Rückkehr in die Surrealität

Von Daniel Reimann
Junior Malanda kam am 10. Januar 2015 bei einem Autounfall ums Leben
© getty

Wolfsburgs Rückrundenstart gegen den FC Bayern (Fr., 20.30 Uhr im LIVE-TICKER) steht unter dem Eindruck von Junior Malandas Tod. Den VfL erwartet nun die schwerstmögliche Gratwanderung - sportlich wie emotional.

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Es war gegen die Bayern, als Junior Malanda erstmals im Mittelpunkt der Berichterstattung stand. Im Hinspiel vollbrachte er es beim Stand von 1:2, einen Abpraller aus einem Meter am leeren Tor vorbeizuschießen. Malanda erntete Fassungslosigkeit, Hohn und ein wenig Trost. Das Social Web spottete, die Presse suchte nach Superlativen für seine spektakulär unglückliche Aktion.

"Leider hat er seinen Eintrag in den Jahresrückblick jetzt schon sicher", meinte sein Trainer Dieter Hecking zwischen Sarkasmus und Enttäuschung. Sein Berater scherzte, er habe ihm für den Titel des Torschützenkönigs einen Ferrari versprochen. "Freitag habe ich ihm nach dem Spiel gesimst, das mit dem Auto wird so nichts" sagte Didier Frenay. Malandas Antwort damals: "Das klappt schon noch."

Gut ein halbes Jahr später steht jede Aussage über Malanda unvermeidlicherweise in einem anderen Licht. Sein bedauerlicher Tod gibt jedem Scherz von früher einen neuen, sensibleren Kontext.

Blick zurück und Blick nach vorne

Wenn es am Freitag zum zweiten Mal in dieser Saison gegen die Bayern geht, wird Malanda wieder das omnipräsente Thema sein. Es ist das erste Pflichtspiel nach seinem Tod. Und mit diesem Spiel beginnt für den VfL Wolfsburg als Unternehmen wie auch als Mannschaft eine außergewöhnliche Gratwanderung. Die Suche nach einem angemessenen Mittelweg zwischen menschlicher Trauer und der professionellen Fortführung der Arbeit. Zwischen dem Blick zurück und dem Blick nach vorne.

Auf der einen Seite wird das Spiel eine Trauerfeier sein. Eine emotionale Abschiedszeremonie. Eine Form der Erinnerung, die die Tragik in all ihren Facetten und Bildern wieder aufleben lässt und die ein trauerndes Einhalten unumgänglich machen.

Die plötzliche Abwesenheit eines Freundes und Mitspielers, der leere Spind in der Kabine. Bilder von niedergelegten Blumen und Kerzen. Von der Beerdigung, von Familienangehörigen, die sein Trikot trugen. Die Worte seiner Schwester, die unter Tränen in Richtung ihres verstorbenen Bruders sagte: "Du hast mir mal versprochen, dass du erfolgreich sein wirst. Das hast du geschafft. Jetzt bin ich an der Reihe, dir zu versprechen, dass mit mir alles gut wird. Ich werde dich niemals vergessen." Nichts von alledem wird einfach auszublenden sein. Weder am Freitag, noch in den Tagen und Wochen danach.

"Erfolg bleibt trotzdem wichtig"

Auf der anderen Seite ist die Partie zwangsläufig ein Punktspiel. Eines von besonderer Bedeutung, schließlich geht es gegen den amtierenden Meister. Es ist ein Kampf um drei Zähler in der Tabelle, ein Kampf um die Champions-League-Plätze, damit letztlich auch um Millionen von Euros. Der Verein VfL Wolfsburg wird wie jeder andere weiterhin nach Erfolg streben. Dieter Hecking hat trotz aller Trauer nicht umsonst betont: "Erfolg bleibt jetzt trotzdem wichtig."

Irgendwo zwischen unumgänglicher Trauer und dem Fokus auf das gemeinsame Weitermachen verläuft der Weg, den die Wölfe beschreiten werden müssen. Der Weg zurück in eine Normalität, die dennoch ihren Namen nie verdienen wird, weil plötzlich so vieles anders ist. Eine Schein-Normalität, wie sie Florian Fromlowitz in der "11 Freunde" einst gut beschrieb.

Zum Gedenken an den Tod von Robert Enke erinnerte er sich an sein erstes Spiel als dessen Nachfolger in Hannovers Tor: "Es hieß, ich sei der Situation erstaunlicherweise gewachsen gewesen. Tatsächlich befand ich mich im Tunnel. Es war Maskerade. Der Versuch, mit der Situation irgendwie fertig zu werden."

Schritt für Schritt in die "Normalität"

Im Gegensatz zu Fromlowitz blieb den Wolfsburger Profis ein wenig mehr Zeit vor dem ersten Pflichtspiel, um den Tod ihres Teamkollegen zu verarbeiten. Es gibt einen Raum der Stille, "eine Art Gedenkecke", wie es Allofs beschreibt. Psychologe Andreas Marlovits, der schon Hannovers Spielern nach Enkes Tod zur Seite stand, war ihm Trainingslager dabei.

Doch so nah der Rückrundenstart auch kommt, so unrealistisch ist es, das Geschehene in solch kurzer Zeit hinter sich zu lassen. "Wir wissen, dass das Ganze nicht in drei oder vier Tagen abgeschlossen sein wird", sagt Allofs. Für Hecking war es schlicht "das schwierigste Trainingslager, das ich je hatte".

Dennoch soll Schritt für Schritt die "Normalität", die eher einer Surrealität gleichkommt, wieder Einkehr finden in Wolfsburg. Dazu gehört nicht nur der Fokus auf die gemeinsame Mission, das sportliche Ziel, sprich: Professionalität. Sondern auch eine selbstverständliche Heiterkeit, wie sie sonst auch üblich war.

"Lachen ist bei uns auch erlaubt", sagt Hecking. Es ist auch eine Aufforderung an seine Spieler. "Darf ich ein Witzchen machen? Darf ich den Kollegen auf die Schippe nehmen? Wir haben die Jungs dazu ermuntert", so der Wölfe-Coach. Torwart Diego Benaglio gab seinem Trainer in der "WAZ" Recht: "Wir müssen versuchen, wieder in den Alltag zu finden."

Es bleibt eine Lücke

Alltag auf sportlicher Ebene bedeutet gleichzeitig auch langfristige Planung. Und auch diese erfuhr - so beängstigend makaber es klingen mag - einen unerwarteten Rückschlag. Malanda kam in der Hinrunde auf 15 Pflichtspieleinsätze und hinterlässt eben auch sportlich eine Lücke.

"Es gehört dazu, dass wir uns Gedanken machen, wie man auf die veränderte Situation reagiert. Darum müssen wir uns intensiv kümmern", gab Allofs zu Protokoll. "Auch diese sportlichen Dinge gehen weiter."

Wolfsburg hat nach der besten Hinrunde der Vereinsgeschichte eine historische Chance: Die Wölfe liegen auf Champions-League-Kurs, sind in allen drei Wettbewerben auf einem vielversprechenden Weg. Doch die Dreifachbelastung erfordert Rotation und Flexibilität. Auch deshalb wurde Maxi Arnold in den letzten Wochen verstärkt auf der Sechser-Position eingesetzt, da Wolfsburg in der Offensive vorerst breit genug besetzt ist.

Gegen die Bayern dürfte Arnold wieder im defensiven Mittelfeld beginnen, zumal Josuha Guilavogui zum Rückrundenauftakt fehlen wird. In den Testspielen machte Arnold einen guten Eindruck. Auch er wirkt halbwegs im Schein-Alltag angekommen: "Wir sind enger zusammengerückt. Wir haben wieder Spaß am Fußball", sagt er. Aber, wie Teamkollege Benaglio betont, "das heißt nicht, dass wir Junior für nur eine Sekunde vergessen."

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