"Du hast dich ja schon übergeben"

Kevin Kuranyi entschied sich im Sommer für einen Wechsel zu 1899 Hoffenheim
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SPOX: Wenn wir über die Nationalmannschaft reden, kommen wir an einem Abend natürlich nicht vorbei. Auch wenn damals schon viel zu Ihrem vorzeitigen Verlassen des Dortmunder Stadions beim Spiel gegen Russland gesagt wurde: Denken Sie manchmal darüber nach, wie Ihre Karriere im DFB-Team hätte aussehen können, wären Sie damals nicht gegangen?

Kuranyi: Ja, das passiert schon. Gerade wenn man das Team dann zum Beispiel bei der WM 2014 in meinem Geburtsland Brasilien spielen sieht. Aber ich kann das alles heute nicht mehr ändern. Ich habe einen großen Fehler gemacht, aus dem ich gelernt und für den ich mich entschuldigt habe.

SPOX: Erinnern Sie sich noch an den Moment, an dem Sie entschieden haben, zu gehen? Was haben Sie danach gemacht?

Kuranyi: Es war eine Kurzschlussreaktion. Da gibt es ja auch eine Vorgeschichte. Alles hatte sich zugespitzt und mir war alles zu viel und ich musste einfach da weg. Ich bin nach Hause gefahren, habe mit meiner Familie gesprochen und meine besten Freunde angerufen. Die sind dann alle zu mir gekommen und standen mir bei. Dabei ging es gar nicht darum, wer Recht hat und ob es falsch war. Sie haben mich vielmehr abgelenkt.

SPOX: Ihr Image in Deutschland litt sehr unter dem Vorfall. In Russland waren Sie hingegen ein sehr angesehener Spieler. Haben Sie es genossen, geschätzt zu werden?

Kuranyi: Ich wurde in Russland ganz anders aufgenommen als zu dieser Zeit in Deutschland. Obwohl Spieler aus dem Ausland immer mit gewissen Vorurteilen zu kämpfen hatten, wurde ich sehr geschätzt und von den Fans gefeiert. Die Leute waren da unvoreingenommen und haben anerkannt, dass ich nicht nur zum Geld kassieren gekommen bin, sondern mich immer voll reingeknallt habe.

SPOX: Welche Vorurteile meinen Sie?

Kuranyi: Viele Spieler wechseln nur nach Russland, um dort viel Geld zu verdienen, kommen dann aber mit dem Land und den Leuten nicht wirklich klar und verlassen die Vereine schon nach kurzer Zeit wieder. Bei mir war das anders und das haben die Fans mit der Zeit auch festgestellt.

SPOX: In Ihrer SPOX-Kolumne haben Sie oft von der Zeit in Russland geschwärmt. Zuletzt äußerten Sie sich aber mehrfach kritisch zum Rassismus-Problem. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Kuranyi: Ich kann sowas einfach nicht verstehen. Bei einem unserer Spiele gegen Torpedo Moskau wurden zwei farbige Spieler von uns beschimpft und mit Affenlauten verhöhnt. Ich war entsetzt, sowas miterleben zu müssen.

SPOX: Wie wurde innerhalb der Mannschaft damit umgegangen?

Kuranyi: Wir haben die Jungs damals aufgebaut und Sie daran erinnert, dass das einige wenige, dumme Leute sind, die mit Fußball nichts zu tun haben. Daraus darf man sich persönlich einfach nichts machen. Nichtsdestotrotz sollten sich alle, die im Fußball arbeiten, dazu aufgefordert fühlen, an dieser Situation schnell etwas zu ändern.

SPOX: Nach fünf Jahren haben Sie nun entschieden, wieder zurückzukommen. Was hat sie dazu bewogen?

Kuranyi: Es war einfach an der Zeit, nach Deutschland zurückzukehren. Unser Leben in Russland war toll, aber meine Familie und ich wollten unbedingt wieder zurück. Hier ist einfach unsere Heimat, unsere Familien, unsere Freunde, unser Lebensmittelpunkt.

SPOX: Zunächst war gar nicht klar, wohin Ihr Weg gehen würde. Um fit zu bleiben, trainierten Sie beim 1. FC Saarbrücken mit. Lagen Ihnen dort schon Angebote aus dem Ausland vor?

Kuranyi: Ja, davon gab es viele. Aber das kam für mich nicht mehr in Frage, ich wollte unbedingt in der Bundesliga spielen. Dafür habe ich auf viel Geld verzichtet.

SPOX: Spielte der Gedanke, Ihren Ruf in Deutschland nochmal zu verbessern, bei Ihrer Entscheidung ebenfalls eine Rolle?

Kuranyi: Nein, ich muss hier keinem mehr etwas beweisen - nur mir selber: Dass ich immer noch in der Lage bin, Bundesliga zu spielen und einem Team wirklich weiterzuhelfen.

SPOX: Nachdem Sie Anfangs noch etwas Rückstand hatten, war Ihre Fitness zuletzt immer besser. Was können wir in den kommenden Spielen von Ihnen erwarten?

Kuranyi: Auf jeden Fall einiges. Ich habe die letzten drei Wochen genutzt, um topfit zu werden. Jetzt bin ich wieder voll auf der Höhe, will Tore schießen, Vorlagen geben und dem Verein dabei helfen, erfolgreich zu sein.

SPOX: Sie geben an, auch Führungsaufgaben übernehmen und junge Spieler verbessern zu wollen. Ist das eine Aufgabe, die Sie sich auch nach Ihrer Karriere vorstellen können?

Kuranyi: Absolut. Ich weiß zwar noch nicht, in welche Richtung es genau gehen soll - zumal ich ja auch erstmal noch ein paar Jahre spielen will. Aber danach kann ich mir schon vorstellen, zum Beispiel Trainer zu werden.

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