. Das war sehr wild und erst unter Markus Gisdol kam das Team und auch ich persönlich so richtig zurecht. Er war derjenige, der auf mich gesetzt hatte und so zu meinem persönlichen Mentor wurde. Auch wenn ich unter ihm nicht immer einen Stammplatz hatte, wusste ich, dass er voll und ganz auf mich setzt. Gisdol muss ich meinen ganzen Dank aussprechen.

SPOX: Aber Labbadia machte Sie doch zum Profi?

Schipplock: Richtig, daher war er auch ein wichtiger Grund, warum ich zum HSV gewechselt bin. Ich war offen für eine neue Herausforderung und dann wollte mich Labbadia haben. Ich weiß nicht, ob ich nach Hamburg gegangen wäre, wenn er dort nicht Trainer gewesen wäre. Natürlich ist der Verein auch super, aber so hat eben das Gesamtpaket gepasst.

SPOX: Was viele Leute gar nicht wissen: Sie sind sehr gläubig. Inwiefern leben Sie diesen Glauben aus?

Schipplock: Ich bin damit aufgewachsen, auch meine Eltern sind gläubige Christen. Aber richtig gläubig wurde ich erst vor knapp vier Jahren, als ich Probleme mit der Hüfte und dem Oberschenkel hatte, aber kein Arzt konnte erklären konnte, was los war. Ich fiel monatelang aus und in dieser schweren Zeit habe ich meinen Glauben gefestigt. Ich bete ein- bis zweimal täglich und versuche jeden Tag, in der Bibel zu lesen. Ich merke, je öfter ich das mache, umso weniger Gedanken mache ich mir. Der Druck, der Alltag, das Geld, das ganze Fußballgeschäft, es relativiert sich alles, wenn ich in der Bibel lese.

SPOX: Wie passt der Glaube mit dem eines Profis im knallharten Fußball-Geschäft zusammen?

Schipplock: Es ist nicht einfach, sich in dieser Scheinwelt zu etablieren, wo jeder immer besser sein muss als der andere und schnell die Gefahr besteht, das Gefühl zu bekommen, dass man etwas Besseres ist, weil man ständig im Rampenlicht steht, viel Geld verdient und so weiter. Da hilft mir mein Glaube, den Fokus nicht zu verlieren und den Blick für die wichtigen Dinge im Leben zu haben. Ich habe inzwischen auch ein viel besseres Verhältnis zu meinen Brüdern und meiner Familie, weil ich weiß, auf was es ankommt. Fußball ist immer noch meine Leidenschaft, aber letztlich ist es mein Job, der mir Spaß machen soll. Natürlich ist es schwierig, diese Gegensätze miteinander zu vereinbaren, aber ich finde meine Wege.

SPOX: Ihre Lieblingsstelle in der Bibel soll die von der Geschichte zwischen David gegen Goliath sein. Sind Sie deswegen zum SV Darmstadt 98 gewechselt?

Schipplock: Die passt zu den Lilien auch ganz gut, muss ich zugeben. Aber auch für mich persönlich. Egal wo ich hinkam, ich musste mich erst beweisen und durchkämpfen. Überall war ich der David und es kamen immer wieder neue Goliaths hinzu. Schlussendlich habe ich mich immer behaupten können und kam auf meine Einsatzzeiten.

SPOX: Sie sind vom Hamburger SV nur ausgeliehen. Können Sie sich vorstellen, auch längerfristig bei den Lilien zu bleiben oder haben Sie schon konkrete Ziele, wohin Ihr Weg führen soll?

Schipplock: Darüber mache ich mir noch gar keine Gedanken. Ich bin nun schon relativ lange im Profibereich dabei und weiß, dass vieles nur Tagesgeschäft ist. Mal bist du der Held, mal der Depp. Insofern darfst du eigentlich gar nicht besonders langfristig denken, weil so viel passieren kann. Ich fühle mich hier in Darmstadt bislang sehr wohl und freue mich darauf, hoffentlich wieder regelmäßig spielen zu dürfen. Mich reizt die Aufgabe hier am Böllenfalltor, weil wir wieder als Absteiger Nummer 1 gehandelt werden. Diese Underdog-Rolle liegt mir, sie passt zu Darmstadt. Außerdem bin ich froh, dass ich wieder näher bei meiner Familie bin. Oberstes Ziel ist natürlich der Klassenerhalt, wenn wir den geschafft haben, dann kann ich mir auch Gedanken über meine nächsten Schritte machen.

Sven Schipplock im Steckbrief

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