Die 371 im Kopf

Thiago wechselte 2013 vom FC Barcelona zum FC Bayern
© getty

Thiago Alcantara ist erneut am rechten Knie verletzt und fällt drei bis vier Wochen aus. Die Diagnose lässt auf eine schnelle Rückkehr hoffen. Die Sorgen um den spanischen Ausnahmespieler haben auch mit seiner Vergangenheit zu tun.

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Es ist gerade einmal zwei Wochen her, da hat Pep Guardiola eine Lobeshymne auf Thiago Alcantara gehalten. "Manche Spieler haben in wichtigen Spielen Angst. Thiago ist ganz anders. Er hat diese Persönlichkeit für wichtige Spiele", sagte der Trainer des FC Bayern München nach dem 5:1 im Champions-League-Spiel gegen den FC Arsenal.

Thiago hatte wie viele seiner Kollegen an diesem Abend eine starke Leistung abgeliefert (SPOX-Note 1), ein paar feine Ideen präsentiert und fantastische Pässe gespielt. Guardiola lobte, wie er das schon oft getan hat, als Trainer in München.

Aber Guardiola hatte nach diesem Galaauftritt auch noch ein paar kritische Worte auf Lager. "Thiago ist in einer Phase, in der er verstehen muss, dass er noch besser sein kann." Thiago ist Guardiolas Lieblingsschüler, befindet sich in den Augen des Trainers aber eben auch noch in der Ausbildung.

Es gab schon in der Vergangenheit im Training oder in Spielen immer wieder Szenen, in denen Guardiola mit seinem Schützling haderte. Thiagos Spiel strahlt an guten Tagen eine beeindruckende Leichtigkeit aus, an schlechten Tagen hat er aber zu viele Schnörkel in seinen Aktionen. "Er muss das noch besser lernen. Wann spiele ich einen Risiko-Ball, wann spiele ich einen einfachen Ball?", sagte Guardiola.

Verletzungspause hat Thiago verändert

Das Allerwichtigste aber sei, und Guardiola klopfte dreimal auf Holz bevor er diesen Satz sagte: "Er ist gesund." Das hat sich am Freitagabend geändert. Im Testländerspiel Spaniens gegen England musste Thiago nach 27 Minuten ausgewechselt werden. Das rechte Knie machte Probleme.

Ausgerechnet das Körperteil, das sich bei Thiago in den letzten Monaten und Jahren als besonders anfällig herausgestellt hat. Dreimal hat er sich das Innenband im rechten Knie schon gerissen. Aufgrund dessen verpasste er die WM 2014 und fehlte insgesamt 371 Tage.

Unter dem Titel "371" ist Anfang November eine Dokumentation über seine Rückkehr erschienen, in der die lange Leidenszeit aufgearbeitet wird. Neben Thiago selbst kommen seine Frau, sein Vater, seine Mutter und sein Bruder zu Wort.

Es geht viel um Psychologie und den Menschen Thiago. Die lange Pause hat ihn geprägt, verändert und stärker gemacht, wie alle im Film feststellen. Sein Name ist jetzt neben der Zahl 6, die er als Rückennummer auch in seinen Namensschriftzug eingebaut hat auch mit der 371 verbunden.

Exakte Diagnose steht noch aus

Der FC Bayern hat am frühen Dienstagabend eine Diagnose veröffentlicht: Kapselverletzung im rechten Knie. Dem Klub war es besonders wichtig, zu betonen, dass diese Verletzung "nichts mit den langwierigen Problemen Thiagos in der Vergangenheit zu tun" hat.

Als Ausfallzeit sind drei bis vier Wochen angegeben. Damit wurde auch der Tweet konkretisiert, den der 24-Jährige am Sonntag via Twitter abgesetzt hatte. "Zum Glück falle ich nur einige wenige Wochen aus", schrieb er. Bei noch fünf ausstehenden Spielwochen scheint eine Rückkehr in diesem Jahr aber doch recht unwahrscheinlich.

Immerhin dürfte die neuerliche Knieverletzung nicht erneut zum Politikum werden. Der Streit über die beste Behandlungsmethode hatte in der einjährigen Pause ja auch zu internen Meinungsverschiedenheiten geführt, in deren Zentrum Guardiola, Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Dr. Ramon Cugat standen.

Dieses Mal ist Thiago sofort nach München gereist, um sich weiteren Untersuchungen zu unterziehen. Der Mannschaftsarzt heißt auch nicht mehr Müller-Wohlfahrt, sondern Dr. Volker Braun. Aber Thiagos große Vertrauensperson bleibt Cugat. Er schätzt ihn als "besten Chirurgen der Welt" und als Psychologen.

Auch der Luxuskader hat Grenzen

Für den FC Bayern ist Thiagos Verletzung einmal mehr eine Warnung, wie schnell sich alles ohne eigenes Zutun verändern kann. Auch der größte Luxuskader kann Ausfälle nicht beliebig kompensieren, das haben die Bayern in der vergangenen Saison im CL-Halbfinale gegen den FC Barcelona schmerzlich feststellen müssen. "Da hatten wir über mehrere Wochen nur 13, 14 Spieler", sagt Guardiola.

Und auch in dieser Saison sind die Verletzungssorgen nicht gerade klein. Franck Ribery, Arjen Robben, Mario Götze, Sebastian Rode, Holger Badstuber, Medhi Benatia, Juan Bernat und Javi Martinez fallen oder fielen schon mehrere Wochen aus.

Genau aus diesem Grund haben die Münchner vor der Saison ihren Kader nochmal erweitert. Guardiola hat keine Probleme, bei der Besetzung seiner ersten Elf auch mal unpopuläre Entscheidungen treffen zu müssen. Lieber setzt er einige Stars auf die Bank und gar auf die Tribüne, als dass ihm die Optionen fehlen. Nach dem Sieg über den VfB Stuttgart hielt er ein Plädoyer für den Konkurrenzkampf und die Rotation.

"Die Spieler werden müde, wenn sie alle drei Tage spielen müssen", sagte Guardiola. "Nicht nur der Körper wird müde, sondern auch der Kopf." Die Spieler müssten das verstehen und akzeptieren, dass sie auch mal eine Pause benötigen. Denn: "Wir brauchen alle Spieler."

Der Kader des FC Bayern München im Überblick