Die Herrschaft des Knurrers

Von Arne Pieper
Huub Stevens wird seinem Spitznamen derzeit mehr als gerecht
© getty

Die TSG Hoffenheim wartet auch unter Huub Stevens noch auf die ersehnte Trendwende. Während vor allem in der Defensive inzwischen eine klare Handschrift zu erkennen ist, herrscht bei Ballbesitz weiterhin große spielerische Armut.

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Gute Laune wollte bei Stevens auch nach dem ersten Sieg der TSG unter seiner Regie nicht aufkommen. Während die Mannschaft nach dem glücklichen Erfolg gegen Hannover ausgelassen feierte, machte der Niederländer seinem Ruf wieder einmal alle Ehre. "Bei mir ist die Stimmung nach dem Spiel genauso wie vor dem Spiel", schnaubte er knochentrocken ins Mikro. Auf die Frage nach der Stimmung in der Kabine wurde der nächste Journalist mit einem mürrischen "Ich glaube, es ist noch kein Big Brother" abgewatscht.

Als Knurrer ist Stevens schon lange bekannt, inzwischen setzt seine konstante Unfreundlichkeit aber selbst für seine Verhältnisse neue Maßstäbe. Der 62-Jährige präsentiert sich seit seinem Amtsantritt dünnhäutiger denn je und hat seinen Platz in sämtlichen Jahresrückblicken spätestens seit dem Gladbach-Spiel schon sicher ("Du bist es nicht wert").

Einen großen Vorteil hat das Dauergenörgel jedoch: Durch sein Auftreten rückt sich Stevens selbst in den Vordergrund und steht nahezu alleine im Scheinwerferlicht der Presse. Auf die Mannschaft prasselt dagegen erstaunlich wenig ein. Ob beabsichtigt oder nicht, im nervenaufreibenden Abstiegskampf könnte dies ein großer psychologischer Vorteil werden.

Offensive kränkelt vor sich hin

Unter Stevens hat Hoffenheim erst ein Spiel verloren, die insgesamt sieben Punkte aus den bisherigen sechs Partien sind jedoch ein ausbaufähiger Wert. Mit dem 1:0 gegen Hannover konnte der Nachfolger von Markus Gisdol am vergangenen Wochenende endlich den ersten Dreier einfahren, über die Probleme der krisengebeutelten TSG sollte dies aber keineswegs hinwegtäuschen.

Die Verkrampfung im Spiel nach vorne ist weiterhin unverkennbar, von der Fassade der einst so spektakulären Offensivabteilung der Kraichgauer ist inzwischen auch der letzte Teil abgebröckelt. Stevens versucht gar nicht erst, der Rhein-Neckar-Arena neuen Glanz einzuhauchen, sondern verfolgt einen glasklaren Lösungsansatz, um den Weg in die Erfolgsspur zurückzufinden: bedingungslos disziplinierte Abwehrarbeit.

Dass Abstiegskampf nur aus einer geordneten Defensive heraus Erfolg haben kann, hat sein Team binnen kurzer Zeit verinnerlicht. Sieht man vom überraschend spektakulären Spiel gegen Gladbach ab, hat das Team unter Stevens in fünf Spielen nur zwei Gegentore kassiert. Statt den über zwölf gegnerischen Torschüssen pro Spiel unter Gisdol ließ die TSG in diesen Duellen nur noch rund sieben zu.

Das Heil in der Defensive

Den Grundstein hat der 62-Jährige somit gelegt. Es bleibt allerdings die Frage, ob Stevens in der Rückrunde auch den stockenden Offensivmotor wieder ans Laufen bekommt. Unter seiner Regie ist die zuvor bereits desolate Quote von sieben Torschüssen pro Spiel noch tiefer in den Keller gerutscht.

Entsprechend seiner defensiven Marschroute hat Stevens die taktische Grundaufstellung der Hoffenheimer angepasst. In den ersten Spielen entschied er sich noch für eine deutlich tiefer stehenden Variante des unter seinem Vorgänger praktizierten 4-4-2 . Von der Idee eines zweiten Stürmers wich Stevens jedoch inzwischen wenig überraschend ab und lässt sein Team seit nunmehr vier Spielen im modernen 4-2-3-1 auflaufen.

Auch personell sorgte der Knurrer bereits für Veränderungen, ohne dabei halt vor großen Namen zu machen. "Ich kann einiges tun. Das werde ich auch. Ob das angenehm wird oder nicht, werden wir sehen", hatte Stevens nach dem Amtsantritt über Veränderungen in der Startelf gesagt, inzwischen haben sich die ersten Leidtragenden herauskristallisiert.

Rudy auf dem Abstellgleis

Vor allem Sebastian Rudy, der unter Gisdol noch eine feste Größe war und sich sogar in den Kreis der Nationalmannschaft gespielt hatte, dürfte mit seiner Situation alles andere als zufrieden sein. In den letzten Spielen kam der 25-Jährige gar nicht mehr zum Einsatz, stattdessen hat sich die Doppel-Sechs aus Pirmin Schwegler und Tobias Strobl eingependelt. In den Medien wird bereits über einen Wechsel nach Bremen spekuliert, da Stevens offenbar nicht mehr mit dem variabel einsetzbaren Mittelfeldspieler plant.

Auch Ermin Bicakcic ist seinen sicher geglaubten Stammplatz derzeit los. Der bosnische Nationalspieler ist hinter Fabian Schär und Niklas Süle nur noch Innenverteidiger Nummer drei. Noch düsterer sieht es für Adam Szalai aus, der schon unter dem Ex-Coach einen schweren Stand hatte. Stevens nominierte den Stürmer trotz der Dauer-Formkrise von Rückkehrer Kevin Kuranyi zuletzt nicht einmal in den Kader.

Nach dem Gewinner in der bisherigen Amtszeit des Niederländers muss man nicht lange suchen. Nadiem Amiri ist derzeit der (einzige) Lichtblick der Kraichgauer und zeigte vor allem gegen Gladbach, welch großes Potential in ihm steckt. Der 19-Jährige debütierte bereits in der vergangenen Saison und hat sich unter Stevens sogar zum unumstrittenen Stammspieler gemausert. Der Deutsch-Afghane sorgt seitdem mit Kevin Volland für den Großteil der offensiven Akzente.

Emotionale Rückkehr nach Schalke

Ein offensives Feuerwerk dürften allerdings auch beim Gastspiel in Schalke (20.30 Uhr im LIVETICKER) nur tollkühne Optimisten erwarten. Gegen seine alte Liebe, die mit tief stehenden Gegnern in dieser Saison häufig Probleme hatte, wird Stevens wohl erneut zum Pragmatismus greifen und das Heil in der Defensive suchen.

Angesichts seiner Rückkehr nach Schalke konnte man dem Knurrer auf der Pressekonferenz sogar einige für seine Verhältnisse äußerst emotionale Worte entlocken. "Schalke ist natürlich ein Teil meines Lebens geworden. Ich war sehr lange dort und bin vielleicht in Zukunft nochmal dort", sagte Stevens, der von 1996-2002 auf der Bank der Königsblauen gesessen hatte.

Huub Stevens im Steckbrief