Die Unvernunft macht Urlaub

Von Stefan Rommel
Die Abkehr vom Hurra-Fußball soll in Bremen nun endlich vorangebracht werden
© getty

Bremen macht nach einer missglückten Volte die Rolle rückwärts, Trainer Robin Dutt will seiner Mannschaft wieder mehr Defensivgeist verordnen. Es bleibt die Frage: Was tun mit einer aufgeweichten Marke?

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Die Profis von Werder Bremen weilen derzeit nicht in der Stadt, die sportlichen und ein wenig auch die gesellschaftlichen Schlagzeilen gehörten für einige Tage den Bremer Sixdays in der ÖVB-Arena.

Am Freitag endet der Vorbereitungstrip der Hanseaten, dann bleibt der Mannschaft von Robin Dutt in der Heimat noch eine Woche Zeit, um sich auf den wichtigen Rückrundenstart gegen Eintracht Braunschweig einzustimmen.

Weit weg von zu Hause drehten das Trainerteam und die Mannschaft das Rad nochmal auf Null zurück. Genug Problemzonen hatten sich offenbart in einer holprigen Hinrunde mit gelegentlichen Höhen, aber eben auch einigen nachdenklich stimmenden Momenten.

Reaktion auf die Vorrunde

Nicht umsonst hat sich Werder selbst gleich zehn Tage in Jerez de la Frontera verschrieben, nur Schalke 04 gönnt sich als einziger Bundesligist noch einen Tag mehr zum Üben unter optimalen Bedingungen.

Nachdem sich der Bremer Tross in den Jahren davor insgesamt zwölf Mal an die türkische Riviera nach Belek verabschiedet hatte, ging es diesmal im Winter nach Spanien. Es ist sicherlich ein Zufall, dass sich mit der Wahl des neuen Ausflugziels auch die Gewichtung der Trainingsinhalte verändert hat.

Robin Dutt reagierte auf die Erkenntnisse der Vorrunde in der Art, wie er seine Arbeit im Sommer in Bremen begonnen hatte.

Der Abschluss der ersten Halbserie war ungeheuer emotional und aufwühlend, dem Trainer standen nach dem ungemein wichtigen 1:0-Sieg gegen Bayer Leverkusen kurz vor Weihnachten schon die Tränen in den Augen. Umso sachlicher und nüchterner fiel die Analyse dessen aus, was Dutt in den ersten 18 Pflichtspielen in Bremen - das Pokal-Aus in Saarbrücken mit eingerechnet - an Erfahrungen sammeln konnte.

Zickzackkurs der Mannschaft

Mit "widersprüchlich" ist ein Gros der Bremer Vorrunde wohl ganz ordentlich beschrieben. Die Fans konnten eine Mannschaft sehen, die überraschend schnell wieder zu einer Einheit wurde, nachdem unter Dutts Vorgänger Thomas Schaaf der Teamgeist längst nicht mehr der beste war. Werders Mannschaft brachte Leidenschaft und Herz mit, zeigte Nehmerqualitäten und Moral.

Andererseits blieb ein Zickzackkurs im Gedächtnis: Auf ordentliche Spiele folgte nicht selten ein komplettes Versagen der Mannschaft oder Einzelner, die vielen Verletzten ließen es nicht zu, dass sich eine neuformierte Mannschaft in der Findungsphase besser aufeinander abstimmen konnte.

Statistisch sieht das dann so aus, dass Werder zwar schon fünfmal ohne Gegentor bleiben konnte - in der kompletten letzten Saison waren es drei Spiele zu Null. Auf der anderen Seite stehen aber trotzdem 37 Gegentore, dazu dürfen die Gegner so oft aufs Bremer Tor abschließen wie gegen keine andere Mannschaft der Liga (306 Mal).

Dazu kam eine beinahe fatale Fehleinschätzung der handelnden Personen, die die zaghaften Fortschritte zum Anlass nahmen für einen Kurswechsel: weg vom Defensivdenken als zentraler Einheit des Spiel und hin zu mehr Wagnis und Offensivgeist.

Der Versuch ging schwer nach hinten los. Die harmlosen Worte etwa von Geschäftsführer Thomas Eichin, "wir glaubten, schon ein bisschen weiter zu sein", passten überhaupt nicht zu der einen oder anderen wirklich besorgniserregenden Darbietung des Teams.

Prödl mit klaren Worten

In Spanien stand und steht deshalb die Defensivarbeit als zentrales Stilmittel auf dem Übungsplan - wie schon sechs Monate davor, als Dutt der Mannschaft nach den zuletzt wilden Serien unter Schaaf eine andere Doktrin verpasste.

Gemessen an der Punkteausbeute liegt Werder mit ein wenig Wohlwollen betrachtet noch im Soll, Kritiker behaupten jetzt aber schon, dass die Vorrunde angesichts der Rolle rückwärts im Portfolio eine verschenkte war. Im großen Plan des notwendigen Umbruchs jedenfalls blieben die großen Fortschritte aus.

Dutt und sein Trainerteam mussten erkennen, dass der komplette Wandel vonnöten ist, um in dieser Saison nicht am Ende doch unter den drei Mannschaften zu sein, die das Ende der Tabelle zieren. Sebastian Prödl, seit fünfeinhalb Jahren im Klub und damit einer der dienstältesten Spieler, hat die fetten Jahre an der Weser noch mitbekommen.

Er kann sich ein Urteil zum aktuellen Umbruch erlauben - und dem einen oder anderen Fan, der die Signale immer noch nicht erkannt hat, dürfte es endgültig die Augen öffnen: "Das ist nicht mehr das Werder Bremen, das man noch vor drei, vier, fünf Jahren hatte. Wir sollten nicht mehr bewertet werden wie ein Champions-League-Verein. Wir sind's einfach nicht mehr. Punkt."

Keine Zeit mehr für Experimente

Ein letztes Hallo auf die guten alten Tage gab es im abgelaufenen Kalenderjahr noch, eine Partie, die in Spuren an die stürmischen Zeiten erinnerte: Ein Derby unter Flutlicht, eine enge Partie mit ansehnlichem Offensivfußball, ein später Siegtreffer vor der Ostkurve durch einen der bunten Vögel im Team. Bremer Spektakel musste man im Weserstadion mit der Lupe suchen. Finden konnte man nur dieses 3:2 vom Spätherbst gegen Hannover 96, das schlechteste Auswärtsteam der Liga.

Fans, Beobachter, Gönner und Sponsoren sind schon seit einiger Zeit auf Entzug, sie alle sollten sich von dem Gedanken verabschieden, dass das bisschen Wahnsinn in naher Zukunft wieder Einzug hält ins Bremer Weserstadion. Zeit für große Experimente ist nun definitiv nicht mehr, Werder wird auch in der Rückrunde jede Partie am Limit spielen müssen, das haben die 17 Spiele der Vorrunde mit mühselig zusammengekratzten 19 Punkten gezeigt.

Also wird das Handwerk noch stärker bemüht, stehen die einfachen Dinge des Fußballs noch mehr im Mittelpunkt. "Eigentlich trainieren wir Dinge, die vorausgesetzt werden müssen", sagt Nils Petersen. "Die graben wir jetzt wieder aus - das muss aber auch sein. Wir haben viele Defizite, die wir aufarbeiten müssen." Was wiederum die Frage aufwirft, was in den Jahren zuvor im Training akzentuiert wurde.

Was wird aus den Köpfen des Teams?

Die Ausgangslage ist weder für Dutt noch Eichin einfach. Der Trainer benötigt einen modifizierten Spielplan, sein Vorgesetzter muss zehn in diesem Sommer auslaufende Verträge prüfen, darunter die der Gallionsfiguren Clemens Fritz und Aaron Hunt, die Werder wenigstens noch ein wenig von dem alten Gesicht verleihen.

Eins der Hauptziele der Unternehmung, in Zukunft für eine verstärkte Durchlässigkeit aus dem eigenen Nachwuchsbereich hoch zu den Profis zu sorgen und eigene Talente in der ersten Mannschaft zu etablieren, dürfte in der Rückrunde eher in den Hintergrund treten. Die zehn Spieler aus dem eigenen Stall, die Dutt mit nach Spanien genommen hat, lassen sich auf dem Papier durchaus sehen.

Der Grat, wie angekündigt auf die Jugend zu setzen, auf der anderen Seite aber eine solide Rückrunde ohne große Abstiegsgefahr spielen zu wollen, ist aber zu schmal. Dafür ist die Mannschaft zu inkonstant in ihren Leistungen und der Abstand auf die gefährlichen Plätze zu gering. Für Experimente bleibt da kein Platz - und für Hauruck-Fußball schon gar nicht.

Die Marke ist aufgeweicht

"Wir spielen nicht mehr das typische Werder-Spiel", sagt Petersen. Werder hat die höchste Fehlpassquote aller 18 Bundesligisten (31,7 Prozent) und sich die drittwenigsten eigenen Torabschlüsse erspielt (nur 194). Eljero Elia, mittlerweile recht ordentlich zum defensiven Gehorsam erzogen, formuliert es so: "Wir machen jetzt so viel Defensivarbeit, dass wir etwas die Kraft verlieren für den Abschluss oder den letzten Pass."

Das Prädikat des Offensivwirbels, der Unmögliches möglich machen und selbst in den wichtigen Spielen eher ein 3:2 als ein 1:0 einbringen konnte, ist passe. Für welche Art von Fußball Werder Bremen in Zukunft stehen wird, ist schwer zu sagen. Der Kern der Marke jedenfalls ist aufgeweicht und es könnte eine gewisse Zeit dauern, bis sich Werder wieder über ein klares Leitbild definieren kann.

In erster Linie geht es in der Rückrunde nur darum, so schnell wie möglich den Klassenerhalt zu bewerbstelligen. Die Tatsache, dass Werder in der Vorrunde kein einziges Mal auf Platz 16 oder schlechter stand, sollte aber niemanden mehr täuschen.

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